Saal 303

20 Jahre Haft

Baby vor Klinik getötet: "Würde heute alles anders machen"

Heute, 13:04 · Lesedauer 6 min

Am Wiener Straflandesgericht stand eine 30-Jährige vor Gericht, die im vergangenen November ihr Neugeborenes unweit der Klinik Favoriten tötete und in einem Müllcontainer entsorgte. 20 Jahre Haft lautete das - nicht rechtskräftige - Urteil am Dienstag.

Vergangenen November hatte die 30-Jährige ihr Neugeborenes eine Woche nach der Geburt vor der Klinik Favoriten getötet und anschließend in einem Müllcontainer entsorgt

Am Dienstag wurde sie von einem Schwurgericht in Wien dafür schuldig gesprochen und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Angeklagte erbat sich Bedenkzeit.

"Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte..."

Auf der Anklagebank saß die 30-Jährige zusammengekauert und mit gesenktem Blick. Beim Betreten des Saals verhüllte sie ihr Gesicht vor den Kameras. Die langen, schwarzen Haare fielen ihr ins Gesicht. Das mediale Interesse an dem Fall war groß, der Saal bis auf den letzten Platz besetzt.

Als ihre Tat nacherzählt wurde, kamen der Angeklagten die Tränen. Sie könne nicht mehr in den Spiegel schauen, leide unter schwersten Depressionen.

"Damals hab ich nicht normal denken können, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich alles anders machen. Dann würde mein Kind noch leben", ist ein Satz, den die 30-Jährige im Laufe des Verfahrens mehrmals von sich gab. Passiert sei die Kindestötung im Affekt, behauptete die Angeklagte.

"Ich weiß, ich bin ein Monster. Aber ich habe meine Tochter geliebt", so die 30-Jährige vor den Geschworenen und Richterinnen.

Schwere familiäre Verhältnisse

Die Geschichte der Angeklagten war von einigen Hindernissen geprägt. Sie sei in einer traditionell geprägten türkischen Familie aufgewachsen, ihre Eltern hätten ihr, im Gegensatz zu ihren Brüdern etwa, verboten, allein das Haus zu verlassen. "Ich war das Dienstmädchen für alle" erklärte sie mitgenommen und mit anfangs leiser Stimme vor Gericht.

Dennoch lernte sie vor zehn Jahren ihren späteren Partner beim Ausgehen unter der Obhut eines Familienmitglieds kennen. Nach einigen Jahren stellte sie ihn auch ihrer Familie vor. Die akzeptierte ihn vorerst.

Das Blatt wendete sich, als das junge Paar 2023 in Ungarn wegen des Vorwurf der Schlepperei in Untersuchungshaft kam. Beide kehrten zurück nach Österreich, mit ihrem Partner durfte sie sich aber fortan nicht mehr treffen, erklärte die Frau vor Gericht. Ihre Eltern hätten die Trennung verlangt.

Die Treffen erfolgten fortan heimlich. Dass sie schwanger war, bemerkte die Wienerin erst in der 19. Schwangerschaftswoche – zu spät für eine Abtreibung in Österreich. Für eine Abtreibung im Ausland fehlte das Geld.

Für die 30-Jährige brach eine Welt zusammen. "Ich hatte kein Vertrauen in den Kindesvater und, dass wir eine Wohnung finden“, sagte sie vor Gericht. Eine Zukunft zu dritt hätte sie sich nach der ungeplanten Schwangerschaft nicht vorstellen können.

Wollte Kind nicht hergeben

Ob sie sich denn nicht über eine Freigabe zur Adoption oder über das System von Babyklappen informiert hätte, wollte die Richterin von der bestürzten 30-Jährigen wissen. Die schüttelte nur den Kopf. "Ich wollte mein Baby nicht hergeben", zitiert Strafverteidigerin Astrid Wagner ihre Mandantin.

Aufgrund der Distanz zur eigenen Familie, bot ihr Partner der 30-Jährigen schließlich an, nach der Geburt des gemeinsamen Kindes vorübergehend zu seiner Familie zu ziehen. "Für mich war das keine Option, ich habe mich dort nicht wohlgefühlt", erklärte die Frau.

