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Staatsbürgerschaftsrecht: In Österreich geboren und doch "fremd"

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Der erschwerte Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft macht eine Viertelmillion Menschen zu Fremden in ihrem eigenen Geburtsland. Ein politisches Mitwirken bleibt ihnen verwehrt.

Eine Viertelmillion Menschen, 250.811 mit Stand 1. Jänner 2022, sind in Österreich geboren, gelten aber vor dem Staat als "Fremde". Sie besitzen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Zusammen mit den Personen, die im Ausland geboren wurden, handelt es sich um 1.586.709 Personen ohne österreichischen Pass.

Finanzielle und administrative Hürden

Wenig verwunderlich, wenn man bedenkt mit welchen finanziellen, zeitlichen und administrativen Hürden der Einbürgerungsprozess verbunden ist – das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht zählt weltweit zu den restriktivsten.

Im "Migrant Integration Policy Index" belegt Österreich unter 56 verglichenen Staaten den viertletzten Platz. Der Zugang zur Staatsbürgerschaft ist laut diesem Index nur noch in Bulgarien, Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten schwerer.

Wenig Einbürgerungen

Aber warum ist das so? Ein Blick in die österreichische Innenpolitik zeigt: Während die Grünen, NEOS  und SPÖ ein moderneres, weniger restriktives Staatsbürgerschaftsrecht begrüßen würden, sind ÖVP und FPÖ streng gegen jede Lockerung eines solchen Gesetzes. 

Der erschwerte Zugang zur Staatsbürgerschaft führt dazu, dass in Österreich sehr wenig Menschen eingebürgert werden. Im Jahr 2020 wurden 8.996 Personen eingebürgert, im Jahr 2021 gab es einen Anstieg auf 16.171. Grund dafür war jedoch die Einbürgerung der Nachfahren von NS-Opfern. Die Zahl der eingebürgerten Personen mit Wohnsitz im Inland blieb bei 9.723. Im Jahr 2019 gab es 10.606 und im Jahr 2018 insgesamt 9.450 Einbürgerungen.

Unrealistisches Einkommen notwendig

Will man die Staatsbürgerschaft beantragen, steht man vor großen Hürden. Wer den österreichischen Pass möchte, muss ein bestimmtes Einkommen nachweisen. Genauer gesagt handelt es sich dabei um 1.030 Euro, die dem Antragsteller nach Abzug der Fixkosten, wie Miet- und Kreditkosten, vom Nettogehalt monatlich übrigbleiben müssen. Nur dann kommt eine Beantragung überhaupt in Frage.

Zudem: Ist man über 24 jahre alt und bekommt somit kein Kindergeld mehr, wird das eigene Einkommen als Grundlage herangezogen – unabhängig davon, ob man Student:in oder Schüler:in ist und somit dieses Einkommen, realistisch betrachtet, nicht vorlegen kann.

Gebühren bis zu 2.350 Euro

Und auch die Staatsbürgerschaft selbst ist teuer. Nach PULS 24 Recherchen kostet die Staatsbürgerschaft je nach Bundesland bis zu 2.350 Euro. Hier nicht beinhaltet sind eventuelle Kosten für beglaubigte Übersetzungen oder Zusicherungsbescheide. Nicht gerade ein Betrag, den sich jeder sofort aus dem Ärmel schütteln kann.

Obwohl die Einbürgerungskosten im Vergleich in Wien eher niedriger und die in der Steiermark eher teurer ausfallen, können die Abgaben nur im Individualfall genau ermittelt werden. Grund dafür ist, dass die Gebühren je nach Bundesland und zum Teil auch nach Einkommen stark variieren.

Mehr dazu:

Staatsbürgerschaft: Forderung nach einfacheren Verfahren

Ilkim Erdost von der Wiener Arbeiterkammer spricht mit PULS 24 Anchor René Ach über die Debatte um die Staatsbürgerschaft. Sie fordert ein einfacheres Verfahren. Das sei demokratiepolitisch notwendig.

Österreichs schwächster Punkt

Der Anspruch von Zuwanderern auf die österreichische Staatsbürgerschaft sei "nach wie vor ungünstig" - er bleibe unter den bewerteten Bereichen "der schwächste Punkt Österreichs", schätzt der "Migrant Integration Policy Index" (MIPEX) ein. 

Zu den "restriktivsten und ungünstigsten'" Anforderungen  für die Einbürgerung gehören laut MIPEX die Anforderungen in Bezug auf Sprache, Leumund, Einkommen, Kosten sowie Staatsbürgerschaftstest. Österreich sei auch eines der MIPEX-Länder, das sich "dem Trend zur vollen Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft widersetzt und Zuwanderer zwingt, ihre vorherige Staatsbürgerschaft aufzugeben, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten". Zum Vergleich: Deutschland bietet schon seit Jahren die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft.

Pro und Contra: Österreichische Staatsbürgerschaft – Lohn oder Motivation?

Ist eine Änderung in Sicht?

