Ein Selfie des 16-Jährigen, der einen Anschlag auf den Hauptbahnhof verüben wollteScreenshot TikTok

Anschlagsplan in Wien: "Durch Töten komme ich ins Paradies"

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Am 11. September wollte ein 16-Jähriger einen Anschlag am Wiener Hauptbahnhof verüben und sich dann von der Polizei erschießen lassen. Im letzten Moment änderte er seine Meinung. Ein psychologisches Gutachten, das PULS 24, "Standard" und APA vorliegt, attestiert ihm eine Lern- und Entwicklungsstörung, aber volle Zurechnungsfähigkeit.

Buchstäblich im letzten Moment brach ein 16-Jähriger am 11. September dieses Jahres auf dem Wiener Hauptbahnhof einen geplanten Anschlag ab. Am darauffolgenden Tag wurde er festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Er hatte geplant, einen Böller zu werfen und dann in der entstandenen Panik mit einem zuvor erworbenen Kampfmesser auf Menschen einzustechen, um sie zu töten. Anschließend wollte er sich von der Polizei erschießen lassen, um so als "Märtyrer" zu sterben.

"Durch dieses Töten komme ich ins Paradies, dort ist es sehr schön und ich entgehe der Streiterei mit meinem Vater", sagte der inzwischen 17-Jährige bei seiner Einvernahme, die PULS 24, "Standard" und APA vorliegt.

"Nicht so ganz" bewusst, dass Töten verboten ist?

Von den Beamten gefragt, ob ihm nicht bewusst gewesen sei, dass das Töten von Menschen verboten sei, meint er: "nicht so ganz, 50:50". Jedoch hätte er nicht gewusst, dass er deswegen "gleich ins Gefängnis kommen" könne, behauptete er. An einer anderen Stelle sagt er jedoch: "Mir war bewusst, dass ich für einen Anschlag, falls ich ihn überlebe, eine lebenslange Haftstrafe bekommen hätte."

Ein psychologisches Gutachten, das PULS 24, "Standard" und APA vorliegt, kommt zum Schluss, dass der Verdächtige sehr wohl wusste, was er da plante. Er sei voll zurechnungsfähig und habe die Tat rational geplant - bis ins kleinste Detail. So hatte er sich Handschuhe besorgt, damit er "beim Zustechen nicht abrutscht", gestand er.

"Nicht dumm, aber auch nicht gescheit"

Der 17-Jährige sei "nicht dumm, aber auch nicht gescheit", sagte eine seiner älteren Schwestern aus. Er sei naiv und beeinflussbar.

Das psychologische Gutachten diagnostiziert eine Lern- und Entwicklungsstörung. Damit in Zusammenhang steht möglicherweise, dass er bereits mit sechs Jahren seine Mutter verlor und vom Vater vernachlässigt und laut eigener Aussage auch misshandelt wurde.

Der türkischstämmige Jugendliche hatte keine Freunde, meist spielte er zu Hause Videospiele oder tauschte sich mit Online-Bekanntschaften über Social Media aus. Erst im Mai dieses Jahres lernte er "auf der Straße" zufällig mehrere Muslime kennen, die ihn für den Islam begeisterten.

Beten in der Moschee des Wien-Attentäters

Mit 15 habe ihn sein Vater öfters in eine türkische ATIB-Moschee mitgenommen. Seine neuen Bekanntschaften hätten ihn die Tewhid-Moschee im 12. Bezirk eingeladen, erzählte der Verdächtige in der Einvernahme.

Dorthin war auch der Wien-Attentäter zum Beten gegangen. Nach dessen Anschlag war sie vorübergehend geschlossen worden, seit 2021 ist sie wieder offen. Den Wien-Attentäter bezeichnete der Beschuldigte in seiner Einvernahme als sein "Vorbild". Er behauptete, ihm einmal in einem Einkaufszentrum begegnet zu sein. Belege dafür gibt es aber nicht.

In der Tewhid-Moschee entwickelte der 17-Jährige erstmals in seinem Leben ein Zugehörigkeitsgefühl. "Als gläubiger Moslem gehöre ich dazu", sagte er in der Einvernahme. Und die Vorschriften nahm er ab da sehr ernst. Regelmäßig ging er in die Tewhid-Moschee zum Beten.

Sein Vater gab bei der Polizei an, ihm sei aufgefallen, dass sein Sohn angefangen habe, öfter und "nach arabischer Art" zu beten. Die neuentdeckte Begeisterung für den Islam, besonders in der strengen salafistischen Auslegung, missfiel dem Vater. Als sich der 17-Jährige einen Bart ohne Oberlippenbart wachsen ließ, verbot er ihm das. Er wollte nicht, dass sein Sohn "wie ein Tschetschene" aussehe, sagte der Vater.

