Polizei am stephansplatzAPA/HELMUT FOHRINGER

Jetzt ist schon wieder was passiert: Wie (un)sicher ist Wien wirklich?

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Von Brunnen- bis Viktor-Adler-Markt wollen bestimmte Politiker:innen in Wien immer wieder "No-Go-Areas" finden. Doch wie steht es um die Sicherheit in Wien wirklich?

Wien liebt es mitunter, von sich selbst ein düsteres, morbides Bild zu zeichnen. Wien-Krimis sind mittlerweile ein eigenes Genre in der Literatur, der Satz "jetzt ist schon wieder was passiert" aus den Brenner-Romanen ist legendär.

Schon wieder passiert ist auch, dass Wien attestiert wird, besonders unsicher, nahezu ein Moloch, ein Crime-Hotspot mit No-Go-Areas zu sein. Und das wird der Hauptstadt dann doch nicht gerecht, wie ein Blick auf die Kriminalstatistik offenbart.

Feindbild Wien

Zuletzt war es Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer, immerhin ehemaliger Landespolizeivizepräsident, der zunächst am Brunnenmarkt in Ottakring, und dann am Viktor-Adler-Markt in Favoriten ein solches Bild zeichnen wollte. Die Vorgangsweise hat Tradition. Spätestens mit der Industrialisierung, als die Massen in die Städte zogen, wurden diese als chaotisch, düster und Horte der Kriminalität beschrieben.

Die anderen Bundesländer und besonders rechte Politiker:innen versuchen, daraus politisches Kleingeld zu schlagen. Österreichs einzige Großstadt, jahrelang von Sozialdemokratie und Migration geprägt, ist ein Gegenpol zu ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen, ist für sie Feindbild.

Schon Sebastian Kurz (ÖVP) sagte einst, dass er mit "vielen Menschen" in Wien gesprochen habe und diese ihm gesagt hätten, dass sie umziehen wollen, weil sie sich nicht sicher fühlen würden. Der niederösterreichische FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl ging in einer PULS 24-Diskussion Wiener Schüler:innen mit Migrationsgeschichte an: Ohne sie wäre Wien "noch Wien". Er habe "Angst" wegen der "vielen Straftaten im Ausländerbereich". FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz legte nach, man könne sich "nicht mehr in der Nacht auf die Straßen trauen". Und nun sorgt sich Karl Mahrer vor "Zuständen wie in Berlin-Neukölln oder in den Vorstädten von Paris" und warnt auf einer extra eingerichteten Website vor "Jugendbanden" und "Problem-Viertel".

Die Zahlen widersprechen ihnen: In ganz Österreich ging die Kriminalität in den letzten zehn Jahren eher zurück. Nach einem Corona-Einbruch wurde mit 488.912 angezeigten Delikten wieder das Niveau von 2019 erreicht. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in Wien ab, in der Hauptstadt wurde das Niveau von 2019 aber nicht einmal ganz erreicht. 168.303 mutmaßliche Delikte wurden hier 2022 angezeigt.

Zahl der Anzeigen in ganz Österreich.Bundeskriminalamt

Zahl der Anzeigen in ganz Österreich.

Ein bisschen mehr als ein Drittel aller in Österreich getätigten Anzeigen erfolgten im vergangenen Jahr in Wien. In der Hauptstadt leben aber auch rund 21 Prozent aller Österreicher:innen, allein in den letzten Jahren kam die Einwohnerzahl von Graz dazu.

"Sehr, sehr sichere Großstadt"

Städte sind jünger, soziale Probleme werden eher öffentlich sichtbar, die Bevölkerungsdichte ist größer und es gebe im Unterschied zum Land ein ausgeprägtes Nachtleben. Wien mit den anderen Bundesländern zu vergleichen, mache daher auch nur wenig Sinn, sagt Soziologe Kenan Güngör im Gespräch mit PULS 24. Wien sei eine "sehr, sehr sichere Großstadt". Es gebe aber das Phänomen, wonach sichere Städte als unsicherer wahrgenommen werden. Je höher die Sicherheit, desto mehr Aufsehen erregen Einzelfälle.

Anzahl der Anzeigen in Wien.Bundeskriminalamt

Anzahl der Anzeigen in Wien.

