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Israelischer Experte erwartet "endlosen Krieg" in Nahost

Heute, 03:01 · Lesedauer 5 min

Der israelische Politikwissenschafter Jose Brunner sieht keine Aussicht auf ein Ende des Nahost-Krieges. "Ich glaube, im Moment ist klarer geworden, dass die israelische Regierung eigentlich eine Art endlosen Krieg will", sagte Brunner im APA-Interview. Die Regierung habe nämlich "ein innenpolitisches Interesse an diesem Krieg, nicht nur ein sicherheitspolitisches", sagte er unter Verweis auf die umstrittene Justizreform, die "im Schatten des Krieges" vorangetrieben werde.

Der Gaza-Krieg ergebe "schon lange militärisch keinen Sinn mehr", betonte Brunner. Es gehe vielmehr darum, dass es während des Krieges keine Untersuchungskommission zu den Ursachen des Hamas-Terrorangriffs vom 7. Oktober gäbe und auch keine Neuwahlen. Zudem hätten Israels Gegner Hamas, Hisbollah und die Houthi ein Interesse an einer Fortsetzung des Krieges, weil dieser deren jeweilige innenpolitische Situation in den Palästinensergebieten, dem Libanon sowie dem Jemen stärke.

Der Wissenschafter zeigte sich besorgt über die demokratische Entwicklung in seinem Land. "Wir befinden uns in einem Prozess, in dem die israelische Demokratie sukzessive abgebaut wird", kritisierte er insbesondere die Politisierung von Polizei und Justiz. "Israel ist dran, ein autoritärer Staat zu werden. Es ist der gleiche Prozess wie in den Vereinigten Staaten unter Trump."

Genau dies sei Teil der Entwicklung, "wie man einen ewigen Krieg führen wird", sagte Brunner. Schon jetzt würden sich die israelischen Parlamentsabgeordneten nicht um Meinungsumfragen kümmern, wonach eine Mehrheit der Bevölkerung den Krieg nicht fortführen wolle. Ob sich bei Wahlen etwas ändern könne, sei ungewiss, weil es "keine wirklichen politischen Alternativen gebe".

Die israelische Bevölkerung wolle keine Lösung des Nahost-Konflikts, "weil sie Angst hat vor jeder Lösung, die eine große Veränderung mit sich bringt", so Brunner. Angesichts der großen militärischen Stärke des Landes werde nämlich nicht wahrgenommen, "dass die existenzielle Angst Israels genauso groß ist wie die existenzielle Angst der Palästinenser". Deshalb müsse ein neuer Dialog gefunden werden, der nicht nur im Zeichen dieser Angst stehe.

Idee der Leidensgemeinschaft "führt uns nirgendwo hin"

Der gebürtige Schweizer lebt seit fünf Jahrzehnten in Israel. In seinem am Freitag erschienenen Buch "Brutale Nachbarn" versucht er, den unlösbar scheinenden Nahost-Konflikt mittels Erkenntnissen aus der Psychologie zu analysieren. Der vielfach gehörte Appell, Israelis und Palästinenser mögen sich doch als Leidensgemeinschaft begreifen, greift Brunners Ansicht nach zu kurz. "Das führt uns nirgendwo hin."

Vielmehr müssten beide Seiten endlich zugestehen, dass sie nicht nur Opfer sind, sondern einander auch "schreckliche Gewalt" antun. "Die Grundbedingung, um überhaupt über Frieden oder eine Lösung seriös zu reden ist ein Umdenken auf beiden Seiten, dass beide Seiten Verantwortung für ihre Gewalt übernehmen." Derzeit würden nämlich sowohl Israel auch seine Gegner so tun, als ob sie keine Gewalt ausübten oder diese legitim wäre.

"Dehumanisierung der anderen führt immer auch zu Selbst-Dehumanisierung"

Beide Seiten würden sich auch "gegenseitig dehumanisieren" und der jeweils anderen Seite absprechen, vollwertige Menschen zu sein. Brunner verwies diesbezüglich etwa auf die umstrittene Aussage des früheren israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant, der die Palästinenser im Gazastreifen "menschliche Tiere" genannt hatte. Diese Behauptung legitimiere, dass Israel Millionen von Menschen in unmenschlichen Bedingungen halten könne. "Die Dehumanisierung der anderen führt immer auch zu seiner Selbst-Dehumanisierung", betonte Brunner. "Wenn die Hamas Menschen verstümmelt, verhalten sie sich tatsächlich wie Tiere."

Als wenig zielführend sieht Brunner die Aktivitäten internationaler Gerichte im Nahost-Konflikt. Der Strafgerichtshof (IStGH) vertrete eine dem Geschehen nicht gerecht werdende Personalisierung und dränge Israel weiter in die Opferrolle, weil Empathie vor einem Gericht keinen Platz habe. Aussichtsreicher könnten Vermittlungsbemühungen aus der Region sein, wie durch den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der mit einer Rede im israelischen Parlament ein Friedensangebot machen könnte. Die Aufgabe eines solchen Politikers wäre, Empathie gegenüber beiden Seiten zu zeigen, von ihnen aber auch "Selbstreflexion" zu verlangen.

Abraham Accords als "Umfahrungsstraße"

Wer behaupte, einen Friedensplan zu haben, sei "entweder ein Scharlatan oder Dummkopf", betonte Brunner. Weder eine Ein-Staaten- noch eine Zwei-Staaten-Lösung scheinen derzeit realistisch, und auch der israelische Ansatz, bilaterale Abkommen mit nicht in den Konflikt involvierten arabischen Ländern wie etwa Marokko zu schließen, sei nur "eine Umfahrungsstraße", aber kein Weg zur Lösung des Nahost-Konflikts.

Diese "Abraham Accords" dienten nur dazu, den Anschein einer Konfliktlösung zu erwecken und die Palästinenser "unsichtbar" zu machen. "Das ist natürlich eine Lüge, weil Millionen von Palästinensern unterdrückt werden von Israel." Gleichwohl seien die Abkommen, etwa mit Marokko oder Bahrain, eine Überraschung gewesen, ähnlich wie der bahnbrechende Israel-Besuch des früheren ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat im Jahr 1977 oder der Oslo-Friedensprozess Anfang der 1990er Jahre. "Das einzig Positive, was ich sagen kann, ist, dass es in diesem Konflikt auch immer positive Überraschungen gab."

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

S E R V I C E: Jose Brunner: Brutale Nachbarn. Wie Emotionen den Nahostkonflikt antreiben - und entschärfen können, Propyläen Verlag, 368 Seiten, ISBN 9783549110034, 26,80 Euro

Zusammenfassung
  • Jose Brunner, ein israelischer Politikwissenschaftler, sieht den Nahost-Konflikt als endlosen Krieg, den die israelische Regierung aus innenpolitischen Gründen fortführt.
  • Der Gaza-Krieg wird militärisch als sinnlos betrachtet, dient aber dazu, innenpolitische Themen wie die Justizreform zu verschleiern.
  • Brunner kritisiert den Abbau der Demokratie in Israel und zieht Parallelen zur politischen Entwicklung in den USA unter Trump.
  • Er fordert ein Umdenken auf beiden Seiten, um Verantwortung für die gegenseitige Gewalt zu übernehmen und eine Lösung des Konflikts zu ermöglichen.
  • Die Abraham Accords werden als Illusion einer Konfliktlösung kritisiert, da sie den eigentlichen Konflikt nicht adressieren.