Wien Museum ehrt Eisenbeton als Fundament der modernen Stadt
Ab den 1890er-Jahren wurden in der Hauptstadt Infrastrukturprojekte in Eisenbeton ausgeführt. Die ersten Eisenbetonbauten in der City wurden gegen 1900 hochgezogen. "Vor 130 Jahren war der neue Werkstoff Gegenstand von Experimenten und wurde euphorisch begrüßt", berichtete Andreas Nierhaus, der die Schau mit Eva-Maria Orosz kuratierte. Es entstanden Mehrzweckhäuser, die "neue öffentliche Sphären" boten, sagte Orosz - etwa Cafés oder in Kellerräumen Varietés über Wohnungen. Wien legte sich damit auch ein großstädtisches Kulturleben zu.
Neben der technischen Innovation und der architektonischen Qualität fasziniere an den frühen Eisenbetonbauten Wiens ihre vielfältige Nutzungsmöglichkeit, betonte Nierhaus. So öffneten große Kaufhäuser wie Gerngroß auf der Mariahilfer Straße, 1904 das größte und modernste Warenhaus der Monarchie und das erste in reiner Eisenbetonkonstruktion in Wien. Oder auch bei der Errichtung des (mittlerweile längst abgerissenen) Dianabads und zahlreichen Kinos setzte man auf die revolutionäre Technologie.
Die Ausstellung basiert auf einem von Otto Kapfinger initiierten Forschungsprojekt. Der Architekt hat mit seinem Team, dem auch Studenten der Technischen Universität Wien (TU Wien) angehören, über Jahre und "in 30.000 Arbeitsstunden" rund 160 Bauten in Wien unter die Lupe genommen, Baupläne und statische Berechnungen studiert, wie er erzählte. 95 forensische Gebäudebetrachtungen haben es in das Buch "Anatomie einer Metropole" geschafft, rund 40 frühe Eisenbetonbauten aus den Jahren 1900 bis 1917 - wie etwa das Zacherlhaus - umfasst die Schau in Form von historischen Fotos, Plakaten, Gegenständen und von TU-Studenten angefertigten Konstruktionsmodellen.
Architektur und Materialkunde wird nicht trocken präsentiert, vielmehr erfahren Besucherinnen und Besucher in der übersichtlichen, kompakten Ausstellung "Geschichtsschreibung, die durch Material passiert", wie es Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) formulierte. Heute spricht man von Stahlbeton, "Eisenbeton bezieht sich auf die Frühphase der Technologie, die mit dem Ersten Weltkrieg endet, weil dann keine Ressourcen mehr vorhanden sind", erklärte Nierhaus.
(S E R V I C E - "Eisenbeton. Anatomie einer Metropole" im Wien Museum, 22.5.-28.9., Di, Mi, Fr 9-18 Uhr, Do 9-21 Uhr, Sa und So 10-18 Uhr, www.wienmuseum.at; Buch "Anatomie einer Metropole", Hrsg. Otto Kapfinger, Birkhäuser Verlag, 416, Seiten, 50 Euro)
Zusammenfassung
- Das Wien Museum zeigt ab 22. Mai die Ausstellung "Eisenbeton. Anatomie einer Metropole", die die Bedeutung von Eisenbeton für das moderne Wien anhand von rund 40 frühen Bauten aus den Jahren 1900 bis 1917 beleuchtet.
- Ein von Otto Kapfinger geleitetes Forschungsprojekt analysierte in 30.000 Arbeitsstunden etwa 160 Eisenbetonbauten in Wien, wovon 95 forensisch dokumentiert und in einem 416-seitigen Buch veröffentlicht wurden.
- Zu den herausragenden Beispielen zählen das 1904 eröffnete Kaufhaus Gerngroß, das erste Warenhaus Wiens in reiner Eisenbetonkonstruktion, sowie das Dianabad und zahlreiche Kinos.