Von 2021 auf 2022 gab es in Wien, wie auch österreichweit, vor allem größere Anstiege bei Cybercrime und Wirtschaftsdelikten. Medial sind aber oft andere Delikte im Fokus, was wohl Auswirkungen auf das viel zitierte subjektive Sicherheitsgefühl hat. Besonders im Jänner diesen Jahres häuften sich in Wien die Kapitalverbrechen. In der Silvesternacht wurde ein Apotheker tot aufgefunden, zwei Tage später folgte eine Leiche in Margareten und schließlich kam es in Simmering auf offener Straße zu einer tödlichen Schießerei.

Weniger Kapitalverbrechen

Statistisch dürfte es sich aber um Zufall handeln. Über die Jahrzehnte gingen die Mordfälle in Österreich generell zurück. Im Vorjahr wurden in Wien 16 vollendete Tötungsdelikte verübt, bei denen fünf männliche und elf weibliche Personen getötet wurden. In ganz Österreich gab es 72 Tötungsdelikte, bei denen 39 Frauen und 33 Männer ums Leben kamen.

Angezeigte Tötungsdelikte in WienPULS 24

Tötungsdelikte in Wien

Ein weiteres Deliktfeld, das im medialen Fokus steht, sind Vergewaltigungen. 1.139 wurden im Vorjahr angezeigt, 365 davon in Wien. Die Zahl blieb in den letzten Jahren weitgehend auf demselben Niveau, wobei Delikte ohne Täter-Opfer-Beziehung die Ausnahme sind, Vergewaltigungen im öffentlichen Raum sind selten.

Angezeigte Vergewaltigungen in WienPULS 24

Angezeigte Vergewaltigungen in Wien

Finden sie aber doch im öffentlichen Raum statt – und haben die mutmaßlichen Täter:innen Migrationsgeschichte, werden diese Delikte vom Boulevard und bestimmten politischen Kreisen besonders hervorgehoben.

Ein Beispiel ist etwa die Vergewaltigung einer 18-Jährigen im Oktober 2022 in einer öffentlichen Toilette am Praterstern. Kurz darauf wurden zwei Syrer – einer davon am Keplerplatz in Favoriten – festgenommen.

Migranten überrepräsentiert

Aber wie sieht es mit dem Ausländeranteil bei den begangenen Straftaten tatsächlich aus? Fest steht, dass ein Großteil der Migrant:innen in Österreich aus europäischen Ländern wie Deutschland, Rumänien und Serbien kommt – aus diesen Ländern stammen auch die meisten Tatverdächtigen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft.

Anteil von Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft an TatverdächtigenBundeskriminalamt

Anteil von Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft an Tatverdächtigen in ganz Österreich.

Rund 32 Prozent der Wiener:innen hatten 2022 eine ausländische Staatsbürgerschaft. Laut Bundeskriminalamt waren rund 53 Prozent Prozent aller ausgeforschten Tatverdächtigen nicht-österreichische Staatsbürger:innen.

Dass ausländische Verdächtige überrepräsentiert sind, ist kein Wien-Spezifikum, das ist auch in anderen Bundesländern so. Österreichweit hatten im vergangenen Jahr 42,5 Prozent aller Tatverdächtigen keine österreichische Staatsbürgerschaft, während das nur auf 17,7 Prozent der Einwohner:innen zutraf. Im Verlauf der Jahre wuchs der Anteil ausländischer Verdächtiger kontinuierlich, während auch die Einwanderung anstieg.

Menschen mit ausländischen Staatsbürgerschaften, die in Österreich leben, sind deswegen aber nicht tendenziell krimineller: Die Statistik sagt nichts darüber aus, ob die Tatverdächtigen überhaupt in Österreich leben. Wie viele Tatverdächtige im Ausland ermittelt werden, hängt auch davon ab, wie gut die internationale Zusammenarbeit der Polizei funktioniert. Eine Person kann natürlich auch mehrere Anzeigen bekommen und so die Statistik verzerren.

Syrer und Afghanen im Fokus

Debattiert wird aber ohnehin meist nicht über alle Migrant:innen gleich. Im Zusammenhang mit Kriminalität geht es meist um Afghanen und Syrer – früher um Tschetschenen. Boulevard und bestimmte Politiker:innen heben ihre Rolle gerne hervor.

