Brief an die Kommission
Österreich-Aufschlag: Wasser predigen, Wein trinken
In sozialen Medien finden sich immer wieder Beispiele, von vielen Menschen in Grenznähe ist zu hören, dass sie ihre großen Einkäufe immer häufiger in Deutschland machen. Das kann sich durchaus rechnen. Bei beliebten Markenprodukten, von Lebensmitteln hin zu Hygieneprodukten, sind die Preisunterschiede teilweise eklatant.
In der Debatte hat sich dafür zuletzt der "Österreich-Aufschlag" etabliert. Dahinter steckt das Phänomen der territorialen Lieferbeschränkungen (Territorial Supply Constraints, TSC). Das sind von großen Herstellern auferlegte Handelsbeschränkungen.
Diese machen es Groß- und Einzelhändlern sehr schwer oder unmöglich, Produkte in einem Mitgliedsstaat zu kaufen und in einem anderen weiterzuverkaufen. Dies führt besonders in kleineren EU-Mitgliedstaaten im Supermarktregal zu Preisaufschlägen gegenüber größeren Nachbarstaaten wie Deutschland. Laut Zahlen der EU-Kommission entgehen europäischen Verbrauchern dadurch jährlich Ersparnisse von 14 Milliarden Euro.
Video: Teure Lebensmittel - Keiner will schuld sein
Brief nach Brüssel
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) und die Chefin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), Natalie Harsdorf, fordern nun von der EU-Kommission, schneller dagegen vorzugehen. Noch heuer solle die Brüsseler Behörde einen Gesetzesvorschlag vorlegen, um unberechtigte Beschränkungen zu verbieten, heißt es im Schreiben.
Der Brief ist auf den 9. August datiert. Er geht an EU-Kommissarin Teresa Ribera, in deren Zuständigkeit als Vize-Präsidentin und de facto Nummer zwei der EU-Kommission die Wettbewerbsagenden fallen.
Hattmannsdorfer und Harsdorf begrüßen in ihrem Brief, dass die EU-Kommission in ihrer im Mai vorgestellten Binnenmarktstrategie Maßnahmen gegen territoriale Lieferbeschränkungen angekündigt hat. Sie bedauern aber, dass in der finalen Version der Strategie nicht mehr die Rede von einem Gesetzesvorschlag ist.
Die EU-Behörde will nurmehr bis Ende 2026 "Instrumente zur Bekämpfung ungerechtfertigter territorialer Lieferbeschränkungen" erarbeiten, um jene Praktiken zu erfassen, "die über die vom Wettbewerbsrecht erfassten hinausgehen".
Jetzt doch? Österreich soll noch gebremst haben
Der Brief und die Forderung an die EU überraschen angesichts einer Recherche von "Standard" und ORF. Demnach soll gerade Österreich noch vor Wochen abgeblockt haben. Während die Arbeiterkammer (AK) eine Abschaffung der Handelsbarrieren schon lange fordert und sogar Österreichs Supermarktriesen in Brüssel dafür lobbyierten, wurde das Binnenmarktpaket im letzten Moment entschärft. Davon profitieren vor allem die großen Lebensmittelkonzerne.
Ein Protokoll der entscheidenden Sitzung in der EU-Ratsgruppe zeigt: Österreich stand bei den Verschärfungen auf der Bremse, entgegen der Linie von anderen kleinen EU-Ländern wie Belgien oder Kroatien. Neue Regulierungsmaßnahmen seien "nicht zielführend", zitiert der "Standard" aus dem Dokument. Ein Hattmannsdorfer-Sprecher bestätigte der APA diese Sitzung, relativierte damit, dass man dabei eher darauf gepocht habe, bisherige Möglichkeiten tatsächlich auszuschöpfen. Der jetzige Brief nach Brüssel verdeutliche jedenfalls jenen Standpunkt, der herrsche.
Vieles deutet auf ein Gezerre hinter den Kulissen hin. Händler auf der einen Seite, Produzenten und Konzerne mit enormer Marktmacht auf der anderen. Dazwischen drin zahlen die Konsument:innen den (Auf)preis. Ob das Haargel oder die Sonnencreme in Österreich bald gleich teuer ist wie in Deutschland? Unwahrscheinlich.
Auch SPÖ und NEOS für Verbot
"Ich gehe davon aus, dass Minister Hattmannsdorfer in seinem Ministerium für Klarheit sorgt", sagt SPÖ-Klubobmann Philip Kucher. "Was in Österreich versprochen wird, muss dann auch in Verhandlungen in Brüssel gelten". Auch für die SPÖ-EU-Abgeordneten Evelyn Regner und Elisabeth Grossmann gehören die Beschränkungen "ersatzlos verboten".
Für den NEOS-Wirtschaftssprecher Markus Hofer wäre es "unverständlich, wenn hier (beim Verbot von Lieferbeschränkungen; Anm.) gebremst wird", schreibt er in einem Statement. "Ein Argument, dass dies zusätzliche Bürokratie bedeutet, geht ins Leere. Ganz im Gegenteil ist unser Ziel mehr freien Wettbewerb zu ermöglichen." Hofer verweist auch auf das Regierungsprogramm, in dem der Einsatz auf EU-Ebene gegen territoriale Lieferbeschränkungen festgehalten ist.
Begrüßt wird die Ankündigung von Hattmannsdorfer bei der Arbeiterkammer (AK) und vom Handelsverband. "Es ist gut, dass die Diskussion in Österreich endlich in Bewegung kommt", so die AK-Wirtschaftsrechts-Expertin Susanne Wixforth. "Wir begrüßen, dass der Wirtschaftsminister als Teil der Bundesregierung den dringenden Handlungsbedarf erkannt hat und sich auf EU-Ebene für ein zeitnahes Verbot und damit ein klares Gesetz ausspricht", reagierte Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Unterstützung erhält Hattmannsdorfer auch vom ÖVP-Wirtschaftssprecher Kurt Egger.
In eine ähnliche Kerbe schlug Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger, der "Verständnis" für den Vorschlag Hattmannsdorfers zeigte. Aus landwirtschaftlicher Sicht sei mehr Transparenz und Wettbewerbsfairness in Europas Lebensmittelwertschöpfungskette gefragt. "Es gilt, bestehende Wettbewerbsnachteile möglichst zu beseitigen, etwa auch punkto Energie- und Treibstoffbesteuerung, Düngemittelzölle, Genehmigungsverfahren etc.", wurde Moosbrugger in einer der APA übermittelten Stellungnahme zitiert.
Klarstellung gefordert
Die Medienberichte riefen am Donnerstag bereits Opposition und Gewerkschaften auf den Plan. Die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, Sigi Maurer, sprich von einer "Verhöhnung der österreichischen Bevölkerung". "Während die Regierung in Wien so tut, als würde sie arbeiten, macht sie in den EU-Gremien das Geschäft der Lobbyisten", moniert die Oppositionspolitikerin, die auch SPÖ und NEOS in der Pflicht sieht, die Vorgänge aufzuklären.
"Will er die Preislawine stoppen oder nicht?", fragt ÖGB-Bundesgeschäftsführerin Helene Schuberth per Aussendung in Richtung Hattmannsdorfer. "Es braucht vollen Einsatz Österreichs im Kampf gegen Preisaufschläge", fordert auch die GPA-Vorsitzende Barbara Teiber.
Zusammenfassung
- Der "Österreich-Aufschlag": Gleiches Produkt wie in Deutschland, aber in Österreich mit deutlich höherem Preis.
- Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) wendet sich mit einem Brief an die EU-Kommission – dabei blockte Österreich erst vor Wochen in der EU das Thema selbst ab.