"Nur Ja heißt Ja"
"Hast du geschrien?": Warum sich das Sexualstrafrecht ändern muss
In Niederösterreich soll ein 42-Jähriger seiner Lebensgefährtin Betäubungsmittel ins Cola gemischt haben, um sie dann zu missbrauchen. "Abgeschaut" hat er sich das von einem Deutschen, der seiner Ehefrau über 15 Jahren lang ähnliches antat.
Der 42-Jährige zeigt sich geständig, was wohl unweigerlich zu einem Schuldspruch beim Verfahren im September führen wird. In den meisten Missbrauchsfällen gestaltet sich die strafrechtliche Verfolgung allerdings schwieriger.
Laut einer Erhebung der Frauen*beratung Notruf bei sexueller Gewalt Wien wurden 2022 insgesamt 1.139 Vergewaltigungen angezeigt. Nur in 122 Fällen kam es zu einer Verurteilung. Dazu kommt: Nur rund 9 Prozent der Frauen, die eine Vergewaltigung erlebten, erstatten überhaupt Anzeige.
"Gesellschaftspolitische" Änderung
Das hat mehrere Gründe. Laut der auf Opferschutz spezialisierten Rechtsanwältin Patricia Hofmann braucht es einen "gesellschaftspolitischen" Shift.
Denn hat es in Europa - zumindest kurzzeitig - durch den aufsehenerregenden Missbrauchsprozess rund um Gisèle Pelicot gegeben. Sie wurde jahrelang von ihrem Ehemann betäubt, missbraucht und von ihm auch anderen Männern für Missbrauch zur Verfügung gestellt. Sie forderte, dass "die Scham die Seite wechselt" und wurde zur Frauenrechtsikone.
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In Frankreich wurde dann ein "Konsensprinzip", auch "Nur Ja ist Ja"-Ansatz, im Sexualstrafrecht gefordert. Frauenministerin Eva Maria Holzleitner und Justizministerin Anna Sporrer (beide SPÖ) hatten im Juni ankündigt, über dieses Prinzip auch in Österreich diskutieren zu wollen.
Ein "Nein" reicht nicht
In Österreich gilt seit 2016 in der strafrechtlichen Verfolgung von sexueller Gewalt das "Nein heißt Nein"-Prinzip. Dieser fokussiert sich auf die Ablehnung des Opfers.
Derzeit sei es laut Hofmann rechtlich erforderlich, dem Opfer die Fragen zu stellen wie: "Warum hast du dich nicht mehr gewehrt oder warum hast du nicht lauter geschrien? Hätte der Täter überhaupt mitbekommen können, dass du das nicht möchtest?"
Das erwecke den Anschein, dass die Opfer die Verantwortung tragen. Beim "Nur Ja ist Ja"-Ansatz richten sich die Frage an den Täter. "Wie konnten Sie davon ausgehen, dass hier eine Zustimmung vorliegt?", nennt Hofmann ein Beispiel.
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Damit kann auch dem Phänomen des "Freezing", einer Art Schockstarre des Opfers, da es von der Handlung "überrumpelt" wurde, begegnet werden. In diesem Fall könnte das "Nur Ja ist Ja" das Opfer schützen, da es eine passive Haltung einnahm und nicht einwilligte.
Durch das Prinzip besser abgedeckt wären auch Fälle, in denen ein wehrloser Zustand eines Opfers nicht nachweisbar ist.
Eine Betäubung - sofern sie nachweisbar ist - ist im Gewaltbegriff umfasst. Damit wäre die Betäubung eines Opfers und der anschließende Missbrauch strafrechtlich eine Vergewaltigung. Zudem gibt es auch das Delikt des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person.
Hilfe bei sexueller Gewalt
Sind Sie Opfer von sexueller Gewalt oder kennen Sie jemanden, der es ist? Hier gibt es Hilfe:
- Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555
- Notrufnummer für Gehörlose und Hörbehinderte: 0800 133 133
- Rat auf Draht - Beratung für Kinder und Jugendliche: 147 sowie Online-Beratung
- Kindernotruf: 0800 567 567
- Online-Beratungsstelle für Frauen und Mädchen bei sexueller und anderer Gewalt: HelpCh@t
- Frauen- und Mädchen-Beratungsstellen in den Bundesländern: Beratung und Unterstützung bei sexualisierter Gewalt
- Kinder und Jugendanwaltschaften in Österreich: www.kija.at
Selbstbestimmung von Frauen stärken
Das "Nur Ja ist Ja" würde damit auch die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen bestärken, wie auch Justizministerin Sporrer argumentierte. Auch die gesellschaftliche Haltung gegenüber Opfern würde sich ändern.
Kritiker führen oft an, dass das Konsensprinzip zu grundlosen Anzeigen führen könnte. Angesichts der enormen Dunkelziffer bei den Anzeigen, wie bereits erwähnt, ist das Argument aber eher haltlos.
Hofmann plädiert auch für mehr Täterarbeit. "Sie müssen verstehen, was passiert ist. Auch, wenn sie schon eine Strafe bekommen haben", sagt sie.
Anzeigenberatung und sensiblere Beamte
Zudem fordert sie eine Art Anzeigenberatung. Viele Opfer bringen Delikte nicht gleich zur Anzeige. Sie wünsche sich eine juristische Beratung für Opfer.
Auch Polizist:innen sollten besser sensibilisiert werden. "Es wird bei Vergewaltigung oft davon ausgegangen, dass jemand schlimm niedergeschlagen und dann vergewaltigt wurde. Und wenn der Fall dieser Vorstellung nicht nachkommt, dann habe ich manchmal das Gefühl, es sagen einige: Na ja, es gibt ja schlimmere Sachen."
Die psychosoziale Sicht der Opfer sollte besser nachvollzogen werden. "Es braucht auch ein bisschen mehr Verständnis dafür, dass man im ersten Moment vielleicht einfach Duschen geht und sich all das abwäscht, was passiert ist, und nicht gleich ins Krankenhaus fährt. Das ist menschlich", sagt Hofmann.
In 14 Ländern in der EU wurde das Konsensprinzip, also "Nur Ja ist Ja", schon umgesetzt. In Norwegen hat das Parlament erst kürzlich mit großer Mehrheit dafür gestimmt. Vor einer sexuellen Handlung ist also die verbale oder nonverbale Zustimmung aller Beteiligten nötig.
Holzleitner und Sporrer wollen das Prinzip im "Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen" diskutieren.
Video: P. Diddy - Ein Netzwerk des Machtmissbrauchs
Zusammenfassung
- Im September wird in Niederösterreich ein schwerer Vergewaltigungsfall verhandelt: Ein 42-Jähriger betäubte und missbrauchte seine Freundin.
- Ein Blick auf die Anzeigen zeigt: Recht oft kommt es in Österreich nicht zu Verurteilungen.
- Warum das so ist und wie man es ändert.