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"Fatales Signal": Strafnachlass für Polizisten nach Prügel für Klimaaktivist

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Das Wiener Oberlandesgericht hat die erstinstanzliche Strafe für einen gewalttätigen Polizisten, der einem Demonstranten neun Stöße mit der Faust und dem Handballen versetzt hatte, deutlich abgemildert.

Wie "Der Standard" am Sonntag berichtete, wurde der Strafberufung des Beamten Folge gegeben, der im Oktober 2021 vom Wiener Oberlandesgericht für Strafsachen (OLG) wegen Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung zu vier Monaten bedingter Haft verurteilt worden war.

Das OLG befand allerdings, das Erstgericht habe die Strafe nicht "tat- und schuldangemessen gewichtet", zitiert "Der Standard" aus der Entscheidung (18 Bs 279/22v), die mittlerweile auch der APA vorliegt. Das Ersturteil wurde aufgehoben und stattdessen eine teilbedingte Geldstrafe von 4.800 Euro (120 Tagessätze zu je 40 Euro) festgelegt, von der überdies 90 Tagessätze unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

Amnesty sieht Kriminalisierung

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) zeigte sich in einer Reaktion "zutiefst besorgt über die zunehmend kriminalisierende Stimmung gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die das OLG Wien offenbar aufgreift", wie ai-Österreich-Geschäftsführerin Annemarie Schlack gegenüber der APA festhielt. Alle Menschen hätten das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu protestieren: "Auch Versammlungen, die das Umfeld stören, sind von der Versammlungsfreiheit umfasst. Selbst sogenannte Handlungen des zivilen Ungehorsams - also Akte, bei denen ein innerstaatliches Gesetz gebrochen wird - sind grundsätzlich vom Recht auf friedliche Versammlung geschützt." Abgesehen davon sei "unverhältnismäßige Polizeigewalt immer rechtswidrig", bekräftigte Schlack.

Für den Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner, der vor Gerichten und Verwaltungsbehörden regelmäßig von Polizeiübergriffen Betroffene vertritt, handelt es sich bei der OLG-Entscheidung um "ein fatales Signal", wie er am Montag gegenüber der APA festhielt. Anstoß nahm Lahner vor allem an einem Passus im Erkenntnis, in dem ausgeführt wird, der Tathandlung des Polizisten wären "erhebliche Provokationen" seitens des Opfers "vorangegangen". Der Demonstrant habe sich seiner Festnahme widersetzt, was zwar nicht die polizeilichen Faustschläge in dessen Rücken rechtfertige oder entschuldige, "doch handelte es sich dabei mitnichten um einen Fall anlasslos brutalen Vorgehens der Exekutive", moniert das OLG.

"Provokation" als Grund

Für Lahner sind diese Feststellungen nicht nachvollziehbar. "Erstens sehe ich nicht, welche 'erheblichen Provokationen' von dem Aktivisten ausgegangen sein sollten. Zweitens denke ich, dass ein anständiger Polizist selbst nach einer argen Provokation nicht auf einen am Boden fixierten Festgenommenen einprügeln darf. Drittens halte ich friedliche Sitzblockaden nicht für radikal", betonte der Anwalt. Die Arbeit der Polizei sei oft schwierig: "Aber wer derart auf einen Wehrlosen einschlägt, hat nichts in einer Uniform verloren."

Keine Konsequenzen

Mit dem nunmehrigen, in Rechtskraft erwachsenen Urteil hat der inzwischen 35-jährige Polizist wohl keine gravierenden dienstrechtlichen Konsequenzen mehr zu befürchten. Strafrechtliche Verurteilungen unter drei Monaten unterliegen nicht einmal der beschränkten Auskunftspflicht. Zur Anklage gebracht und abgeurteilt worden war der Beamte im Zusammenhang mit einer Klima-Demo, die am 31. Mai 2019 in der Bundeshauptstadt stattgefunden hatte. Der betroffene Demonstrant hatte sich im Rahmen einer Sitzblockade mit anderen Manifestantinnen und Manifestanten auf der Ringstraße vor der Urania niedergelassen und wollte sich von der Polizei nicht entfernen lassen. Er wurde von mehreren Beamten festgehalten, ehe ihm - wie später in einem gerichtsmedizinischen Gutachten festgestellt wurde - "mehrfache stumpfe Gewaltanwendung" widerfuhr. Die Schläge in den Rücken bewirkten demnach eine Prellung der rechten Niere und Hämatome.

Aktivisten sehen Einflussnahme

"Das riecht nach dem Versuch einer Einflussnahme auf die Exekutive", hieß es am Montag seitens eines Sprechers der "Letzten Generation" in einer Reaktion auf die OLG-Entscheidung. Offenbar solle der Polizei vermittelt werden, dass man "provozierende" Demonstrierende härter anfassen könne.

Die "Letzte Generation" macht derzeit mit Aktionen in Wien und andernorts auf die Klima-Krise aufmerksam und hat laufend mit der Polizei zu tun. Die Feststellungen des OLG seien bedauerlich, "aber wir glauben nicht, dass sich die Exekutive beeinflussen lässt", meinte der Sprecher. Der Großteil der Beamtinnen und Beamte begegne den Aktivistinnen und Aktivisten mit Respekt, gehe korrekt vor und halte sich "an die Regeln".

Bei Amnesty International zeigt man sich grundsätzlich irritiert, dass das OLG einen Zusammenhang zwischen einem Fall von Polizeigewalt im Mai 2019 und den heutigen Klimaprotesten herstellt. Amnesty habe mehrfach auf Fälle von Polizeigewalt, gerade im Zusammenhang mit Klimademonstrationen, aber auch anderen Fällen, hingewiesen und auch über den konkreten Fall berichtet. "Statt Klimaaktivistinnen und -aktivisten als Täterinnen oder Täter hinzustellen, wäre es endlich an der Zeit, die von Amnesty und internationalen Organisationen längst geforderte Ermittlungsstelle zur wirksamen Untersuchung von Polizeigewalt einzurichten", bemerkte Österreich-Geschäftsführerin Schlack.

ribbon Zusammenfassung
  • Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) hat die erstinstanzliche Strafe für einen gewalttätigen Polizisten, der einem Demonstranten neun Stöße mit der Faust und dem Handballen versetzt hatte, deutlich abgemildert.
  • Für Lahner sind diese Feststellungen nicht nachvollziehbar.
  • Amnesty habe mehrfach auf Fälle von Polizeigewalt, gerade im Zusammenhang mit Klimademonstrationen, aber auch anderen Fällen, hingewiesen und auch über den konkreten Fall berichtet.