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Extremwetter

Muren, Flut: Kann man in Gefahrenzonen noch leben?

Heute, 10:46 · Lesedauer 5 min

Tausende Menschen leben aktuell in ausgewiesenen Gefahrenzonen, wo Hochwasser, Hangrutsche oder Muren verstärkt auftreten können. Seit Jahren investiert Österreich Millionen in den Schutz von Gebäuden. Aber reicht das?

Im Tiroler Gschnitztal sind in den vergangenen Tagen mehrere Muren abgegangen. Immer wieder sorgen Gewitter für kleinräumige Überschwemmungen. In Niederösterreich zog man diese Woche Lehren vom Jahrhunderthochwasser im Herbst 2024. 

Extremereignisse wie Muren, Lawinenabgänge, Hangrutsche und Überschwemmungen häufen sich in den vergangenen Jahren, wie auch Florian Rudolf-Miklau in der ZIB 2 am Dienstag erklärte. Er ist langjähriger Leiter der Abteilung Wildbach- und Lawinenverbauung im Landwirtschaftsministerium. 

Die Ereignisse bedrohen immer mehr Siedlungen und damit das Hab und Gut vieler Österreicher:innen. 550.000 Menschen leben laut dem Gefahrenzonenplan der Wildbach- und Lawinenverbauung (WLV) in sogenannten Gefahrenzonen. Sie können also etwa von Rutschungen oder einer Lawinen unmittelbar betroffen sein. Über 800.000 Österreicher:innen leben im Hochwasserrisikogebiet. 

Absiedlung oder "Eigenverantwortung"?

Die Häufigkeit und Intensität der Extremereignisse werden künftig noch weiter steigen, zeigt schon der vom Landwirtschaftsministerium vorgelegte Klimabericht. Bleibt am Ende also nur mehr die Absiedlung der Betroffenen?

In Niederösterreich war man am Dienstag bei einer Pressekonferenz zu den Lehren aus dem Hochwasser 2024 von Absiedlungen nicht überzeugt. 

"Eigenverantwortung" sei es, wenn man in einem Überschwemmungsgebiet ein Haus habe, sagte Landesvize Stephan Pernkopf (ÖVP).

Auch Barbara Steinbrunner, Universitätsassistentin am Forschungsbereich Bodenpolitik und Bodenmanagement, ist Absiedlungen gegenüber skeptisch, sagt sie zu PULS 24. "Man kann Personen zwar absiedeln, aber die Frage ist dann: Wohin mit ihnen?", so Steinbrunner. Die Gemeinde müsse dann eine Fläche finden, wo sie wohnen können.

Zudem müsse das ja auch die Bevölkerung wollen. "Das beruht auf Freiwilligkeit und es gibt viele alte Bauernhöfe zum Beispiel, die seit Jahrhunderten mit der Gefahr wissen und auch wissen, wie man damit umgeht", so Steinbrunner. Viele der Häuser stehen also schon länger als es den Gefahrenzonenplan überhaupt gibt. Der feiert heuer nämlich sein 50-jähriges Jubiläum. 

Sollte ein einzelnes Haus bedroht sein, mache eine Umsiedlung wirtschaftlich schon mehr Sinn. Bei einer ganzen Siedlung muss das nicht die letzte Lösung sein. 

So sagt Rudolf-Miklau in der ZIB2, dass die meisten Gebäude, die im Gefahrenzonenplan in der roten Zone stehen "geschützt werden können". In Einzelfällen kann man Menschen einen Ersatzlebensraum bieten.

Oftmals sind Absiedlungen erst nach schweren Schäden ein Thema, wie es etwa nach dem Hochwasser 2013 im oberösterreichischen Eferdinger Becken war. Dort kam es schlussendlich zu freiwilligen Absiedlungen.

info Gefahrenzonenplan

Der Gefahrenzonenplan (GZP) ist ein Fachgutachten, das die Gefährdung durch Naturkatastrophen wie Hochwasser, Wildbäche oder Lawinen in einem Gebiet darstellt. Der Plan dienst als Grundlage für die Raumplanung und den Katastrophenschutz. 

In Österreich gibt es laut Landwirtschaftsministerium rund 1.400 Gefahrenzonenpläne. Der Gefahrenzonenplan der Wildbach- und Lawinenverbauung (WLV) weist rund 200.000 Liegenschaften und 550.000 gefährdete Personen aus.

