AFP

Ein Jahr Ukraine-Krieg: Die bisherige Bilanz des menschlichen Leids

0

Seit einem Jahr kämpfen die ukrainischen und russischen Streitkräfte gegeneinander, das Leid der Zivilbevölkerung wächst unterdessen immer weiter. Der Krieg habe "katastrophale Auswirkungen" auf die Zivilbevölkerung, Zivileigentum sowie die Energieinfrastruktur mit sich gebracht, so die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).

Auch für den mittlerweile ein Jahr andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gilt das humanitäre Völkerrecht. Die Genfer Konvention besagt: Jede in einem Krieg involvierte Partei hat die Pflicht zwischen Zivilist:innen und Streitkräften zu unterscheiden und Vorkehrungen zu treffen, um Zivilpersonen vor den Gefahren des Krieges zu schützen. Sowohl Russland als auch die Ukraine sind Vertragsstaaten - trotzdem kam es im vergangenen Jahr zu zahlreichen Verletzungen des humanitären Völkerrechts.

Mehr als 7.000 Zivilisten getötet

Seit Beginn des Krieges bis Februar 2023 hat die Menschenrechtsbeobachtungsmission der Vereinten Nationen (HRMMU) mindestens 7.199 getötete Zivilist:innen und 11.756 Verwundete festgestellt. Die Organisation geht jedoch davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen noch viel höher liegen. Zum selben Zeitpunkt sollen laut der UN über 14 Millionen Menschen durch den Krieg aus ihrer Heimat vertrieben worden sein.

Misshandlungen und Folter

Seit dem Beginn des Krieges dokumentierten auch NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch (HRW) Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die während Russlands Angriffskrieg verübt wurden. So wurden zahlreiche zivile Einrichtungen wie Wohnhäuser, Fabriken sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen bombardiert und beschossen. Außerdem soll es zu Misshandlung, Folter, willkürlichen Festnahmen und gewaltsamem Verschwinden von zivilen Personen gekommen sein. 

HRW spricht auch von potenziellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Seiten der russischen Streitkräfte. So wurden zum Beispiel nach Abzug der russischen Truppen in mehreren Orten Massengräber entdeckt - unter anderem in Isjum und im Kiewer Vorort Butscha. Dort wurden nach ukrainischen Angaben rund 450 Leichen gefunden, die meisten würden Spuren von Folter oder gewaltsamem Tod aufweisen. Fast alle sollen Zivilist:innen gewesen sein. Russland bestreitet eine Beteiligung an gezielten Massakern.

Außerdem sollen auch Kriegsgefangene auf beiden Seiten "misshandelt, gefoltert und in einigen Fällen offenbar kurzerhand hingerichtet worden sein", so Human Rights Watch. Unter anderem sei die Rede von Schlägen, Elektroschocks und Scheinhinrichtungen.

Kein Wasser, kein Strom

Seit Mitte Oktober 2022 haben außerdem wiederholte russische Raketen- und Drohnenangriffe auf Energie- und andere Infrastruktur dazu geführt, dass Millionen von Menschen vor und in den kalten Wintermonaten "zeitweise ohne Wärme, Strom, Wasserversorgung und andere lebenswichtige Dienstleistungen" auskommen mussten.

Zivilisten verschleppt

Auch Verschleppungen und zwanghafte Deportationen sollen festgestellt worden sein. Laut einem "Amnesty International"-Bericht vom November 2022 sollen russische Soldaten ukrainische Zivilist:innen verschleppt und sie weiter ins Innere der russisch kontrollierten Gebiete oder direkt nach Russland gebracht haben. Dabei sollen auch Kinder von ihren Familien getrennt worden sein. 

Mehr dazu:

Russland soll unzählige ukrainische Zivilist:innen verschleppt haben, berichtet Amnesty International. 

Bereits im Oktober 2022 berichtete die US-Nachrichtenagentur "Associated Press" (AP) von tausenden ukrainischen Kindern, die in den von Russland besetzten Gebieten in Kellern und Waisenhäusern gefunden wurden. Recherchen der AP ergaben, dass "Beamte ukrainische Kinder ohne ihre Zustimmung nach Russland oder in russisch besetzte Gebiete abgeschoben haben, sie anlogen, dass sie von ihren Eltern nicht erwünscht seien, sie zu Propagandazwecken benutzten und ihnen russische Familien und die russische Staatsbürgerschaft gaben". 

