Kinder beim Malen bzw. Zeichnen.APA/GEORG HOCHMUTH

Lücken im System: Verurteilter Missbrauchstäter arbeitet wieder mit Teenagern

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2017 sprach ein Gericht ein Tätigkeitsverbot gegen einen ehemaligen Lehrer aus Niederösterreich aus. Er hatte ein Kind missbraucht. Nun gab er wieder einen Kurs in einer Wohneinrichtung für Kinder und Jugendliche, wie PULS 24 Recherchen zeigen. Ein Fall, der bestehende Lücken aufzeigt.

Wegen Missbrauchs von Unmündigen, Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses und wegen Missbrauchsdarstellungen von Minderjährigen wurde ein ehemaliger Lehrer 2017 in Wiener Neustadt zu zwei Jahren Haft verurteilt. Zudem wurde gegen den ehemaligen Klassenvorstand ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen. Er darf demnach nicht mehr als Lehrer, Erzieher oder Betreuer Minderjähriger arbeiten. 

Dennoch hielt der Mann zuletzt einen Mal-Workshop in einer Wohneinrichtung für Jugendliche in Niederösterreich, wie PULS 24 in Erfahrung brachte. Auch bei anderen Workshops von ihm besteht der Verdacht, dass zumindest eine unter 18-jährige Person teilnahm. Die Polizei Niederösterreich und die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bestätigen gegenüber PULS 24 zwar Ermittlungen. Doch dass es so weit kommen konnte, liegt auch an Lücken im Kinderschutz.

Der Mann, um den es geht, war von Frühjahr 2013 bis Sommer 2016 Klassenvorstand an einer Schule im Bezirk Mödling. Über WhatsApp hat er im Oktober 2015 Kontakt zu einer 13-Jährigen Schülerin aufgenommen und "schön langsam Vertrauen aufgebaut", wie die Staatsanwaltschaft beim Gerichtsprozess 2017 ausführte. Als sich die Schülerin im November 2015 mit einem persönlichen Anliegen an den Lehrer wandte, hat er sie in seine private Wohnung eingeladen. Es kam zu ersten missbräuchlichen Berührungen. 

Von Dezember 2015 bis Jänner 2017  missbrauchte der Mann bei weiteren Treffen die Schülerin dann mehrmals sexuell. Er brachte die Schülerin außerdem dazu, ihm Videos und Nacktfotos zu schicken - und schickte dem Mädchen auch Nacktfotos von sich selbst. Die Polizei fand die Aufnahmen später auf dem Handy des Lehrers. Der Angeklagte "nützte das Autoritätsverhältnis schamlos aus", führte die Staatsanwaltschaft aus. 

Strafe ist getilgt

Der Lehrer, der zu diesem Zeitpunkt schon an einer Schule im Bezirk Neunkirchen tätig war, wurde gekündigt und in U-Haft genommen. Der Schülerin, die durch die Übergriffe psychologisch beeinträchtigt wurde, musste er 5.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Noch während der U-Haft meldeten sich noch weitere Schülerinnen, die von sexueller Belästigung sprachen. Eine davon sprach von "einvernehmlichen Sex". Da sie bereits 16 Jahre alt war, hatte dieser Fall strafrechtlich keine Konsequenzen. 

Seine Haftstrafe hat der ehemalige Lehrer abgesessen, sie ist damit getilgt. Mittlerweile hat er seinen Namen geändert. Kontakt zu Kindern dürfte er beruflich eigentlich immer noch nicht haben.

Wieder Workshops mit Jugendlichen

Dennoch hielt der Mann im Jänner 2023 einen seiner Workshops, die er nun als "freischaffender Künstler" anbietet, in einer Wohneinrichtung für Jugendliche in Niederösterreich. Die Teilnehmer waren laut der Einrichtung zwischen 15 und 20 Jahre alt. Bei weiteren Workshops, die er an anderen Orten abhielt, könnte zumindest eine unter-18-jährige Person teilgenommen haben.

Mit seiner "einfühlsamen und kreativen Art" soll er bei dem Workshop in der Wohneinrichtung "das Innerste" aus den Jugendlichen herausgeholt haben, schrieb die Einrichtung später auf Social Media. Nachdem PULS 24 auf die Vergangenheit des Mannes aufmerksam machte, wurde das Posting gelöscht.