Video: 20 Jahre für Kindstötung: "Luft nach unten"

Im November 2024 kam das Kind dann zu früh, aber gesund auf die Welt. Eine Woche lang lag das neugeborene Kind auf der Früchenstation, laut dem Kindesvater war das Kinderbett bei den Eltern bereits hergerichtet gewesen.

Doch das vorbereitete Kinderzimmer sollten die beiden nie betreten. Am Tag der geplanten Entlassung aus der Klinik Favoriten beendete die Mutter das Leben ihrer Tochter.

Kind verschwunden

Erst hätte sie das Kind unbemerkt draußen abstellen und aussetzen wollen. Das Baby habe aber nicht aufgehört zu schreien. "Ich war in einem Tunnelblick", erzählte die Angeklagte.

Als die Bilder ihres toten Babys im Gerichtssaal gezeigt werden, fehlten der 30-Jährigen die Worte. Sie blickte nur zu Boden, zeigte keine Regung. 

Der Kindesvater war am Tag des Verschwindens seiner Tochter außer sich, erzählte er im Rahmen der Gerichtsverhandlung. Seine Partnerin hingegen soll ungewöhnlich ruhig gewesen sein. Da schöpfte der Kindesvater Verdacht.

Detailliert erzählte seine Partnerin noch am Tag des Verschwindens von einem angeblichen Entführungsfall. Ein Mann habe das Baby am Spitalsgelände mitgenommen. Ein Narrativ, von dem sie abkam, als schließlich das Kind am nächsten Tag tot aufgefunden wurde.

Anklage glaubte nicht an Affekt

Die Staatsanwaltschaft sah vor Gericht einen eindeutigen Mordfall, keine spontane Affekthandlung. Warum die Angeklagte beim Verlassen des Spitals mit ihrer Tochter bereits ein Kartonsackerl und einen Müllbeutel dabeihatte, konnte sie nicht erklären. Die Anklage ging davon aus, dass die Mutter schon vorab plante, ihr Baby zu töten.

Die 30-Jährige war während der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zurechnungsfähig. Das bestätigte ein psychiatrisches Gutachten. Auch ein Zusammenhang der Kindestötung mit den unmittelbaren Nachwirkungen der Geburt wurde vor Gericht als unwahrscheinlich beschrieben.

Die letzten Worte der 30-Jährigen im Schlussplädoyer: "Es tut mir leid. Bei meiner Tochter kann ich mich nicht mehr entschuldigen."

Geschworenen sahen Schuld als erwiesen

Alle Geschworenen sahen in der Tat einen Mord. Das Urteil lautete 20 Jahre Freiheitsstrafe. "Die Tötung eines Kindes ist das schlimmste, was man sich vorstellen kann", so die Richterin.

Die Verurteilte könne froh sein, dass sie nicht die Höchststrafe – lebenslange Haft - abbekommen habe. Nach dem Urteil kamen der Frau die Tränen. Mit ihrer Anwältin verließ sie den Saal. Über ihr weiteres Vorgehen werde sie sich mit ihrer Anwältin Astrid Wagner beraten. Das Urteil ist dadurch nicht rechtskräftig.

Zusammenfassung
  • Eine 30-Jährige wurde in Wien zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil sie im November 2024 ihr neugeborenes Kind vor der Klinik Favoriten getötet und in einem Müllcontainer entsorgt hatte.
  • Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Angeklagte bat um Bedenkzeit und zeigte sich vor Gericht schwer depressiv sowie von familiären und sozialen Problemen belastet.
  • Die Staatsanwaltschaft sah den Mord als geplant an, da die Frau bereits beim Verlassen des Spitals entsprechende Gegenstände dabeihatte und das psychiatrische Gutachten ihre Zurechnungsfähigkeit bestätigte.
  • Die Obduktion ergab ein schweres Schädelhirntrauma durch stumpfe Gewalt und Würgen, wobei die Mutter angab, aus Überforderung und im Affekt gehandelt zu haben.
  • Alle Geschworenen sahen die Schuld als erwiesen an, die Richterin betonte die Schwere der Tat und wies darauf hin, dass die Verurteilte froh sein könne, nicht lebenslang erhalten zu haben.