In den Plänen gibt es gelbe und rote Zonen.

  • Als rote Zone werden jene Bereiche ausgewiesen, die bei einem 100-jährigen Hochwasser derart gefährdet sind, dass ihre Nutzung für Siedlungs- oder Verkehrszwecke wegen der Schäden unmöglich oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist.
  • Als gelbe Zone werden jene Bereiche ausgewiesen, die bei einem 100-jährigen Hochwasser betroffen sind, aber bei denen geringere Intensität als bei der roten Zone zu erwarten ist. 

Darf im Hochwassergebiet gebaut werden?

Hätten da also nicht vor dem Bau in einer Gefahrenzone die Alarmglocken klingen sollen? Das ist eine Frage des Raumplanungsgesetzes, das getreu dem österreichischen Föderalismus in jedem der neun Bundesländern anders ist. 

Ob der Flutkatastrophe 2024 nehmen wir hier nur das Gesetz in Niederösterreich unter die Lupe. Da stellt Steinbrunner gleich einmal klar: "Bauten in Zonen, wo alle 30 Jahre ein Hochwasser und wo alle 100 Jahre ein Hochwasser auftreten kann, sind in Niederösterreich sowieso nicht zulässig". Niederösterreich hat laut der Expertin eines der strengsten Raumplanungsgesetze. Sollte ein Risikogebiet schon in Bauland umgewidmet sein, besteht meist eine Bausperre

Es gibt aber eine Ausnahme: "Wenn in einem geschlossenen Siedlungsraum eine Baulücke besteht, darf man schon bauen", sagt sie. Sollten also schon fünf Häuser auf einem Überschwemmungsgebiet stehen, darf auch ein sechstes gebaut werden, wenn es eine Baulücke gibt. 

Da gibt es dann aber umfassende Bauauflagen, wie etwa der Bedarf einer erhöhten Fußbodenoberkante. 

Also doch selbst schuld? 

Also doch "Eigenverantwortung", wie es Pernkopf formulierte, wenn man sich dort niederlässt? "Wenn die Gemeinde das Gebiet als Bauland ausweist, dann muss ich als Bauwerber darauf vertrauen können, dass es sicher ist", sagt sie. Gleichwohl müsse sich aber auch der Bauwerber informieren, auf welches Gebiet ich ein Haus baue und wie die Gefahrenlage ist. "Diese Infos finde ich öffentlich, also ich seh beide Seiten in der Verantwortung", sagt sie. 

Sollte man in einer Gefahrenzone bauen wollen, kann man über die Bauauflagen hinaus noch weitere Maßnahmen treffen, um von Extremereignissen geschützt zu bauen. Doch für jene Art der Vorsorge fehle in der Gesellschaft oft noch das Bewusstsein, so Steinbrunner. 

Weiterer Ausbau nötig 

Niederösterreich will bis 2040 eine weitere Milliarde etwa in Dämme, Mauern oder Rückhaltebecken investieren. Vom Bund werden 2025 115 Millionen Euro für Wildbach- und Lawinenverbauungen zur Verfügung gestellt. Weitere 105 Millionen Euro macht man für den Hochwasserschutz locker, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium zu PULS 24.

Durch den Schutz konnten laut Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Rudolf-Miklau bisher schwerer Schäden etwa beim Hochwasser 2024 verhindert werden. Gleichzeitig müssen die Systeme immer weiter ausgebaut werden. 

Laut Steinbrunner gilt das auch für die Raumplanungsgesetze. Sei es in Niederösterreich eines der Strengsten, verändere sich die Intensität der Ereignisse, weshalb man wohl auch im Gesetz nachschärfen muss. 

Video: Unwetter und Hangrutsch in Tirol

Zusammenfassung
  • Tausende Menschen leben aktuell in ausgewiesenen Gefahrenzonen, wo Hochwasser, Hangrutsche oder Muren verstärkt auftreten können.
  • Die Häufigkeit und Intensität der Extremereignisse werden künftig noch weiter steigen, zeigt schon der vom Landwirtschaftsministerium vorgelegte Klimabericht.
  • Seit Jahren investiert Österreich Millionen in den Schutz von Gebäuden. Aber reicht das?