Die Einrichtung, in der Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr wohnen, wolle eben "so oft wir können" interessante Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung anbieten und habe sich deshalb für die regionalen Künstler entschieden, teilte die Geschäftsführung mit. Der Mann hielt zusammen mit einer Frau an zwei Tagen hintereinander einen Workshop ab. Laut der Einrichtung waren immer drei Mitarbeiter:innen dabei. Es könne "ausgeschlossen" werden, dass die Künstler mit den Jugendlichen alleine waren.

Kein Background-Check, da nicht angestellt

Einen Background-Check habe man vor dem Workshop jedoch nicht durchgeführt. "Da WorkshopanbieterInnen weder unsere KlientInnen betreuen noch alleinverantwortlich arbeiten und auch nicht bei uns angestellt sind, ist ein Background-Check nicht vorgesehen". Nur Mitarbeiter:innen müssen vor Anstellung eine Strafregisterbescheinigung vorlegen. Zum Zeitpunkt des Workshops habe man daher vom Tätigkeitsverbot des Mannes nichts gewusst, so die Geschäftsführerin.

Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln mittlerweile gegen den Mann: "Wir bestätigen, dass Erhebungen gegen einen 42-Jährigen aus dem Bezirk Neunkirchen laufen", teilte die Landespolizeidirektion Niederösterreich auf PULS 24 Anfrage mit. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bestätigt die Erhebungen ebenfalls. Um wie viele Kurse es insgesamt geht, steht noch nicht fest. Ob Anklage erhoben wird, werde man nach abgeschlossenen Ermittlungen überprüfen.

Lücke im Kinderschutz

Schon jetzt zeigt der Fall aber bestehende Lücken im Kindesschutz auf. Denn, dass ein Tätigkeitsverbot verhängt wurde, ist eher eine Ausnahme und Vereine wie die Wohngemeinschaft sind nicht verpflichtet, ein solches zu kontrollieren. 

Ein Beispiel, das im vergangenen Sommer für Aufregung sorgte: Ein Mann, der 2010 wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war, bot mehrtägige Feriencamps für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren an und war für den Alpenverein tätig. Gegen diesen Mann gab es allerdings - im Gegensatz zu dem Fall, den PULS 24 aufdeckte, kein Tätigkeitsverbot. So ein Verbot kann nach derzeitiger Rechtslage nur gegen Personen verhängt werden, wenn diese schon davor in Berufen tätig waren, in denen sie mit Kindern zu tun hatten. 

Mehr dazu:

Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) forderte nach dem Bekanntwerden des Falls im Sommer, dass das geändert werden sollte. Aber erst als die Vorwürfe gegen den Schauspieler Florian Teichtmeister im Jänner an die Öffentlichkeit gerieten, rang sich die Regierung durch, neue Kinderschutzmaßnahmen zu verkünden. Plakolm sprach wieder davon, die "zynische Lücke" beim Tätigkeitsverbot schließen zu wollen. Wann die Maßnahmen - darunter auch härtere Strafen, Kinderschutzkonzepte an Bundesschulen sowie mehr Geld für Polizei, Therapien und Beratungen - in Kraft treten, ist allerdings noch nicht bekannt. 

Schon lange konkrete Verbesserungsvorschläge

Kinderschutz-Institutionen fordern seit Jahren Verbesserungen und machen konkrete Vorschläge: Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) fordert etwa, dass ein Tätigkeitsverbot nicht nur verhängt werden kann, wenn ein Täter in seinem Beruf mit Kindern zu tun hatte und wenn das Gericht Wiederholungsgefahr sieht. Zudem sei das Gesetz zu schwammig, denn kurzfristige Tätigkeiten, wie etwa bei Ferienlagern, seien davon oft nicht umfasst.

Tätigkeitsverbote seien aber nur eine der Schrauben, an denen zu drehen wäre. Selbst, wenn Tätigkeitsverbote für alle verurteilten Täter ausgesprochen werden könnten, wäre das nur ein "winziges Rädchen", merkt Hedwig Wölfl, Leiterin der Kinderschutzorganisation "die möwe", im Gespräch mit PULS 24 an. Denn zum Einen können Tätigkeitsverbote nur ausgesprochen werden, wenn jemand verurteilt wurde, also schon etwas passiert ist. Und zum Anderen sei derzeit überhaupt nicht geregelt, wer das bei Nichteinhaltung überhaupt kontrollieren und der Justiz melden muss - Arbeitgeber oder Behörden.

