Klassische Moderne trifft im mumok auf zeitgenössische Kunst
Diese "Selbstverortung in der Kunstgeschichte" werfe "kunstimmanente und gesellschaftspolitische Fragen" auf, wie Kurator Franz Thalmair am Mittwoch bei der Presseführung erläuterte. Besonders angetan zeigte er sich vom gewählten Titel der Schau: "Das Futur II hat ja schon an sich etwas Spekulatives, indem die dann vergangene Zukunft auch inhaltlich referenziert wird, beginnen sich die Zeitschleifen zu bewegen."
Was damit gemeint ist, wird gleich zu Beginn der Ausstellung klar, wenn Lisl Ponger auf einem "Work on progress" betitelten Podest jene Artefakte zeigt, "die in meinen Arbeiten zu sehen sind, in der Präsentation der Werke aber nicht mehr real vorhanden sind", so die österreichische Künstlerin, die hier unter anderem Totenköpfe, eine "National Geographic"-Ausgabe, afrikanische Kleidung oder bedruckte Teehäferln präsentiert. Die Besucher können sich schließlich in den gezeigten Arbeiten auf Spurensuche begeben.
Einige Objekte davon finden sich etwa auf der 2012 entstandenen Fotografie "Geisterbeschwörung", die auf dem Kopf zu stehen scheint. Auf dem Kopf steht auch das gegenübergestellte Werk von Ernst Ludwig Kirchner, das ein farbenfrohes Männerbildnis auf der Rückseite seines Gemäldes "Grünes Haus" (1906) zeigt. "Indem sie Requisiten zu Protagonist*innen ihres Ausstellungsbereichs macht, verschiebt sie, wie auch in den Arbeiten selbst, die Aufmerksamkeit vom Gesamtbild aufs Detail - und wieder zurück", so der Kurator über Ponger, die ihre eigenen Arbeiten mit Werken von etwa Albert Paris Gütersloh, August Sander oder Edward Steichen konfrontiert.
Orupabo stellt sexualisierte, rassifizierte Frauenkörper in den Fokus
In der vom Studio Kehrer erdachten, verschachtelten Ausstellungspräsentation auf Ebene 4, wo vorhandene Wände und Podeste transformiert und versetzt wurden, werden die jeweiligen Werkpräsentationen von blauen Bahnen auf dem Boden abgegrenzt, jedoch spannende Blickachsen ermöglicht. So erhascht man in Pongers Bereich bereits erste Blicke auf Arbeiten von Frida Orupabo, die sie unter dem Titel "Wider den kolonialen Blick" zusammenfasst: Dabei stellt sie den weiblichen, sexualisierten und rassifizierten Körper in Fotos, Collagen und Filmsnippets dem bildhauerischen Schaffen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber, wobei sich ästhetisch gebrochene Parallelen zu Skulpturen von u.a. Alberto Giacometti, Louise Bourgeois oder Constantin Brâncuși ergeben, von dem das Werk "La Négresse blonde II" (1933) gezeigt wird. Hier setzt man in der Werkbeschreibung auch auf eine Kontextualisierung des Originaltitels (übersetzt "Die blonde Negerin II"), um auf die heute nicht mehr den Maßstäben geschichts- und diversitätsbewusster Sprache zu verweisen.
Brâncuși findet sich schließlich auch in einer Arbeit von Anita Witek wieder, die "Utopische Architekturen" präsentiert und dabei mit Fragmenten aus massenmedial verbreiteten Fotografien eigene Collagen und Montagen aus dem ausgeschnittenen Rest davon erschafft. In ihrer auch skulptural in den Raum greifenden Arbeit "The Collector's Room" findet sich auf einer Stoff-Skulptur ein Foto von Brâncușis vorhin genanntem Werk, dem sie eine Fotografie aus dessen Studio gegenüberstellt. Vor allem ästhetisch perfekt aufeinander abgestimmt ist die Arbeit "Reflex Of Freedom" (2022) in der Gegenüberstellung mit Henri Laurens' Skulptur "Bouteille et verre" aus dem Jahr 1918.
Fragmente eines Kriegsdenkmals an der Fassade
"Krieg und Gewalt" thematisiert schließlich der ukrainische Künstler Nikita Kadan, der seine eigene Lebensrealität in einem vom Krieg gezeichneten Land mit "Repräsentationsformen von Gewalt aus der Vergangenheit" konfrontiert. In der Ausstellung von historischen Denkmälern widmet er sich den Mechanismen von Vergessen und Erinnern und stellt eigene Arbeiten u.a. jenen von Alexander Archipenko oder Kasimir Malewitsch gegenüber. Das auffälligste Werk Kadans ist jedoch jenes an der Außenfassade des Museums: Unter dem Titel "On Protection of the Monuments" hat er stark vergrößerte Reproduktionen einzelner skulpturaler Fragmente eines Denkmals aus der Stadt Hostomel angebracht, das zu Beginn des russischen Angriffs stark zerstört wurde.
Auf Ebene 3 finden die Besucher schließlich Barbara Kapustas "Fragile Körper": Ihre geschlechtsneutralen, übergroßen Skulpturen aus Aluminium, die sie als "Technobodies" bezeichnet, können als "Überlegungen zur Widerstandsfähigkeit zukünftiger Körper im aktuellen gesellschaftlichen Zusammenhang" gelesen werden. Sie stehen im Dialog mit Vorläufern aus Bronze, etwa Fritz Wotrubas "Sitzende" aus dem Jahr 1929. Angestrebt ist eine die Zeiten überspringende Nachbarschaft, in der das Gestern und das Heute eine mögliche Zukunft als Gegenwart versuchen.
(S E R V I C E - Ausstellung "Die Welt von morgen wird eine weitere Gegenwart gewesen sein" im mumok, 23. Mai bis 6. April 2026. Zur Ausstellung soll Mitte Juni ein gleichnamiger Katalog im Verlag Walther und Franz König erscheinen, 160 Seiten, 19,90 Euro. www.mumok.at)
Zusammenfassung
- Kurator Franz Thalmair betont, dass die Schau kunstimmanente und gesellschaftspolitische Fragen aufwirft und durch das spekulative Futur II im Titel Zeitschleifen thematisiert.
- Lisl Ponger zeigt Artefakte wie Totenköpfe, eine "National Geographic"-Ausgabe und afrikanische Kleidung, die in ihren Arbeiten verwendet werden, aber in der Präsentation oft nicht mehr existieren.
- Frida Orupabo thematisiert in ihren Collagen und Fotos den kolonialen Blick und stellt sexualisierte, rassifizierte Frauenkörper Werken von Künstler:innen wie Brâncuși gegenüber, dessen Werk "La Négresse blonde II" (1933) ausgestellt ist.
- An der Außenfassade des Museums zeigt Nikita Kadan vergrößerte Fragmente eines zerstörten Denkmals aus Hostomel und setzt sich mit Krieg und Gewalt auseinander.