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Sucht KI menschliche Ziele für israelische Bombenangriffe aus?

Medienberichten zufolge soll die israelische Armee ein auf künstlicher Intelligenz basiertes Programm verwenden, um Bombenziele im Gazastreifen zu identifizieren. Die IDF bestritt das - es handle sich "lediglich um eine Datenbank", deren Zweck es ist, nachrichtendienstliche Quellen miteinander zu vergleichen, um Informationen über die Terroristen zu bekommen.

Erst kürzlich wurden sieben Angehörigen der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) durch einen israelischen Drohnenangriff getötet. Die israelischen Soldaten gingen davon aus, dass sie auf Fahrzeuge von Hamas-Kämpfern zielten. Die Armee sprach von "schwerwiegendem Versagen" und entließ die verantwortlichen Kommandanten.

In einer Untersuchung zitiert nun das israelisch-palästinensischen Magazin "+972" sechs israelische Geheimdienstmitarbeiter, die während des aktuellen Gaza-Krieges in der Armee gedient und an einem angeblichen Programm namens "Lavender" beteiligt waren.

Diese behaupteten, dass "Lavender" eine zentrale Rolle bei der Bombardierung im Gazastreifen gespielt hat, insbesondere in der Anfangsphase des Krieges.

KI-Programm wie "menschliche Entscheidung"

Der Einfluss des Programms auf die Militäroperationen der israelischen Armee (IDF) seien so groß gewesen, dass die Ergebnisse der KI so behandelt wurden, "als wären sie eine menschliche Entscheidung", so das Magazin.

Grundsätzlich sei das System von "Lavender" so konzipiert, dass es alle verdächtigen Hamas-Mitglieder - auch die mit niedrigem Rang - als potenzielle Bombenziele markiert.

Armee verließ sich auf Programm - trotz 10 Prozent Fehlerquote

"Lavender" habe in der Anfangszeit des Krieges 37.000 Palästinenser als mutmaßliche Kämpfer und ihre Häuser als potenzielles Ziel von Luftangriffen registriert. Laut den Angaben der Geheimdienstmitarbeiter soll sich die israelische Armee in den ersten Wochen des Krieges fast vollständig auf das Programm verlassen haben

Die Armee soll Offizieren die Erlaubnis erteilt haben, die Vorschläge von "Lavender" zu übernehmen, ohne diese gründlich zu prüfen. Menschliches Personal habe "nur abgestempelt" und sich oftmals "nur etwa 20 Sekunden" Zeit genommen, um einen Bombenanschlag zu genehmigen.

Dabei sei bekannt, dass das System in etwa 10 Prozent der Fälle "Fehler" mache und gelegentlich Personen markiert, die nur eine lockere oder gar keine Verbindung zu militanten Gruppen haben. 

Bis zu 100 getötete Zivilisten für einen hochrangigen Hamas-Kämpfer

Wie die Geheimdienstmitarbeiter weiter enthüllten, wurden für jugendliche Terroristen dabei nur ungelenkte Raketen verwendet, die dafür bekannt sind, ganze Gebäude mitsamt ihren Bewohner:innen zu zerstören.

"Man will keine teuren Bomben an unwichtige Leute verschwenden", sagte eine der Quellen. So seien die Bombardierungen von "Hunderte" von Privathäusern von mutmaßlichen Junior-Terroristen genehmigt worden, obwohl bei diesen Angriffen Zivilisten getötet wurden.

Laut den Quellen habe man zu Beginn des Krieges beschlossen, dass für jeden von "Lavender" markierten Hamas-Terroristen "bis zu 15 oder 20 Zivilisten" getötet werden dürfen - für einen hochrangigen Hamas-Funktionär sei bei mehreren Gelegenheiten die Tötung von über 100 Zivilisten genehmigt worden.

Systematisch: Angriffe in privaten Häusern

Dabei seien Zielpersonen systematisch angegriffen worden, wenn sie sich in ihren Häusern befanden - in der Regel nachts, wenn ihre Familien anwesend waren. Aus strategischer Sicht sei es einfacher gewesen, die Personen in ihren Privathäusern aufzuspüren.

Dafür verwendet wurden zum Teil auch automatisierte System, wie das System "Where's Daddy?", das Zielpersonen aufspürte, wenn sie die Wohnungen ihrer Familien betraten. 

"Die IDF haben sie ohne zu zögern in ihren Häusern bombardiert, als erste Option. Es ist viel einfacher, das Haus einer Familie zu bombardieren. Das System ist so aufgebaut, dass es in solchen Situationen nach ihnen sucht", so eine der Quellen.

Video: "Gibt zurzeit keinen sicheren Platz im Gazastreifen"

IFD: Programm "lediglich Hilfsmittel für Analysten"

Als Antwort auf den Bericht veröffentlichte die israelische Armee eine Erklärung. Darin bestritt die IDF die Existenz des Programms nicht. Bestritten wurde jedoch, dass die KI zur Identifizierung von Terrorverdächtigen eingesetzt werde.

"Die IDF verwenden kein System der künstlichen Intelligenz, das terroristische Agenten identifiziert oder versucht vorherzusagen, ob eine Person ein Terrorist ist", hieß es.

Es handle sich nicht um ein "System", sondern "lediglich um eine Datenbank, deren Zweck es ist, nachrichtendienstliche Quellen miteinander zu vergleichen, um aktuelle Informationen über die militärischen Akteure terroristischer Organisationen zu erhalten". Es handle sich nicht "um eine Liste bestätigter Militärangehöriger, die für Anschläge infrage kommen".

"Israel handelt nach Völkerrecht"

In der Erklärung betonte das israelische Militär, dass "Informationssysteme lediglich Hilfsmittel für Analysten bei der Identifizierung von Zielen" seien. Israel versuche, "den Schaden für Zivilisten so gering zu halten, wie es unter dem Zeitpunkt des Angriffs herrschenden operativen Umständen möglich ist". 

Analysten müssten "unabhängige Untersuchungen durchführen", in denen sie überprüfen, ob die identifizierten Ziele in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht und zusätzlichen Einschränkungen entsprechen. Die Behauptung einer "Politik der Tötung von Zehntausenden von Menschen in ihren Häusern" wies die israelische Armee entschieden zurück.

"Im Gegensatz zur Hamas" seien die IDF "dem Völkerrecht verpflichtet und handeln entsprechend", so die Armee

ribbon Zusammenfassung
  • Laut den Untersuchungen des Magazins "+972" soll die israelische Armee ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Programm verwenden, um Bombenziele im Gazastreifen zu identifizieren.
  • Als Antwort auf den Bericht, veröffentlichte die israelische Armee eine Erklärung. Darin bestritt die IDF die Existenz des Programms nicht.
  • Bestritten wurde jedoch, dass die KI zur Identifizierung von Terrorverdächtigen eingesetzt werde.
  • Israel versuche, "den Schaden für Zivilisten so gering zu halten, wie es unter dem Zeitpunkt des Angriffs herrschenden operativen Umständen möglich ist".