Amoklauf an Schule
Gedenken an Opfer von Graz: "Werden euch nicht vergessen"
Am Rathaus, hoch über den Köpfen der Wartenden, weht die schwarze Flagge. Hunderte Menschen haben sich am Grazer Hauptplatz versammelt. Blickt man in die Menge, sieht man vor allem Jugendliche. Einige halten Kerzen in ihren Händen, viele sich aneinander fest. Zeigen ihren Freundinnen und Freunden, die mit den Tränen kämpfen: Ich bin da.
Es ist Abend geworden am Tag nach der Tragödie. Hinter der Menge stehen die Kerzen des Lichtermeers vom Dienstagabend.
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Kurzfristig hatte der steirische Landesverband der Muslimischen Jugend Österreich gemeinsam mit dem steirischen Landesjugendbeirat eine Gedenkfeier für die Opfer des Amoklaufs im BORG Dreierschützengasse auf die Beine gestellt.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist gekommen. "Wir werden euch nicht vergessen", sagt er. "Und ja, wenn wir das Waffengesetz ändern müssen, dann werden wir das tun." Dafür gibt es Beifall von den Jugendlichen.
Spätestens bei der Rede des Bruders eines Opfers liegen sich viele von ihnen in den Armen. Aus jeder Himmelsrichtung hört man trauriges Schluchzen. Jedes Augenpaar, das man sieht, ist glasig vor Tränen. Aus einem geöffneten Fenster auf der Höhe des Erzherzog-Johann-Brunnens, blickt eine ältere Frau und hört gebannt zu.
"Lebensfroh, energisch, neugierig, hilfsbereit"
Kenan erzählt, wie er seine 15-jährige Schwester nach seiner Mathe-Matura am Dienstag anrufen wollte und sie nicht ans Telefon ging. Von der Ungewissheit. Aber vor allem davon, was für ein Mensch seine Schwester war: "Lebensfroh, energisch, neugierig und hilfsbereit."
"Ich danke dir, Hanna, für die 15 Jahre, die ich mit dir erleben durfte, für die Nerven, die ich verloren habe, aber auch für das dadurch entstandene Gefühl von Liebe und Anhänglichkeit, das ich gewonnen habe. Du warst die Schwester, die ich mir so genau wieder wünschen würde", teilt Kenan unter Tränen der Menge mit. Alle weinen mit ihm.
Junge Menschen in schwarzen T-Shirts mit weißer Aufschrift der Muslimischen Jugend scharen sich um das Rednerpult, geben sich gegenseitig Kraft, legen sich die Arme um die Schultern. Sie haben am Dienstag drei ihrer Mitglieder verloren.
Gleich neben ihnen stehen Jungen und Mädchen der Naturschutzjugend, dahinter eine Gruppe Pfadfinder in hellroten Hemden. Am Schluss findet man sie mit entzündeten Stabkerzen im Publikum wieder.
Eine Gruppe Burschen hat zwei Schutzausrüstungen mitgebracht, wie man sie beim Football am Oberkörper trägt. Kleine, für junge Menschen. Kinder. Sie liegen in der Mitte des Hauptplatzes am Boden.
Nach Kenan spricht eine Schülerin des BORG Dreierschützengasse. Fatlume geht in die 7. Klasse. Als sie am Dienstag Lärm hörte, dachte sie zuerst an eine Baustelle. "Plötzlich haben wir verstanden: Wir müssen raus über den Schulhof", erzählt das Mädchen.
"Nicht zulassen, dass uns diese Tat zerreißt"
"Wer konnte, sprang über den Zaun. Es gab nicht genug Platz für alle. Manche sind durch den Haupteingang um ihr Leben gerannt, andere haben geholfen." Die Älteren hätten versucht, die Jüngeren zu beschützen.
Als sie selbst in Sicherheit war, habe sie nur an die Mitschülerinnen und Mitschüler gedacht, die noch im Gebäude waren. Ihr Zwillingsbruder verlor an diesem Tag einen seiner besten Freunde. "Wir werden es nicht zulassen, dass uns diese Tat zerreißt", sagt Fatlume.
Am Ende des Gedenkens steht die Menge am Hauptplatz Spalier, als ein Kranz zu den Kerzen vor dem Brunnen getragen wird. Immer lauter wird das Schluchzen. Eine Mitarbeiterin des Kriseninterventionsteams kommt zu einem Mädchen, das um Fassung ringt. Freundinnen stützen sie.
Zusammenfassung
- Bei einer Gedenkfeier am Grazer Hauptplatz trauerten am Mittwochabend Hunderte Menschen gemeinsam mit den Angehörigen der zehn Opfer des Amoklaufs an einer Schule.
- Bundespräsident Alexander Van der Bellen versprach den Jugendlichen: "Wir werden euch nicht vergessen".
- Drei der Getöteten waren Mitglieder der Muslimischen Jugend Österreich, die gemeinsam mit dem Landesjugendbeirat die Veranstaltung kurzfristig organisierte.
- Der Bruder einer 15-jährigen Schülerin schilderte unter Tränen, wie lebensfroh und hilfsbereit seine Schwester war und bewegte damit die Menge.
- Jugendliche verschiedener Gruppen, darunter Naturschutzjugend und Pfadfinder, setzten mit Kerzen, Umarmungen und einem Kranz ein Zeichen des Zusammenhalts und der Trauer.