Symbol FemizidAPA/dpa/Marcel Kusch

"Tendenz steigend": 2022 wieder traurige Bilanz bei Femiziden

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Österreich liegt bei Frauenmorden im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Die Zahlen bleiben hoch, mutmaßlich gab es in diesem Jahr 28 Femizide. Wieder waren die Täter vor allem (Ex-) Partner, Bekannte und Familienmitglieder. Was dagegen 2022 getan wurde und was noch geschehen muss.

Schon am 8. Jänner gab es im Jahr 2022 den ersten mutmaßlichen Femizid. In Weißenkirchen in Oberösterreich war eine 42-jährige Frau mutmaßlich von ihrem Ehemann durch einen Schuss tödlich verletzt worden. Die fünffache Mutter starb im Krankenhaus. Der Mann informierte selbst die Polizei und ließ sich festnehmen. 

Mutmaßlich 28 Femizide

Die Zahl der ermordeten Frauen steigt laut polizeilicher Kriminalstatistik an. 2014 waren es 19, 2018 sogar 41 und im Jahr 2021 29 Frauen, die wie die Mutter in Weißenkirchen meist ihren (Ex-) Partnern oder Familienmitgliedern zum Opfer fielen. Im Schnitt werden also drei Frauen im Monat getötet. Laut den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern (AÖF) waren es im Jahr 2022 28 Frauen, die mutmaßlich ermordet wurden - darunter ein Mädchen. In 27 Fällen waren die mutmaßlichen Täter Bekannte oder Verwandte der Opfer.

Die Zahlen bleiben also weiterhin hoch. Im Bundeskriminalamt hat man für das Jahr 2022 noch keine endgültige Statistik und will daher gegenüber PULS 24 nicht über konkrete Zahlen sprechen. Ein Sprecher sagt aber, dass die langfristige "Tendenz steigend" sei. 

35 Prozent der Frauen in Österreich waren laut Statistik-Austria-Zahlen aus dem Jahr 2021 von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen. Mehr als jede vierte Frau musste sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erleben und mehr als jede fünfte Frau wurde schon Stalking-Opfer. Auch die verhängten Betretungs-und Annäherungsverbote steigen: Im Jahr 2018 waren es 8.076, im Jahr 2021 13.546 und 2022 bis Anfang Dezember schon rund 13.300. 

Wie Österreich bei Femiziden im internationalen Vergleich dasteht, ist schwer zu sagen. Für das Jahr 2022 gibt es sowieso noch keine Statistiken. Die letzten vergleichbaren Zahlen stammen laut APA-Faktencheck aus dem Jahr 2018. Es zeigt sich, dass Österreich bei Frauenmorden im Jahr 2009, 2011, 2016 und 2018 im oberen Drittel der meisten weiblichen Mordopfern pro 100.000 Einwohnern gelegen hat. Morde mit männlichen Opfern gehen dagegen tendenziell zurück.

Was hat sich getan?

"Wir finden uns nicht damit ab, dass es so ist. Wir arbeiten daran, von diesen erschreckenden Zahlen wegzukommen. Wir akzeptieren es nicht", sagte Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) beim dritten Gewaltschutzgipfel Anfang Dezember.

Was läuft falsch in Österreich?

2022 wurden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: So fördert beispielsweise das Sozialministerium das Projekt "StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt" - ein Projekt für eine gewaltfreie Nachbarschaft. In Wien wurde der Grundstein für ein Mädchenzentrum gelegt, das 2023 starten soll. Hier soll der Fokus auf die Betreuung von Mädchen mit Migrationsgeschichte gelegt werden. 

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) kündigte Gewaltschutzambulanzen an, wo auch Beweise für Gerichtsverfahren gesichert werden sollen. Das soll die bislang geringe Verurteilungsrate erhöhen. Zudem gibt es nun für Täter eine verpflichtende Beratung von sechs Stunden. Das Budget für Gewaltschutz und Prävention wurde zuletzt um 24,5 Millionen Euro erhöht.