Ungeklärte Zuständigkeiten seien im Kinderschutz generell ein Problem, so Wölfl. Denn Kinderschutz ist seit 2018 Ländersache und damit ein Fleckerlteppich. Den zuständigen Behörden stünden je nach Bundesland unterschiedliche Mittel zur Verfügung, was sich darauf auswirke, wie genau sie hinsehen oder wie viele Betroffene auf einen Sozialarbeiter kommen. Auch die Unterstützungsleistungen für Familien sind in den Bundesländern unterschiedlich hoch.

Kinderschutzzentren vollkommen unterfinanziert

An Finanzen würde es generell mangeln. Behörden und Kinderschutzzentren arbeiten "am Anschlag", so Wölfl. Auch laut Kinder- und Jugendanwaltschaft sei die Finanzierung des Kinderschutzes "verbesserungswürdig". "Es ist traurig, dass solche Projekte immer nur Anlassbezogen forciert werden, obwohl Kinder und deren Wohl eigentlich immer im Zentrum stehen müssen".

Neun verschiedene Regelungen seien "eine echte Katastrophe in so einem kleinen Land", kritisiert Wölfl. Die Psychologin versteht nicht, warum im Zuge der angekündigten Reformen kein bundesweit gültiges Rahmenkinderschutzgesetz eingeführt wird. Dass die Zuständigkeit nicht beim Bund liegt, führe nämlich auch dazu, dass etwa nur Bundesschulen ein Kinderschutzkonzept brauchen werden. Andere Schulen und Kindergärten sind Ländersache - nur Wien und das Burgenland verlangen derzeit ein solches präventiv wirksames Konzept von Kindergärten.

Auch Vereine, wie etwa Sportclubs, Freizeiteinrichtungen oder eben jene Wohngemeinschaft in Niederösterreich, sollen nach den neuen Maßnahmen der Regierung nicht dazu verpflichtet werden, ein Kinderschutzkonzept vorzulegen. Geht es nach der Regierung, soll es für sie aber zukünftig zumindest ein Gütesiegel geben, wenn sie ein solches Konzept vorlegen. Was dieses beinhalten muss, steht noch nicht fest.

Keine Förderung ohne Background-Check

Wölfl würde hier weiter gehen: Förderungen soll es nur noch mit Konzept geben und "zumindest" müssen Vereine auch den Leumund und damit etwaige Tätigkeitsverbote überprüfen. Die Kinder -und Jugendanwaltschaft fordert: Ein Kinderschutzkonzept muss beinhalten, dass ein erweiterter Strafregisterauszug verlangt wird, das sollte auch für Vereine gelten, die mit Kindern und Jugendliche arbeiten. Kooperationen sollten nur mit Organisationen geschlossen werden, die selbst ein Schutzkonzept vorlegen können. 

Wohngemeinschaft verspricht Maßnahmen

Die Wohngemeinschaft in Niederösterreich ist nach derzeit geltendem Recht also nicht verpflichtet gewesen, vom Künstler einen Strafregisterauszug zu verlangen. Als man vom Tätigkeitsverbot erfahren habe, habe man "die zuständige Kriminalabteilung" und die Jugendhilfe informiert. "Von beiden Seiten wurde uns versichert, dass wir in der gegenständlichen Sache alle erforderlichen Voraussetzungen eingehalten haben und uns hier nichts vorzuwerfen ist. Wir haben zum Zeitpunkt des Workshops nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt", teilt die Geschäftsführerin mit.

Nun will der Verein freiwillig strengere Maßnahmen einführen: "Wir möchten diese zugegebenermaßen schwierige Situation dazu nutzen, noch vorhandene Lücken zu schließen", so die Geschäftsführerin gegenüber PULS 24. Man werde von externen Personen zumindest eine Selbsterklärung verlangen. Weitere Kurse mit den Künstlern seien nicht geplant.

 Ob der Mann mit dem Kurs tatsächlich gegen das Tätigkeitsverbot verstoßen hat, müssen nun die Ermittlungen zeigen. Zumindest der Verdacht besteht, wie die angelaufenen Ermittlungen zeigen. Der Verdächtige selbst reagierte auf eine PULS 24 Anfrage nicht.

ribbon Zusammenfassung
  • 2017 sprach ein Gericht ein Tätigkeitsverbot gegen einen ehemaligen Lehrer aus Niederösterreich aus. Er hatte ein Kind missbraucht.
  • Nun gab er wieder einen Kurs in einer Wohneinrichtung für Kinder und Jugendliche, wie PULS 24 Recherchen zeigen.
  • Ein Fall, der bestehende Lücken aufzeigt.