Fest steht, dass das Jahr 2015, in dem viele Flüchtlinge aus diesen Ländern nach Österreich kamen, keine nennenswerte Auswirkung auf die Gesamtkriminalität hatte. Es stimmt aber doch, dass Syrer und Afghanen bei einzelnen Delikten gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung überrepräsentiert sind. Das betrifft etwa Vergewaltigungen, aber auch Körperverletzungen.

Kenen GüngörAPA/HANS KLAUS TECHT

Kenan Güngör 

Dafür gibt es eine Vielzahl an Erklärungsmöglichkeiten: So sind die Afghanen und Syrer, die in Österreich leben, besonders jung und männlich. Junge Männer weisen generell das höchste Kriminalitätsrisiko auf. Dazu kommen Erklärungen wie ihre Lage als Asylwerber, keine Arbeit und fehlende Tagesstrukturen sowie traumatisierende Kriegs- sowie Fluchterfahrungen.

Aber auch kulturelle Faktoren könnten eine Rolle spielen: patriarchale Rollenbilder etwa, oder dass Sex generell tabuisiert wird. Keineswegs bilden die Gesetzesbrecher aber die gesamte Diaspora ab. Der "kleinste Teil" der Geflüchteten werde kriminell, betont auch Soziologe Güngör.

In den Fokus geraten neben Afghanen und Syrern aber auch bestimmte Wiener Bezirke. Meist jene mit höherem Migrant:innenanteil. Politiker:innen wie Mahrer machen daraus "No-Go-Areas" und "Problem-Viertel".

Die von Mahrer besuchten Orte wie Brunnen- und Viktor-Adler-Markt dürften die wenigsten Menschen so verstehen. Öfter werden Kepler- und Reumannplatz, der Praterstern oder manche U6-Stationen genannt.

"Keine Crime-Hotspots"

Die Wiener Polizei betont auf PULS 24 Anfrage, dass es in Wien "keine Crime-Hotspots" gibt. Auch ein Blick auf die Statistik bestätigt Vorurteile gegenüber gewissen Bezirken nicht. Wie aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung hervorgeht, wurden in Favoriten, Donaustadt und Floridsdorf zwar tatsächlich die meisten Anzeigen getätigt, diese Bezirke haben aber auch die meisten Bewohner:innen. Wäre Favoriten nicht Teil Wiens, wäre es Österreichs zweitgrößte Stadt.

Im Verhältnis zu den dort lebenden Menschen, erfolgen die meisten Anzeigen in der Inneren Stadt und in Mariahilf. Diese Bezirke gelten in der allgemeinen Wahrnehmung aber als sicher.

"Orte mit größerer Spannung"

Bei den angezeigten Delikten gibt es nur geringe Unterschiede: In Favoriten wurden im Jahr 2022 laut Daten des Bundeskriminalamts am häufigsten die Delikte Körperverletzung, Diebstahl und fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr angezeigt. In der Inneren Stadt waren es Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz, Diebstahl und Körperverletzung und in Mariahilf Diebstahl, Körperverletzung und Entwendungen.

Mit der tatsächlichen Kriminalität habe die gefühlte Sicherheit aber ohnehin nicht unbedingt zu tun, sagt Kenan Güngör. Es gebe in Wien keine "No-Go-Areas", sagt auch er. Es gebe aber "Meid-Zonen" oder "Orte mit größerer Spannung" – vor allem für Frauen. Wo diese sind, ändere sich im Laufe der Zeit und hänge auch von der Tageszeit oder den Milieus ab, die sich dort gerade treffen. Es brauche mehr Jugendarbeit, aber auch städteplanerische Maßnahmen wie Beleuchtung könnten helfen.

ribbon Zusammenfassung
  • Von Brunnen- bis Viktor-Adler-Markt wollen bestimmte Politiker:innen in Wien immer wieder "No-Go-Areas" finden. Doch wie steht es um die Sicherheit in Wien wirklich?
  • Wien sei eine "sehr, sehr sichere Großstadt". Es gebe aber das Phänomen, wonach sichere Städte als unsicherer wahrgenommen werden, sagt Soziologe Güngör.
  • Die Wiener Polizei betont auf PULS 24 Anfrage, dass es in Wien "keine Crime-Hotspots" gibt.

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