Russland behaupte, diese Kinder hätten keine Eltern oder Vormünder oder dass diese nicht erreicht werden können. In vielen Fällen stimme das nicht. Ein solches Aufziehen von Kriegskindern in einem anderen Land könnte laut AP "ein Zeichen für Völkermord sein, ein Versucht, die Identität einer feindlichen Nation auszulöschen".

Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe

Sowohl die Untersuchungskommission des UN-Menschenrats als auch die HRMMU berichteten von zahlreichen Fällen von konfliktbedingter sexueller Gewalt. Von Kriegsbeginn bis zum 21. Oktober 2022 dokumentierte die HRRMU 86 Fälle sexueller Gewalt, die meisten davon durch russische Streitkräfte. Darunter seien (Gruppen-)Vergewaltigungen und erzwungene Nacktheit. Die Dunkelziffer dürfte - wie immer bei sexueller Gewalt in Kriegsgebieten - erwartungsgemäß weit größer sein.

Auch der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin sprach im Dezember von einer "drastische Zunahme" sexueller Gewalt durch russische Soldaten. Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine seien alle Geschlechter und Altersklassen betroffen, Kinder ebenso wie Alte, so Kostin. Russische Soldaten sollen sexuelle Gewalt gezielt eingesetzt haben - als "Kriegsmethode, um Ukrainerinnen und Ukrainer zu demütigen", behauptete er. Laut ihm würden Vergewaltigungen zum Teil auch vor den Augen von Angehörigen und Kindern stattfinden. Die Angaben des Generalstaatsanwalts ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Über 14 Millionen Menschen vertrieben

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat in Europa die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Mehr als acht Millionen Menschen haben laut UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) im ersten Kriegsjahr das Land verlassen, weitere 6,5 Millionen sind innerhalb der Ukraine vertrieben. Das bedeutete, dass rund ein Drittel der gesamten ukrainischen Bevölkerung von 42 Millionen Menschen geflohen ist.

Und auch Hunderttausende Russ:innen haben ihre Heimat verlassen. Infolge der Teilmobilmachung seien laut westlichen Regierungsquellen schätzungsweise 400.000 Russ:innen aus ihrer Heimat geflohen. Bei der Zahl seien jedoch noch nicht jene berücksichtigt, die wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine das Land schon vorher verlassen hätten. Einige russische Medien sprachen sogar von 700.000 Menschen. Die Flucht vieler hochqualifizierte Fachkräfte führt außerdem zu einem enormen Brain-Drain für Russland.

Zensur und Desinformation

Und während die Ukraine von einer humanitären Krise bedroht ist, werden in Russland Menschenrechte eingeschränkt. Seit Kriegsbeginn werden sowohl Proteste als auch die kritische Medienberichterstattung verhindert. Amnesty International spricht von einem "landesweiten Vorgehen gegen unabhängigen Journalismus, Antikriegsproteste und abweichende Meinungen" vonseiten der russischen Behörden. In Russland droht jeder Person, die angebliche "Fake-News" über den Krieg verbreitet, eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren. Allein im ersten Kriegsmonat sollen über 15.000 Demonstrierende festgenommen worden sein.

Wie lange der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine noch andauern wird, ist schwer zu beurteilen. Nach einem Jahr Krieg ist derzeit kein Ende in Sicht. Was aber mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass sowohl die Zahl der Opfer als auch das Leid der Zivilbevölkerung immer weiter steigen werden.

ribbon Zusammenfassung
  • Seit einem Jahr kämpfen die ukrainischen und russischen Streitkräfte gegeneinander, das Leid der Zivilbevölkerung wächst unterdessen immer weiter.
  • Der Krieg habe "katastrophale Auswirkungen" auf die Zivilbevölkerung, Zivileigentum sowie die Energieinfrastruktur mit sich gebracht, so die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).

Mehr aus Politik