APA/dpa/Annette Riedl

Armut und Alleinsein: Ein Jahr Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine

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Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine gibt es in der Versorgung von Vertriebenen alte und neue Baustellen. Armut und Einsamkeit sind nur einige der Probleme, die Ukrainer:innen vor Herausforderungen stellen. Im neuen Wiener Community Center von Train of Hope will man helfen. Ein PULS 24 Lokalaugenschein.

Jeden Tag gibt es um 18 Uhr Abendessen. Doch schon eine halbe Stunde davor füllt sich der Speisesaal des Community Centers für vor dem Krieg geflohene Ukrainer:innen im 15. Wiener Bezirk.

Die meisten sind ältere Menschen, wohl Pensionist:innen, aber auch Mütter sind mit ihren Kindern gekommen. Sie warten gespannt, was sich in dem Topf befindet, den die Freiwilligen aus der Küche gebracht haben. Auf den Tisch kommt, was gespendet wurde.

Das Bedürfnis nach Hilfe und nach Gesellschaft ist groß. Einsamkeit ein großes Thema. 200 bis 300 Vertriebene kommen täglich hierher. Wo noch vor Kurzem eine IT-Firma ansässig war, erstreckt sich in der Wiener Pfeiffergasse nun über mehrere Stockwerke das neue Zentrum. Hier wird Ukrainer:innen in allen Lebenslagen geholfen. Train of Hope war schon 2015 am Westbahnhof, als Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak kamen und war auch vor einem Jahr sofort am Start, als Russland sein Nachbarland überfiel.

Nina AndresenPULS 24 / Konstantin Auer

Nina Andresen im Train of Hope Community Center

"Heute vor einem Jahr haben wir noch gar nicht gewusst, ob wir was machen", sagt Nina Andresen von Train of Hope. Als es dann "traurige Gewissheit" gab, dass Putin tatsächlich einmarschiert, war für sie schnell klar: "Ja, wir machen was". Seither hat sich "viel getan", wie sie bei einem PULS 24 Lokalaugenschein schildert. Stolz führt sie durchs neue Community Center im 15. Bezirk, das erst im Jänner eröffnete.

Bis November betrieb Train of Hope das Ankunftszentrum im zweiten Bezirk. Aber man merkte, dass die Menschen länger Unterstützung benötigen. "Wir begleiten die Menschen nun beim wirklichen Ankommen", sagt Andresen. Und das ist für viele der Geflüchteten gar nicht so einfach.

Große Perspektivenlosigkeit

"Die Hoffnungen haben sich geändert", nun habe große "Perspektivenlosigkeit" eingesetzt, schildert die Flüchtlingshelferin. Zu Beginn hätten viele Vertriebene von einem "unfreiwilligen Zwangsurlaub" gesprochen. Man glaubte, nach ein paar Wochen, dann nach ein paar Monaten oder nach dem Winter zurückkehren zu können. Diese Erwartungen wurden enttäuscht.

Selbst wenn es überraschend Frieden geben würde, könnten viele nun nicht einfach in die Heimat. Vor allem Menschen aus der Ostukraine "haben dort nichts mehr", weiß Andresen aus zahlreichen Gesprächen. Bei Müttern komme dazu, dass die Kinder in Schule und Kindergarten oft Anschluss gefunden haben. Manche warten noch ab, andere würden beginnen, sich in Österreich ein Leben aufzubauen, sich um die Anerkennung von Ausbildungen und um Sprachkurse zu kümmern.

Mehr als acht Millionen Ukrainer:innen sind seit Kriegsbeginn geflüchtet, die meisten von ihnen nach Polen. In Österreich fanden bisher rund 92.000 Zuflucht, circa 23.000 davon leben in Wien. Laut Österreichischem Integrationsfonds (ÖIF) und AMS besucht fast die Hälfte einen Deutschkurs.

Spenden für Kinder im Community CenterPULS 24 / Konstantin Auer

Spenden für Kinder im Community Center

Von der oft geforderten 'Integration ab der ersten Stunde' sei dennoch nur wenig zu merken, kritisiert Andresen. Die Aufteilung der Geflüchteten auf die Bundesländer habe vor allem zu Beginn nicht gut funktioniert. Zu wenige Quartiere gab es in den Ländern – und noch immer laufe es "schleppend".

In Wien sind rund 86 Prozent der Ukrainer:innen privat untergebracht. Das habe zwar Vorteile für die Integration, doch auch viele Unterkunftgeber:innen hätten nicht damit gerechnet, dass sie ihre Wohnungen über ein Jahr lang hergeben müssen. Entstehende Kosten und steigende Energiepreise würden nicht genug abgegolten, so Andresen. Oft seien die Unterkünfte prekär, es gebe manchmal zu wenig Platz für Kinder zum Spielen und für Hausübungen.

