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Kritik an Kurz' Fünf-Punkte-Plan

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Vor dem "ORF"-Sommergespräch präsentiert Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einen Fünf-Punkte-Plan gegen die vierte Corona-Welle. Kritik gibt es nun an der Vorgehensweise der ÖVP. Die Grünen hingegen stimmen mit der ÖVP "völlig überein".

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will fünf "Schwerpunkte" im Umgang mit der Corona-Pandemie für den Herbst definieren, wie sein Büro vor dem ORF-"Sommergespräch" am Montagabend bekannt gab. Nun wird Kurz für den Plan und der Aussendung vorab kritisiert. 

Oliver Picek, Chefökonom beim Momentum Institut, zeigt sich im PULS 24 Interview "enttäuscht vom Fünf-Punkte-Plan". Er sehe darin noch keine konkreten Maßnahmen, wie man die Impfquote erhöhen will. Er betont in seiner Analyse zur Initiative "ReFocus Austria", dass es hier konkrete Konzepte bräuchte. Ansonsten würde man wieder im Lockdown sein und dieser sei "schlecht" für die Wirtschaft.

Oliver Picek, Chefökonom beim Momentum Institut, zeigt sich gegenüber PULS 24 "enttäuscht" vom Fünf-Punkte-Plan.

Journalist Stefan Kappacher spricht in seinem Twitter Posting von "Propaganda vor Reflexion".

"ORF"-Anchor Armin Wolf kritisiert, dass die ÖVP offenbar das Sommergespräch als Bühne für ihre Ankündigungen verwenden will.

"Sehr interessant auch, dass am Montag schon klar ist, dass das am Mittwoch mit den Landeshauptleuten beschlossen wird", schreibt Journalistin Barbara Tóth.

Opposition kritisiert Fünf-Punkte-Plan

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch kritisiert in einer Aussendung die Aussagen des Kanzlers scharf: "Denn statt Antworten auf drängende Herausforderungen wie die Corona-Krise oder die Arbeitslosigkeit sind von Kurz wieder nur Planlosigkeit, geballte soziale Kälte und massive Verantwortungsflucht gekommen. Ob beim Corona-Plan oder der längst überfälligen Steuersenkung für kleine oder mittlere Einkommen – Kurz hat wie so oft wieder nur Überschriften, Versprechen und Ankündigungen produziert".

Für Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sei der Fünf-Punkte-Plan "zu wenig". Es brauche zur Pandemiebekämpfung ein tief "tiefgreifenderes Paket". Zudem erwarte er sich "Gespräche auf Augenhöhe" und österreichweit strengere Corona-Maßnahmen. "Die Pandemie ist auch für die Geimpften nicht vorbei", betonte er.

"Die Überlegungen in Richtung eines Lockdowns für Ungeimpfte ist eine Verzweiflungsakt des Kanzlers der gebrochenen Versprechen", kritisiert FPÖ-Klubchef Herbert Kickl in einer Aussendung den Plan. Er fordert einer "Sicherstellung von genügend Spitals- und Intensivbetten, eine Aufwertung des Personals im Gesundheitswesen, eine Sicherstellung für unseren Tourismus und Gastronomie, dass es zu keinen weiteren Lockdowns, auch nicht für Ungeimpfte, mehr kommen werde und endlich eine transparente Datenlage", wie es in dem Schreiben heißt.

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger äußerte sich in einem Pressestatement zum Plan des Bundeskanzlers. Kurz habe "kaum etwas konkretes" vorgestellt "und schon gar keine Zukunftspläne". Es sei ein roter Faden, der sich durch die Corona-Politik der Regierung durchziehe. Als NEOS begrüße man, dass Kurz vorhabe den Präsenzunterricht aufrecht zu erhalten. Dennoch hätte der Plan selbst laut Meinl-Reisinger schon früher vorgestellt werden sollen.

Grüne stimmen mit ÖVP "völlig überein"

Rückenwind gibt es für die ÖVP vom Koalitionspartner. "Wir stimmen völlig überein", bekräftigte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Ankündigungen von Kanzler Kurz. "Selbstverständlich werden wir in den Maßnahmen differenzieren, ob jemand geimpft ist oder nicht." Er halte das für "sinnvoll und richtig", weil man nicht über Jahre Einschränkungen machen könne und wolle, so Kogler in einer Pressekonferenz am Dienstag.