"Wir begrüßen grundsätzlich die aktuellen Maßnahmen in der Täterarbeit", heißt es von den Autonomen Frauenhäusern gegenüber PULS 24 dazu. Doch die sechs Stunden Täterberatung würden wohl nicht ausreichen, um "das Problembewusstsein und das Verhalten des Täters nachhaltig und langfristig zu ändern". Das erhöhte Budget des Familienministeriums sei "nur ein Tropfen auf den heißen Stein". Es brauche 228 Millionen Euro, um eine österreichweite Bewusstseinskampagne zu starten, um die Frauenhelpline (Tel.: 0800 222 555) bekannt zu machen. Zudem brauche es laut AÖF "3.000 neue Vollzeitstellen im Gewaltschutzbereich und für Betreuung und Begleitung der betroffenen Frauen und ihrer Kinder".

Kritik an den Behörden

Kritik übt die AÖF-Sprecherin gegenüber PULS 24 auch an den Behörden: "Eigentlich haben wir in Österreich gute Gesetze zum Schutz vor Gewalt, jedoch werden diese oft nicht wirksam angewendet oder ausgeschöpft." Gefährliche oder polizeibekannte Täter würden zu oft auf freiem Fuß angezeigt, anstatt in U-Haft genommen zu werden.

Zuletzt wurde einer Frau in Oberösterreich, die bei der Polizei anrief, nur geraten, doch Anzeige zu erstatten. Die Frau arbeitete in einem Fitnessstudio in Vöcklabruck, ihr Ehemann stand vor der Tür. Davor hatte er ihr Drohungen geschickt. Wenige Minuten später stach er mit einem Messer auf sie ein. Die Frau wurde ins Spital gebracht - mittlerweile ist ihr Gesundheitszustand stabil. "Solche Behördenfehler dürfen nicht passieren", sagte AÖF-Geschäftsführerin Maria Rösslhummer danach im PULS 24 Interview. 

Appell an Behörden: Hilferufe erst nehmen

Außerdem wünschen sich die Autonomen Frauenhäuser, dass Medien im Zusammenhang mit Femiziden nicht mehr von "Familientragödien", "Beziehungsdramen" oder "Einzelfällen" schreiben oder gar den Frauen die Schuld zuschieben.

Konservative Männerbilder

Wer einen Blick auf die Liste der mutmaßlichen Femizide 2022 wirft, erkennt - neben dem häufigen Naheverhältnis zwischen Täter und Opfer - auch eine auffällige Häufung von Suiziden bei den mutmaßlichen Tätern. In Medien ist dann häufig von "erweiterteten Suiziden" die Rede. Auch das sei oft nicht richtig, so die AÖF-Sprecherin: "In den allermeisten Fällen ist es ein Mord an der Frau und ein darauffolgender Suizid des Täters." 

Diese Männer würden mit der Situation nicht zurecht kommen oder sie hätten nie gelernt, Konfliktsituationen gewaltfrei zu lösen oder sich externe Hilfe zu holen. "Patriarchale Vorstellungen von Geschlecht und konservative Männerbilder spielen dabei ebenfalls eine große Rolle." Die Herkunft von Tätern hingegen laut AÖF eher nicht: "Gewalt an Frauen und Femizide, werden genauso von sognannten 'autochthonen' Männern begangen." 

Helfen könnten laut AÖF auch strengere Waffengesetze. So besaß auch der Mann, der seiner Frau am 8. Jänner 2022 in Weißenkirchen in Oberösterreich in den Kopf geschossen haben soll, seine Waffe legal.

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ribbon Zusammenfassung
  • Mutmaßlich gab es 2022 28 Femizide in Österreich. Die Zahlen bleiben hoch.
  • Wieder waren vor allem (Ex-) Partner, Bekannte oder Familienmitglieder die Täter.
  • Was 2022 dagegen getan wurde und was noch geschehen muss.

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