APA/dpa/Fabian Sommer

Sexuelle Gewalt

Vergewaltigung: Warum sich viele Opfer nicht zur Polizei trauen

05. Juni 2025 · Lesedauer 4 min

Im vergangenen Jahr wurden in Österreich 1.355 Anzeigen wegen Vergewaltigung zur Polizei gebracht. Die Dunkelziffer wird höher geschätzt. Warum Betroffene sich davor scheuen, zur Polizei zu gehen und welche Maßnahmen für die Zukunft notwendig sind, erklärt eine Expertin.

Fast jede dritte Frau in Österreich hat bereits sexuelle Gewalt erlebt. Das geht aus einer repräsentativen Studie des Österreichischen Instituts Familienforschung (ÖIF) aus dem Jahr 2011 her.

Sieben Prozent der befragten Frauen gaben an, eine Vergewaltigung erlebt zu haben. Weitere 8,9 Prozent berichteten von einer versuchten Vergewaltigung. 

Ein Blick auf die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt: Die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht. Alleine im vergangenen Jahr wurden 1.355 Anzeigen zur Polizei gebracht.

Die tatsächliche Zahl der Vergewaltigungen dürfte jedoch deutlich höher sein. Laut der ÖIF-Studie zeigen nur 8,8 Prozent der betroffenen Frauen die Tat bei der Polizei an. Warum aber?

Scham und Schuldgefühle spielen wesentliche Rolle

Das kann laut Ursula Kussyk, Leiterin der Wiener Einrichtung Frauenberatung Notruf bei sexueller Gewalt, verschiedene Gründe haben. "Einer der Hauptgründe, die bei uns auch in der Beratung immer wieder genannt werden, sind Scham und Schuldgefühle", erklärt Kussyk gegenüber PULS 24.

Die Ursache für Scham und Schuldgefühle seien durch den "gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität sowie Mythen über sexualisierte Gewalt an Frauen" verursacht.

Mythen wie "sie hat es gewollt, sie hat es aufgrund ihres Verhaltens verdient oder es ist nichts Schlimmes passiert - sie übertreibt" tragen laut Kussyk dazu bei, dass Frauen die Schuld fälschlicherweise bei sich selbst anstatt die Verantwortung beim Täter zu sehen.

Wichtig sei es, den Betroffenen Vertrauen zu schenken. Laut Kussyk gibt es "viele Hürden, denen Frauen, Vergewaltigungsopfer ausgesetzt sind." In erster Linie brauche es Mut.

"Alleine zur Polizei zu gehen ist ganz, ganz schwierig"

Bei der Frauenberatung Notruf bei sexueller Gewalt in Wien gibt es die Möglichkeit, sich professionelle Unterstützung zu holen. Dort wird alles vertrauensvoll besprochen. Im Anschluss werden Betroffene mit Anwält:innen zur Polizei begleitet.

"Alleine zur Polizei zu gehen ist ganz, ganz schwierig", betont Kussyk. Vielen Betroffenen fällt es ohnehin schon schwer, über das Erlebte zu sprechen - erst recht, wenn es darum geht, die Details der erlebten sexuellen Gewalt auszusprechen.

contact Hilfe bei sexueller Gewalt

Sind Sie Opfer von sexueller Gewalt oder kennen Sie jemanden, der es ist? Hier gibt es Hilfe:

  • Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555
  • Notrufnummer für Gehörlose und Hörbehinderte: 0800 133 133
  • Rat auf Draht - Beratung für Kinder und Jugendliche: 147 sowie Online-Beratung
  • Kindernotruf: 0800 567 567
  • Online-Beratungsstelle für Frauen und Mädchen bei sexueller und anderer Gewalt: HelpCh@t 
  • Frauen- und Mädchen-Beratungsstellen in den Bundesländern: Beratung und Unterstützung bei sexualisierter Gewalt
  • Kinder und Jugendanwaltschaften in Österreich: www.kija.at

"Besonders wichtig ist bei einer Anzeige eines mutmaßlichen Sexualdeliktes - nicht nur beim Verdacht einer Vergewaltigung - die besonders schonende Befragung des Opfers und der Aufbau einer Vertrauensbasis", erklärt die Polizei Wien auf Anfrage.

Die Befragungen bei der Polizei werde durch eine:n Beamt:in "des gleichen Geschlechts des Opfers" durchgeführt. Das soll man bereits in der Polizei-Ausbildung lernen.

Schulung auch für Gerichtspersonal nötig

Zudem erklärt die Polizei Wien, dass das Wiener Landeskriminalamt eine ausreichende Zahl an Beamt:innen in der Kriminalprävention, im Opferschutzzentrum als auch im operativen Ermittlungsbereich Sexualdelikte eingeschult hat.

Diese sollen die erforderlichen Kompetenzen für "kontradiktorische Vernehmungen" oder den "Umgang mit schwer traumatisierten Opfern" mitbringen. Eine konkrete Anzahl der eingeschulten Polizist:innen wurde dabei nicht erwähnt.

Laut Kussyk sei es notwendig, dass neben Polizist:innen auch Staatsanwält:innen und Richter:innen entsprechend aus- und weitergebildet werden. "Da können einzelne Personen nichts dafür, aber das ist bei diesen Berufsgruppen noch nicht ganz angekommen", erklärt sie.

Video: Sexuelle Gewalt: Was können Betroffene tun?

Das Thema sexuelle Gewalt, vor allem Vergewaltigung, erfordere einen besonders sensiblen Umgang.

Daher brauche es eine professionelle Unterstützung in Formen von zielgerechter Fortbildung und Supervision. Diese sollen nicht nur in der Ausbildung angeboten werden, sondern laufend als Pflichtprogramm etabliert werden.

Kussyk selbst hat auch aus ihrer Erfahrung bei der Beratungsstelle gelernt, wie wichtig es ist, sich aktiv damit auseinanderzusetzen.

Verbesserungsbedarf

Trotz vieler Fortschritte seit der Gründung der Frauenberatungsstelle im Jahr 1981 bleibt laut Kussyk noch einiges zu tun – besonders im gesellschaftlichen Verständnis von sexueller Gewalt. 

Schuld- und Schamgefühle bei Betroffenen sowie Mythen rund um Vergewaltigung zeigen, wie tief verankert falsche Vorstellungen nach wie vor sind. 

Umso wichtiger sei es, Aufklärung zu stärken, Berufsgruppen zu sensibilisieren – und Betroffenen zu zeigen: Die Verantwortung liegt nie bei ihnen.

Video: P. Diddy hat mich vergewaltigt"

Zusammenfassung
  • Im Jahr 2023 wurden in Österreich 1.355 Anzeigen wegen Vergewaltigung erstattet, wobei die Dunkelziffer laut Expert:innen deutlich höher liegt.
  • Nur 8,8 Prozent der Frauen, die eine Vergewaltigung erlebt haben, zeigen die Tat tatsächlich bei der Polizei an.
  • Hauptgründe für das Ausbleiben einer Anzeige sind Scham und Schuldgefühle, die durch gesellschaftliche Mythen über sexualisierte Gewalt verstärkt werden.
  • Opfer erhalten bei spezialisierten Beratungsstellen wie dem Frauenberatung Notruf Wien professionelle Unterstützung und Begleitung zur Polizei.
  • Expert:innen fordern laufende Fortbildungen und mehr Sensibilisierung auch für Staatsanwält:innen und Richter:innen, um einen professionellen und empathischen Umgang mit Betroffenen zu gewährleisten.