Es gebe die Möglichkeit, weiteren Lockdowns entgegenzuwirken und "das ist die Impfung". Das sei "unter aufgeklärten Menschen klar". Kogler stellte auch in Abrede, dass es zwischen Kurz und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) keine Abstimmungen geben würde. Das Gegenteil sei der Fall. "Es gibt einen intensiven Austausch, die Maßnahmen sind im wesentlichen fertig und werden fein geschliffen und morgen mit den Landeshauptleuten besprochen", so Kogler. Es gebe ein gemeinsames Vorgehen, "das wird sich auch morgen bestätigen". Es stehe dem Kanzler aber zu, in einem großen Interview einige Punkte zu nennen. "Ich hätte mich auch nicht verschwiegen."

Raidl: "Kanzler ist Meister der Ankündigungs-Politik"

Der Plan von Kanzler Kurz im Überblick:

1. Intensivbelegung statt 7-Tages-Inzidenz als Richtwert

Künftig soll die Bettenbelegung an den Intensivstationen statt der Sieben-Tages-Inzidenz der neue Richtwert sein. Der Inzidenzwert habe durch die Impfung und durch die breit angelegten Testungen nicht mehr jene Aussagekraft, wie er sie noch vor einem Jahr hatte, hieß es aus dem Kanzleramt. Daher soll künftig die Intensivstations-Belegung als "maßgeblicher Leitindikator zur Lageeinschätzung" und für mögliche Maßnahmen dienen. Mit Erreichen einer gewissen Belegungszahl sollen auch bestimmte Maßnahmen verknüpft werden.

Konkreteres zum weiteren Vorgehen soll am Mittwoch bei den geplanten Beratungen mit den Landeshauptleuten abgestimmt und präsentiert werden.

Journalist Martin Thür kritisiert via Twitter an diesem Punkt, dass die Sieben-Tages-Inzidenz "nie" Leitindikator war.

2. "Maßnahmen" statt Lockdown

Eine Absage kam vom ÖVP-Chef gegenüber einem weiteren generellen Lockdown: "Es wird sicherlich keine Lockdowns mehr geben für geimpfte Menschen." Ziel sei, so wenig Freiheitsbeschränkungen wie möglich zu haben, dies bedeute für ihn, "dass die Zeit der Lockdowns vorbei sein muss". Einschränkungen werde es nur mehr für Ungeimpfte geben, und zwar dann, wenn die Überlastung der Spitäler droht.

Als Beispiel nannte Kurz einmal mehr die mögliche Einführung eines beschränkten Zugangs zur Nachtgastronomie - oder auch zu "Großveranstaltungen": "Bevor ein Bereich ganz geschlossen wird, ist mir lieber, er bleibt für Geimpfte offen", wiederholte er seine Aussagen vom Sonntag. Der Begriff "1-G" sei dabei aber "nicht ganz treffsicher", denn Genesene seien Geimpften gleichzustellen, deute Kurz eine Gleichbehandlung all jener an, die bereits eine Erkrankung durchgemacht haben.

Lockdowns als Corona-Maßnahme sollen von "Schutzmaßnahmen", wenn nötig nur mehr für Ungeimpfte, abgelöst werden, fordert auch Justizministerin Alma Zadić im PULS 24 Interview.

Auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sprach sich zuletzt für eine 1-G-Regel auch bei Stehpartys wie etwa beim Après-Ski aus. 

3. Mehr Impfungen

Beim Thema Impfen sei es das Ziel, die Impfbereitschaft weiter zu erhöhen, außerdem soll es bei den Auffrischungsimpfungen ("dritter Stich") eine konsequente Durchführung geben. Eine generelle Impfpflicht schloss der Bundeskanzler neuerlich aus. "Ich glaube, wir haben in Österreich Konsens, dass es keine generelle Impfpflicht geben wird." Gleichzeitig verwies er auf Impfvorschriften "in gewissen Berufen". 

Es werde aber nicht gelingen, allen Menschen die Ängste zu nehmen, räumte Kurz im "Sommergespräch" ein. Gleichzeitig kritisierte er die FPÖ für deren Corona-Kurs: "Das Wichtigste wäre, dass alle Politiker ehrlich sind." Natürlich gebe es immer Nebenwirkungen bei Impfungen, diese stellten aber ein wesentlich geringeres Risiko als die Infektion dar, betonte er. Es sei gut, dass die Impfung wirkt - und daher müsse man auf diese setzen.