Einmal brachte der 17-Jährige einen Freund von der Moschee mit nach Hause, der Vater war wütend und schickte ihn weg. Der Freund habe zwar Türkisch gesprochen, aber mit starkem Akzent, er habe "wie ein Tschetschene" ausgesehen, sagte der Vater der Polizei.

Online-Radikalisierung

Über seine Anschlagspläne habe er in der Moschee nicht gesprochen. Dieser dürften vielmehr in jihadistischen Telegram-Gruppen gereift sein.

Auf seinem TikTok-Account veröffentlichte der 17-Jährige Fotos und Videos, in denen er zum Teil islamische Kalligrafien zeigte, die er selbst mit Stiften gezeichnet hatte. Er habe dafür viel Zuspruch erhalten, sagte er bei der Polizei. Über Youtube-Videos entdeckte er die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). "Ich dachte, das könnte etwas für mich sein", meinte er gegenüber den Beamten.

Nachgefragt, was ihm denn daran gefallen habe, entgegnete er, dass er die Flagge, die Uniform, die Kleidung, die Menschen und bedeckte Frauen "gut" finde. Seiner Meinung nach sei der IS die einzige gläubige Organisation der Welt: "Sie herrschen mit Gottes Gesetz und kämpfen gut."

Sein "religiöses Wissen" bezog der Jugendliche vor allem aus dem Internet, von Predigern auf Youtube, wie er sagte. Sein Vater sagte über den 17-Jährigen, dass er den Koran gar nicht lesen könne. Von Beamten auf eine mit dem Lesezeichen markierte Stelle in seinem Koran angesprochen, erklärte der Beschuldigte: "Ich habe dort einfach aufgehört zu lesen. Es fällt mir schwer, mir zu merken, was ich gelesen habe."

Sehnsucht Märtyrertod

An einen Inhalt erinnert er sich aber sehr gut: "Im Koran steht, dass wenn jemand dabei getötet wird, während er Ungläubige tötet, wird er ein Märtyrer. Das hat mich dazu gebracht, diesen Anschlag zu planen."

Seine Gedanken kreisten viel um Paradies und Hölle. Früher, als er in der Sonderschule gemobbt und auch verprügelt wurde, hatte er mehrmals Suizidgedanken. Suizid sei aber verboten, da würde man in der Hölle landen, habe er in der neuen Moschee gelernt.

Seitdem habe er diese Gedanken nicht mehr gehabt, sie wurden stattdessen von Gedanken zu Märtyrertod und Paradies abgelöst. Einen Anschlag werde er jedoch nie begehen, betonte er in seiner Einvernahme - nicht, weil er diese als falsch ansehe, sondern, weil ihm der Mut fehle.

U-Haft "wie Hotel Mama"

Der Verteidiger des 17-Jährigen, David Jodlbauer, sieht im Gutachten "einen Schritt in die richtige Richtung für den Beschuldigten". Er gehe davon aus, dass es sich bei der Entscheidung, ob sein Mandant bis Prozessbeginn in Haft bleiben müsse, positiv auswirken werden, meint er gegenber PULS 24.

Der Beschuldigte selbst machte sich zumindest bei seiner ersten Einvernahme offenbar noch nichts aus seinem Haftaufenthalt. Er sei lieber in Haft als zu Hause, da er mehr Freiheiten, keine Angst habe und auch nicht geschlagen werde, sagte er den Beamten. Ihm gehe es "super", die Einzelhaft sei "wie Hotel Mama".

ribbon Zusammenfassung
  • Am 11. September wollte ein 16-Jähriger einen Anschlag am Wiener Hauptbahnhof verüben und sich dann von der Polizei erschießen lassen.
  • Ein psychologisches Gutachten, das PULS 24, "Standard" und APA vorliegt, attestiert ihm eine Lern- und Entwicklungsstörung, aber volle Zurechnungsfähigkeit.
  • "Durch dieses Töten komme ich ins Paradies, dort ist es sehr schön und ich entgehe der Streiterei mit meinem Vater", sagte der heute 17-Jährige bei seiner Einvernahme.
  • Der 17-Jährige sei "nicht dumm, aber auch nicht gescheit", sagte eine seiner älteren Schwestern aus. Er sei naiv und beeinflussbar.
  • Über Zufallsbekanntschaft kam der türkischstämmige Jugendliche zur Tewhid-Moschee im 12. Bezirk, dort wo auch der Wien-Attentäter betete.
  • Die Radikalisierung und Faszination für die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) kam aber online.