Zeitzeugen-GesprächMKÖ/Alissar Najjar

80 Jahre Kriegsende

"Wie Familie": Drei Babys, die das KZ Mauthausen überlebten

10. Mai 2025 · Lesedauer 6 min

Der Geburtsort von Eva Clarke, Mark Olsky und Hana Berger-Moran ist das KZ Mauthausen. Die drei "Geschwister im Herzen" erzählen von ihrer einzigartigen Geschichte und die ihrer Mütter, die sie unter den widrigsten Umständen zur Welt brachten.

Beinahe fühlt es sich so an, als hätten die älteren Damen und der Herr von nebenan zum Kaffee in ihr Wohnzimmer geladen. 

Die drei wirken besonnen, zufrieden, zugleich aber bestimmt. Sie sind "auf einer Mission", wie sie es bei einem Zeitzeugen-Gespräch im Café Caspar in Wien ausdrücken. 

Ihre "Mission" ist es, zu erzählen, damit so etwas "niemals wieder" passiert. Denn Hana Berger-Moran, Mark Olsky und Eva Clarke eint eine grausame Geschichte.

Ihre Mütter, alle drei Jüdinnen, brachten sie 1945 im oder auf dem Weg zum Konzentrationslager (KZ) Mauthausen zur Welt. "Mauthausen-Babys" werden sie genannt. Ihre Mütter waren zunächst Häftlinge im KZ Auschwitz-Birkenau und konnten ihre Schwangerschaft unter anderem vom NS-Verbrecher und Lagerarzt Josef Mengele verstecken. 

"Sind sie schwanger, fesche Frau?", fragte Mengele Hana Berger-Morans Mutter Priska als sie nackt und mit rasiertem Kopf in der Winterkälte stand. Sie verneinte. So taten es auch Mark Olsky und Eva Clarkes Mütter Rachel und Anka. 

Die Lügen ihrer Mütter sollten Mark, Eva und Hana schlussendlich am Leben erhalten, sagen sie heute. 

Unter den Augen der SS-Wächter geboren 

Die Mütter der drei Zeitzeugen waren fit und gesund. Sie wurden alle zur Zwangsarbeit in Fabriken nach Freiburg gebracht. Priska, Hanas Mutter, hatte sie dort im Keller der Fabrik geboren. "Alle SS-Wächter schauten zu und wollten wissen, ob das Baby überlebt", erzählt sie.

Immer wieder dreht sie sich auf der knarzenden Ledercouch sitzend zu Eva, die ihr ermutigende Blicke zuwirft. 

"Ich wog nur 1.300 Gramm. Also niemand glaubte, dass ich überlebe." Zwei Tage später wurden Priska und die kleine Hana zum Zug gebracht. Es war kurz vor Kriegsende, die Sowjets kamen näher. Wenige Tage später, am 8. Mai 1945, sollte die deutsche Wehrmacht kapitulieren.

Hana Berger-MoranMKÖ/Alissar Najjar

Hana Berger-Moran wurde am 12. April 1945 in einer Fabrik in Freiburg, Deutschland, geboren. Wenige Tage später wurden sie und ihre Mutter Priska in das KZ Mauthausen gebracht. Ihre Eltern stammen aus Bratislava. Von dort aus wurden sie in das KZ Auschwitz-Birkenau gebracht und getrennt. 

"Der schirchste Ort, den sie je gesehen hat" 

Das KZ Auschwitz wurde bereits befreit. Das KZ Mauthausen war das einzige Lager, das Ende April 1945 noch funktionsfähige Gaskammer und Ofen hatte.

"Das Nazi-Regime wollte Beweise vertuschen", erklärt Mark, dessen Mutter ebenso mit dem Zug nach Mauthausen deportiert wurde. 

Mark wurde im Zug geboren, an Adolf Hitlers Geburtstag, dem 20. April 1945. "Das war wie ein Feiertag, alle Soldaten und Menschen waren glücklich." Normalerweise hätte sie die Babys von Bord geworfen oder sie erschossen, so Mark.

Zeitzeuge Mark OlskyMKÖ/Alissar Najjar

Mark Olsky wurde am 20. April 1945 im Zug auf dem Weg nach Mauthausen geboren. Seine Mutter Rachel Abramczyk in Polen geboren. Der Vater von Rachel hatte eine Faszination für die deutsche Sprache. Die Kinder lernten alle Deutsch und waren sehr gut gebildet. 

Ob des Feiertags waren die Soldaten gutgesinnt. Sie haben Marks Mutter Rachel erlaubt, ihr Baby zu behalten. Dann kamen sie in Mauthausen an. Seine Mutter beschrieb es als "den schirchsten Ort, den sie je gesehen hat". Die Landschaft rund um Mauthausen beeindruckte sie indes. 

Eva nickte. Als Mark ihr das Mikro reicht, pflichtet sie ihm bei. Auch ihre Mutter Anka schwärmte von der Schönheit der Mühlviertler Landschaft.

Schock über Mauthausen, löste Wehen aus 

Zugleich hatte sie bei Ankunft des Zuges einen "Schock" als sie die Tafel mit der Aufschrift "Mauthausen" sah. "Sie war so schockiert, dass das die Wehen auslöste", erzählt Eva.

Menschen lagen über ihre Mutter, sie schrie, so Eva. "Sie schrie auch, weil sie dachte, sie muss sterben", muss Eva kurz durchatmen. "Als ich geboren wurde, schrie und atmete ich nicht", so Eva. Die Soldaten erlaubten, einen Arzt zu schicken. "Der hat mich so lange geschlagen, bis ich schrie", so Eva. 

