Löw: Amerika verspielte nach 9/11 Vertrauen und hat sich davon nie erholt

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Nach anfänglicher Solidarität mit den USA nach den Anschlägen, kam es laut Raimund Löw zum Vertrauensverlust, von dem sich die USA bis heute nicht erholt haben. Dieser führte zu Verschwörungstheorien und dazu, dass sich Menschen heute verstärkt alternative, falsche Fakten aus dem Netz holen, um sich ihre eigene Realität zu zimmern.

9/11 war "ein traumatisches Erlebnis für jeden, aber nicht jeder ist traumatisiert", erklärt Psychologin Brigitte Lueger-Schuster im Newsroom LIVE bei Thomas Mohr. Symptome wie Schlaflosigkeit und Albträume hätten noch zirka 30 Prozent der Menschen, die Angehörige verloren haben oder beim Terror-Angriff nah an den Twin Towers waren. Fernsehbilder allein lösen laut einer amerikaweiten Studie solche Folgen nicht aus.

USA hat anfängliche Solidarität verspielt

Der ehemalige US-Korrespondent Raimund Löw beschreibt das Ereignis als Schock, nicht nur für Amerika, sondern auch international. "Es hat eine unglaubliche Solidarität mit Amerika gegeben." Bei der Invasion Afghanistans sei  die gesamte internationale Gemeinschaft dafür gewesen, auch China und Russland. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet zeige das, was alles verspielt wurde. Heute sei die Welt geteilt, die Solidarität nicht mehr vorhanden. Das sehe man beim US-Truppenabzug aus Afghanistan, wo sich die USA nicht mit den Europäern abgestimmt hätten.

"Die Losung 'Krieg gegen den Terror' hat dazu geführt, dass in der amerikanischen Außenpolitik wahnsinnig viel schiefgelaufen ist", analysiert der Journalist. Man habe neben Afghanistan auch den Krieg gegen Saddam Hussein und den Irak geführt, der überhaupt nichts mit 9/11 zu tun gehabt habe. "Amerika hat in der Reaktion auf 9/11 viel zu sehr auf seine militärische Macht gesetzt." Man hätte anderen Teilen der Welt den Willen aufzwingen wollen und das sei schief gegangen.  

Anti-Islamischer-Rassismus im Zentrum der Politik

Als Folge der Anschläge hätte sich alles, was es an Anti-Terror-Maßnahmen gab, vervielfältigt, nicht nur die Kontrollen an den Flughäfen. Die meisten seien nach zehn Jahren ausgelaufen, zu den laut Löw "schlimmen Restbeständen" gehören Guantanamo, die verschärfte Polarisierung in den USA und Anti-Islamischer-Rassismus, der tief ins Zentrum der Politik gelangte.

Psychologin Brigitte Lueger-Schuster sieht es als typisch bei Traumatisierungen, dass man zuerst zusammenrücke, später würden dann jedoch Konflikte aufbrechen. Menschen, die damit nicht umgehen können, würden oft schweigen und dann aggressiv reagieren. Eine Folge der Traumatisierungen seien die Verschwörungstheorien, die sich um 9/11 ranken.

Was 9/11 für Muslime in den USA bedeutet

Irak-Krieg-Lüge führte zu massivem Vertrauensverlust

Dass der Irak-Krieg wegen einer Lüge begann (die USA behauptete, Saddam Hussein hätte Massenvernichtungswaffen, Anm.), würde sich bis heute auswirken. Die USA hätte bis heute ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das hätte die Weltmacht sehr geschwächt. Auch die Psychologin attestiert einen massiven Vertrauensverlust der USA gegenüber. "Dieses Misstrauen hält sich gut, weil man auch nichts aufarbeitet." Das zeige sich heute im Erfinden neuer Realitäten. Menschen würden sich in Sozialen Medien Fakten zusammensuchen, die sie glauben wollen und wären so in ihrem Misstrauen bestätigt.

"Gefährlich wird das, wenn man von den Fakten weggeht und sich selbst Fakten kreiert", stimmt Löw dem zu. Das sei in Amerika stark verbreitet. Auch an der Mondlandung werde gezweifelt. "Es ist anstrengend sich der Realität zu stellen und sich mit Fakten auseinanderzusetzen. Genau das wieder zu lesen, woran man glaubt, ist bestätigend", bringt es Lueger-Schuster auf den Punkt.

Die beiden Experten sind sich einig, dass sich die liberale Demokratie von 9/11 erholt hat. Dass die Flugkontrollen verschärft wurden, hätte dazu geführt, dass Flugzeuge nicht mehr entführt wurden. "Amerika ist nicht mehr bereit, die Rolle des Weltpolizisten zu spielen", sieht Löw die Entwicklung. Das Land sei aber politisch und wirtschaftlich nach wie vor die Weltmacht Nummer 1. Dass sich die USA militärisch zurückziehe, sei ein Risiko und ein schwieriger Umbau.  

Janik: 9/11 war letzter Sargnagel der Idee einer liberalen Weltordnung

Laut Völkerrechtsexperte Ralph Janik war 9/11 der Punkt, an dem die Welt gemerkt hat, dass nach dem Kalten Krieg nun der "Clash of Civilisations" tobt. Statt Ideologien kämpfen vereinfachend gesagt nun Kulturen gegeneinander.

ribbon Zusammenfassung
  • Nach anfänglicher Solidarität mit den USA nach den Anschlägen, kam es laut Raimund Löw zum Vertrauensverlust, von dem sich die USA bis heute nicht erholt haben. Dieser führte zu Verschwörungstheorien und dazu, dass sich Menschen heute verstärkt alternative, falsche Fakten aus dem Netz holen, um sich ihre eigene Realität zu zimmern.

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