4. Mehr Kontrollen

Bestehende Regeln sollen strenger kontrolliert werden: Es seien immer mehr Fälschungen von Impfzertifikaten im Umlauf. Auch die "3-G"-Kontrollen seien teilweise mangelhaft. Deswegen soll es mehr und verstärkte Kontrollen geben.

5. Offene Schulen durch Testungen

Hinsichtlich der Schulen setzt Kurz auf die Tests: Die Schultore sollen offen bleiben - "falls notwendig, setzt man nach dem Schulstart auf das erfolgreiche Konzept aus der 3. Welle mit den intensiven Testungen statt Home Schooling", so das Kanzleramt. Gleichzeitig hieß es, alle Details zum weiteren Vorgehen werden am Mittwoch bei den geplanten Beratungen mit den Landeshauptleuten abgestimmt und präsentiert.

Als weiteres Thema will Kurz beim "Sommergespräch" die angekündigte "ökosoziale Steuerreform" behandeln, diese werde einen weiteren Schwerpunkt der Herbstarbeit bilden. Vor allem aufgrund der hohen Inflation sollen besonders die kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden sowie der Familienbonus und die Pensionen erhöht werden.

Zum Thema Klimawandel verwies Kurz u.a. auf die durchgeführten und geplanten Schritte zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, zur Frage der CO2-Bepreisung auf die geplante ökosoziale Steuerreform. Bei diesem Punkt rückte er vor allem die in Aussicht genommene Entlastungen für kleinen und mittlere Einkommen in den Mittelpunkt. Und bei den Pensionen werde man nicht nur die Inflation abgelten, sondern "auch noch darüber hinausgehen".

Zum Thema möglicher Zumutbarkeitsbeschränkungen für Arbeitslose hielt Kurz fest, dass es hier zu Verschärfungen kommen werde. "Wir werden an Schrauben drehen", auch Leistungskürzungen stellte er in Aussicht. An ein Nein des grünen Koalitionspartner glaubt er dabei nicht: "Ich glaube, dass auch der Koalitionspartner ein Verständnis dafür haben muss."

Kurz weiterhin gegen Aufnahme von Afghanistan-Flüchtlingen

Auf Linie blieb der Kanzler auch bei seiner Ablehnung hinsichtlich der Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Afghanistan. "Ich halte nichts davon, das heikle Thema der Migration auf Symbolpolitik zu beschränken." Österreich habe seit 2015 "mehr Menschen aufgenommen als fast alle Länder auf der Welt", sagte er, auch habe Österreich "eine der größten afghanischen Communities der Welt". Es gelte nun, jene zu integrieren, die schon im Land sind, betonte er.

Die gegen ihn laufenden Ermittlungen des Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der falschen Zeugenaussage lassen Kurz laut eigenem Bekunden mittlerweile eher kalt: Er werde "selbstverständlich" auch im Falle einer Anklageerhebung im Amt bleiben. Eine Verurteilung hält er für praktisch ausgeschlossen: "Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man wegen diesen Fragen in Österreich verurteilt wird." Er halte Kritik aus - "und ich halte auch dieses Verfahren aus".

ribbon Zusammenfassung
  • Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will im ORF-"Sommergespräch" am Montagabend fünf "Schwerpunkte" im Umgang mit der Corona-Pandemie für den Herbst vorstellen.
  • Kernpunkt seiner Vorstellungen ist, dass künftig die Bettenbelegung an den Intensivstationen statt der 7-Tages-Inzidenz neuer Leitindikator werden soll.
  • Daher soll künftig die Intensivstations-Belegung als "maßgeblicher Leitindikator zur Lageeinschätzung" und für mögliche Maßnahmen dienen.
  • Lockdowns als Corona-Maßnahme sollen von "Schutzmaßnahmen", wenn nötig nur mehr für Ungeimpfte, abgelöst werden.
  • Beim Thema Impfen sei es das Ziel, die Impfbereitschaft weiter zu erhöhen, außerdem soll es bei den Auffrischungsimpfungen ("dritter Stich") eine konsequente Durchführung geben.
  • Es seien immer mehr Fälschungen von Impfzertifikaten im Umlauf. Auch die "3G"-Kontrollen seien teilweise mangelhaft. Deswegen soll es mehr und verstärkte Kontrollen geben.

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