In der Lounge im Community Center gibt es daher eine Spielecke für Kinder, es gibt Spielsachen und für die Eltern Kaffee und Gebäck. Gerade erst kam eine Spende mit Donuts herein. Hier haben die Ukrainer:innen Platz und können sich mit anderen Austauschen. Es gibt Räume mit Nähmaschinen und Staffeleien, bald kommen Computer hinzu und sogar ein E-Schlagzeug gibt es.

Geflüchtete in der Armutsfalle

Die Teuerung ist aber nicht nur für die Wohnungsbesitzer ein Problem. Auch die Geflüchteten würden mit der Grundversorgung kaum über die Runden kommen, sagt Andresen: "Das Überleben in Grundversorgung ist nur mit zusätzlicher Unterstützung möglich". Deshalb gibt es im Community Center Essen, es werden Babyprodukte, Tiernahrung und Kleidung verteilt - solange der Vorrat an Spenden reicht.

Ukrainer:innen müssen in der EU keinen Antrag auf Asyl stellen. Sie erhalten – vorläufig bis März 2024 - automatisch temporären Schutz und damit Zugang zur Grundversorgung, zum Bildungs -und zum Gesundheitssystem. Für den Arbeitsmarkt ist in Österreich noch eine Beschäftigungsbewilligung nötig. Grundversorgte Einzelpersonen, die nicht in organisierten Quartieren, sondern privat wohnen, erhalten in Wien pro Monat knapp mehr als 400 Euro. Mit der Teuerung "geht das gar nicht mehr zusammen", sagt Andresen. Die Helferin fordert, wie auch SOS Kinderdorf und Diakonie, dass Ukrainer:innen in die Sozialhilfe übernommen werden und damit Anspruch auf Mindestsicherung bekommen.

Windeln, Milchpulver, Spielzeug, Tiernahrung und Kleidung seien besonders gefragt. Andresen berichtet von Müttern, die ihren Kindern nicht immer eine warme Mahlzeit am Tag zubereiten können. Selbst Mobilität ist ein Problem geworden. Seit November dürfen Ukrainer:innen nicht mehr gratis mit den Öffis fahren.

Nur etwa 15 Prozent der Ukrainer:innen haben derzeit einen Job in Österreich, was ebenfalls mit der Grundversorgung zu tun hat. Denn wer mehr als 110 Euro monatlich verdient, verliert den Anspruch auf sie. Ein anderer Grund: Manche arbeiten von Österreich aus noch für ukrainische Unternehmen. Andresen berichtet etwa von einer Lehrerin, die regelmäßig kommt, um das W-Lan des Zentrums zu nutzen, um ihre Klasse zu unterrichten, die nun in ganz Europa verteilt ist.

Vieles hängt am Ehrenamt

"Wir sollten nicht wieder Chancen verpassen", fordert Andresen, die mehr Angebote fordert. Im Community Center will man zumindest einen Beitrag leisten. Zwei Stunden am Tag gibt es einen Infopoint, wo Fragen beantwortet, Briefe übersetzt und an die richtigen Behörden verwiesen wird.

Noch hängt vieles an den Ehrenamtlichen und an der Community selbst. Ukrainische Künstler:innen machen hier Malkurse für Kinder, es gibt Leherer:innen, die Nachhilfe anbieten und bald könnte es auch Deutschkurse – speziell für Ältere - geben. Nur drei Personen sind derzeit teilzeitangestellt.

Das soll sich ändern, dafür brauche es aber Förderungen. Die Verhandlungen mit der Stadt Wien laufen, so Andresen. Das brauche es "um den Rahmen gut aufrecht erhalten zu können".

Die Helferin ist sich bewusst, dass ein Großteil immer Ehrenamt bleiben werde, aber nach elf Monaten "kann das in dem Ausmaß kein Ehrenamt mehr sein". Viele der Helfer:innen hätten beim Brotjob, beim Studium zurückgesteckt. So auch die Helfer, die pünktlich um 18 Uhr das Essen ausgeben werden.

"Ein würdevolles Leben heißt keinen Hunger zu haben, keine Mangelernährung und dass sich kein Kind langweilen muss, weil es kein Spielzeug hat", sagt Andresen. Wie so oft springt die Zivilgesellschaft ein, wenn Bund und Länder auslassen.

So helfen Russinnen Ukrainerinnen in Österreich

Eine PULS 24 Reportage über Russinnen, die Ukrainer:innen in Wien helfen.

ribbon Zusammenfassung
  • Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine, gibt es in der Betreuung für Vertriebene noch immer und immer wieder neue Baustellen.
  • Armut und Einsamkeit sind nur einige der Probleme, die Ukrainer:innen vor Herausforderungen stellen.
  • Im neuen Wiener Community Center von Train of Hope will man helfen. Ein PULS 24 Lokalaugenschein.

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