"Die Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht müssen weiter an strenge Voraussetzungen gekoppelt bleiben", meint Christian Stocker, Generalsekretär der Volkspartei, gegenüber PULS 24. "Wer in Österreich mitbestimmen will, muss sich zu unserer Republik und unseren Werten bekennen. Das stellen die geltenden Regeln zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft sicher."

Der grüne Koalitionspartner hingegen sieht das etwas anders. Dass "die Hürden für den Erwerb der Staatsbürgerschaft so hoch sind", dass sie für eine so große Zahl der Menschen "praktisch nicht erreichbar ist" sehen die Grünen kritisch, meint Justizsprecherin Agnes Prammer. Für eine gesetzliche Änderung finde sich jedoch keine Mehrheit im Parlament. "Mit der ÖVP war in den Koalitionsverhandlungen keine Einigung in diesem Sinne möglich. Insofern findet sich dazu auch nichts im Regierungsübereinkommen", so Prammer gegenüber PULS 24.

Die FPÖ erteilt "jeglichen Bestrebungen, den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern, eine klare Absage", so der FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer auf PULS 24 Anfrage. Die österreichische Staatsbürgerschaft sei "ein hohes Gut", das "keinesfalls geschenkt, sondern besonders geschützt werden muss". Der Erwerb der Staatsbürgerschaft müsse sogar "restriktiver gehandhabt werden".

Die SPÖ hingegen spricht sich gegenüber PULS 24 für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts aus. Um "Parallelgesellschaften zu verhindern, Zugehörigkeit zu ermöglichen und die Identifikation mit Österreich zu stärken", brauche es ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht, heißt es aus der Parteizentrale. Laut der SPÖ solle sich nichts an den inhaltlichen Kriterien für den Erwerb der Staatsbürgerschaft (wie Sprachkenntnisse, Wohnverhalten etc.) ändern. Die Einkommensgrenzen müssten jedoch gesenkt und "nachvollziehbar gestaltet werden". Denn: "Die Staatsbürgerschaft darf kein Recht der Reichen sein." Die Bundesgebühren sollten laut der SPÖ gestrichen, die Landesgebühren österreichweit vereinheitlicht werden. Außerdem fordert die SPÖ: Ein in Österreich geborenes Kind soll bei Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen, wenn zumindest ein Elternteil fünf Jahre legal im Bundesgebiet aufhältig ist.

Aus Demokratie ausgeschlossen

Viele Menschen, die seit Jahren in Österreich leben oder sogar im Land geboren sind, sind durch den fehlenden österreichischen Pass vom Wahlrecht ausgeschlossen - sie können nicht aktiv an der Demokratie teilhaben. Als Beispiel: Bei der Bundespräsidentschaftswahl 2022 durfte in Wien rund ein Drittel der Bevölkerung, also eine halbe Million Menschen, nicht entscheiden, wer der Bundespräsident ihres Landes werden soll.

Die Politik "lebt von Partizipation und Mitsprache, das ist der Kern der Demokratie", meinte der Migrationsexperte Gerd Valchars zu diesem Thema in einem "Moment" Interview. Was macht das also mit der österreichischen Demokratie wenn eine Viertelmillion Menschen nicht mitentscheiden dürfen?

Und was nun? In Österreich sind es über 250.000 Menschen, die seit ihrer Geburt von bestimmten Rechten ausgeschlossen sind und nicht viel dagegen tun können, weil die Staatsbürgerschaft für sie unerreichbar ist, obwohl sie großteils hier arbeiten und Steuern zahlen.

Und Fakt ist: Menschen, die in Österreich geboren und einen Großteil oder ihr ganzes Leben hier verbracht haben, haben kein anderes Zuhause.

Staatsbürgerschaft: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden?

  • Nachweis von Deutschkenntnissen auf B1-Niveau
  • Nachweis von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung und die sich daraus ableitbaren Grundprinzipien sowie der Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes, in dem der Staatsbürgerschaftswerber seinen Wohnsitz hat
  • Zehnjähriger, rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich, wobei der Staatsbürgerschaftswerber davon zumindest fünf Jahre niedergelassen gewesen sein muss
  • Unbescholtenheit 
  • Nachweis eines hinreichend gesicherten Lebensunterhalts
  • Keine wesentliche Beeinträchtigung internationaler Beziehungen und keine Schädigung der Interessen der Republik durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft
  • Bejahende Einstellung zur Republik Österreich und Gewährleistung, dass keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit besteht
  • Ausscheiden des Staatsbürgerschaftswerbers aus seinem bisherigen Staatsverband, soweit dies möglich und zumutbar ist
  • Positive Beurteilung des Gesamtverhaltens des Staatsbürgerschaftswerbers im Hinblick auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß seiner Integration
ribbon Zusammenfassung
  • Der erschwerte Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft macht eine Viertelmillion Menschen zu Fremden in ihrem eigenen Geburtsland.
  • Ein politisches Mitwirken bleibt ihnen verwehrt.
  • Mehr dazu im Artikel.