Eva kam am 29. April 1945 zur Welt. Wenige Tage zuvor ging im KZ das Gas aus. Am 5. Mai wurde Mauthausen dann durch die US-Armee befreit. Dies seien die Gründe, warum "ich und meine Mutter überlebten", so Eva. 

Zeitzeugin Eva ClarkeMKÖ/Alissar Najjar

Eva Clarke wurde am 29. April 1945 im KZ Mauthausen geboren. Sie und ihre Mutter Anka sind die einzigen Überlebenden in ihrer Familie. 15 Familienmitglieder wurden im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet. Ihr Vater war Deutscher, ihre Mutter Tschechin. 

30 Kilo Körpergewicht 

Zur Zeit der Befreiung Mauthausens waren die Mütter der drei Zeitzeug:innen in einem gesundheitlich schlechtem Zustand. Sie alle wogen bei der Niederkunft nur knapp über 30 Kilogramm. Den Müttern war es erstaunlicherweise möglich, ein wenig Milch zu produzieren. Sie alle überlebten. 

Mark, Eva und Hana trugen trotz starker Unterernährung in den ersten Tagen ihres Lebens keine Schäden davon. Allerdings sind sie alle auf Insektenstiche und -Bisse allergisch, stellten sie fest. 

Marks Mutter Rachel fielen später all ihre Zähne aus. "Ich hab sie gefragt, warum sie keine Zähne hat und sie sagt: 'Du hast sie!'", erinnert er sich. Sie habe ihm erklärt, dass sie das Kalzium gebraucht habe, um für ihn Milch zu produzieren.

"Das einzige Kalzium, das sie in ihrem Körper hatte, war in ihren Zähnen und in ihren Knochen". "Du lebst wegen meiner Zähne und Knochen", habe sie ihm stets gesagt. 

"Wir sprechen für so viele, die nicht mehr sprechen können" 

KZ-Überlebender Mark Olsky

Grausame Geschichte machte sie zu "Geschwistern im Herzen" 

Mark, Eva und Hana haben sich 2010 bei der 65. Befreiungsfeier vom KZ Mauthausen zum ersten Mal kennengelernt. Sie hätten sich "wiedervereint" gefühlt. Wie eine Familie, sagt Mark. 

Der Zufall brachte sie zusammen. Ihre Geschichte verbündete sie. "Es ist schön, mit meinen Geschwistern hier zu sein", legte Hana ihre Hand um Eva.

In ein paar Jahren werden sie die letzten Zeitzeugen sein, die über Mauthausen sprechen können. Auch wenn ihnen die Erinnerung an die schrecklichen, ersten Tage ihres Lebens heute fehlen. 

"Wir sprechen für so viele, die nicht mehr sprechen können", so Mark. Es gebe viele Menschen, die verschweigen, was passiert ist. 

"Ich bin dankbar, dass ich hier sein kann", sagt Hana. In Österreich und Deutschland würden sie immer mit "viel Wärme und Freundschaft" empfangen, so Mark, "Wärme und Freundschaft ist, worum es in der Menschheit geht". Er glaube nach wie vor, dass alle Menschen "tief im Herzen gut sind".

Toughe und optimistische Mütter 

In ihren Geburtsurkunden steht bei allen dreien Mauthausen als Geburtsort. "Wir sind eigentlich Österreicher", müssen sie lachen. Heute leben die drei in den USA und Großbritannien. 

Woher sie Kraft, trotz ihrer tragischen Vergangenheit, schöpfen? Von dem Mut ihrer Mütter, sagen sie. Sie seien tough und optimistisch gewesen. Marks Mutter Rachel habe stets versucht, dass das Leben ihres Sohnes nicht von der Dunkelheit gefärbt sei, die sie einst erlebte. "Sie haben einen Weg gefunden, Spaß zu haben". 

Stärke gewinnen die drei aber auch aus ihrer gemeinsamen Geschichte und ihrer Beziehung zueinander. "Geschwister im Herzen" eben, wie sie sich nennen. 

info Befreiung des KZ Mauthausen

Angesichts der immer näher rückenden alliierten Truppen begann die SS im April 1945, Spuren ihrer Verbrechen zu vernichten. Sie ließ bauliche Einrichtungen für Massentötungen demontieren, belastende Schriftzeugnisse verbrennen und ermordete KZ-Häftlinge, die gegen das Regime hätten aussagen können. 

Am 3. Mai 1945 flohen die letzten SS-Angehörigen aus den Lagern Mauthausen und Gusen. Am 5. Mai traf ein Spähtrupp der US-Armee in Gusen und Mauthausen ein, am darauffolgenden Tag befreien Einheiten der 3. US Army etwa 40.000 Gefangene dieser Lager endgültig. 

Sie fanden hunderte Leichen von KZ-Gefangenen. Tausende waren derart geschwächt und gesundheitlich angegriffen, dass sie trotz medizinischer Versorgung durch Sanitätseinheiten der US-Armee noch in den Wochen und Monaten nach der Befreiung starben.

Die ehemalige Journalistin und Autorin Wendy Holden veröffentlichte 2015 ein Buch mit dem Titel "Born Surivors" über die drei "Mauthausen-Babys". Darin beschreibt sie die unglaubliche Geschichte der Mütter und ihr Leben danach. 

 

Zusammenfassung
  • Sie sind die Stimmen derer, die nicht mehr sprechen können, fasst Mark Olsky zusammen.
  • Er hat, genauso wie Eva Clarke und Hana Berger-Moran, das KZ Mauthausen als Geburtsort in seiner Geburtsurkunde stehen.
  • In einem bewegenden Gespräch erzählen die drei von ihren mutigen Müttern, die ihre Schwangerschaft als Häftlinge im KZ Auschwitz-Birkenau vor den Nazi geheim hielten - und ihre Babys unter den widrigsten Umständen zur Welt brachten.