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Kosovo: Vučić und Kurti beschuldigen sich gegenseitig

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Nach den heftigen Zusammenstößen von Serben mit der Kosovo-Schutztruppe KFOR am Montagnachmittag in Zvecan im Norden des Kosovo haben sich am Dienstag wieder Serben vor Gemeindeämtern versammelt.

Bei den Ausschreitungen waren rund 30 Friedensschützer und nach serbischen Krankenhausquellen 53 Serben verletzt worden. Österreicher wurden nicht verletzt. Das Bundesheer erhöht allerdings den Truppenschutz im Nordkosovo.

Lage sei ruhig gewesen

NATO-Soldaten sicherten am Dienstagmorgen Zvecan. Mehrere ethnische Serben versammelten sich vor dem Rathaus und standen den Soldaten aus den USA, Italien und Polen gegenüber. Die Lage war ruhig, wie ein Reuters-Reporter beobachten konnte. Auch in anderen Orten mit mehrheitlich serbischer Bevölkerung, in Leposavic und Zubin Potok, versammelten sich Serben vor den Ämtern. Nach Angaben der kosovarischen Polizei war die Situation in den drei Gemeinden vorerst ruhig. "Wir haben keine Zwischenfälle notiert", teilte Polizeisprecher Veton Elshani laut dem Sender "Free Europe" mit.

Die Proteste ethnischer Serben hatten sich nach Kommunalwahlen entzündet. Die zum Schutz der Rathäuser eingesetzten Soldaten seien am Montag aus Menschenmengen heraus mit Brandsätzen angegriffen worden, teilte die KFOR mit. Rund 30 Soldaten aus Italien und Ungarn hätten Knochenbrüche und Verbrennungen erlitten. Die aus ethnischen Albanern bestehende Polizei setzte Augenzeugen zufolge Tränengas bei den Protesten ein.

Kommunalwahlen entfachten Konflikt wieder

Hintergrund des wieder aufgeflammten Konflikts zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit im Kosovo sind die Kommunalwahlen vom 23. April. Die Serben, die im nördlichen Landesteil die Mehrheit der Bevölkerung stellen, hatten die Wahlen boykottiert. In der Folge gewannen auch in mehrheitlich serbisch bewohnten Gemeinden albanische Bürgermeisterkandidaten. Zu deren Amtsantritten am Montag versammelten sich ethnische Serben zu Demonstrationen.

Die im April gewählten Bürgermeister von Zvecan und Zubin Potok kündigten laut dem Sender "Free Europe" an, dass sie am Dienstag nicht versuchen würden, zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Der Bürgermeister von Leposavic, ein Funktionär der regierenden Vetevendosje des kosovarischen Premiers Albin Kurti, war am Montag im Gemeindegebäude geblieben, hieß es in Medienberichten.

Der kosovarische Ministerpräsident Kurti und der serbische Präsident Aleksandar Vučić beschuldigten einander am Montagabend wechselseitig wegen der Zusammenstöße. Nach einem Treffen mit Vertretern der sogenannten Quinta-Gruppe (USA, Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland) und der EU in Prishtina sprach Kurti von "Extremisten in der Regie Belgrads". Die kosovarische Präsidentin ergänzte, kriminelle Banden, die von Vučić unterstützt werden, zielten darauf ab, den Kosovo und die gesamte Region zu destabilisieren.

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Vučić und Kurti beschuldigen sich gegenseitig

Vučić dagegen erklärte, Kurti trage die Verantwortung für die Zusammenstöße. Bei einer Pressekonferenz in Belgrad appellierte Serbiens Präsident an die Serben im Norden des Kosovo, "in keine Konflikte mit der NATO-Allianz" zu treten. Dies wäre etwas, was sich Kurti am meisten wünschen würde, so Vučić. In einer Erklärung nach einem Treffen mit den Quinta-Botschaftern sagte Vučić, er habe gefordert, dass albanische Bürgermeister aus ihren Ämtern im Norden entfernt werden.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte die Zusammenstöße. "Die EU fordert die Behörden des Kosovo und die Demonstranten auf, die Situation sofort und bedingungslos zu deeskalieren", schrieb Borrell auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Das Auswärtige Amt in Berlin verurteilte am Montagabend die Angriffe "auf das Schärfste". Das Außenministerium in Wien verurteilte die gewalttätigen Angriffe in einem Tweet ebenfalls "aufs Schärfste". Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) rief alle Seiten "zur Deeskalation auf". Auch das französische Außenministerium forderte beide Seiten zu einem verantwortlichen Handeln auf.

Russland forderte den Westen dagegen auf, seine "falsche Propaganda" zu beenden "und aufzuhören, die Vorfälle im Kosovo den verzweifelten Serben in die Schuhe zu schieben, die friedlich und unbewaffnet sind und versuchen, ihre legitimen Rechte und Freiheiten zu verteidigen", wie das russische Außenministerium meinte. Der EU-Abgeordnete Thomas Waitz (Grüne) sah in den Ereignissen das "Ergebnis von Aleksandar Vučićs jahrelanger ethno-nationalistischer Politik". Die Europäische Volkspartei (EPP) müsse dringend ihre Kooperation mit Vučić beenden.

273 österreichische Soldaten im Kosovo

Der serbisch-orthodoxe Patriarch Porfirije wandte sich mit einem dringlichen Friedensaufruf an die Öffentlichkeit in Serbien und im Kosovo. Im Anschluss an einen Gottesdienst in der Belgrader Sava-Kathedrale hielt der Patriarch Montagabend eine kurze Ansprache, wie der "Pro Oriente"-Informationsdienst laut Kathpress am Dienstag berichtete. Darin plädierte der Patriarch eindringlich für Frieden und Versöhnung im Kosovo. Kosovo-Metohija ist das Herzstück bzw. Kernland der Serbisch-orthodoxen Kirche. Eine Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch Serbien lehnt die Kirche ebenso wie Belgrad ab.

Derzeit befinden sich 273 österreichische Soldatinnen und Soldaten im Einsatz im Kosovo, wobei bei den Unruhen keine österreichischen Soldaten verletzt wurden. Angesichts der schweren Ausschreitungen hat das österreichische Kontingent allerdings den Truppenschutz erhöht. Die Soldaten beobachten mit geschützten Fahrzeugen und persönlicher Schutzausrüstung die weiteren Lageentwicklungen in den betroffenen Regionen, teilte das Verteidigungsministerium am Dienstag mit.

Die KFOR ist seit 1999 im Einsatz. Sie überwachte nach dem Ende des Kosovo-Kriegs 1999 zunächst den Abzug jugoslawischer und serbischer Sicherheitskräfte. Nach der Entmilitarisierung des Kosovo ging es darum, ein Wiederaufflammen der Gewalt zwischen der ethnisch albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit zu verhindern. Der heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit erklärt. Serbien will die Eigenstaatlichkeit seiner einstigen Südprovinz nicht anerkennen. Rund 120.000 Serben leben im Kosovo, vor allem im Norden des Landes.

ribbon Zusammenfassung
  • Nach den heftigen Zusammenstößen von Serben mit der Kosovo-Schutztruppe KFOR am Montagnachmittag in Zvecan im Norden des Kosovo haben sich am Dienstag wieder Serben vor Gemeindeämtern versammelt.
  • Bei den Ausschreitungen waren rund 30 Friedensschützer und nach serbischen Krankenhausquellen 53 Serben verletzt worden.
  • Der kosovarische Ministerpräsident Kurti und der serbische Präsident Aleksandar Vučić beschuldigten einander am Montagabend wechselseitig wegen der Zusammenstöße.

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