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Falschaussage-Prozess

Sebastian Kurz erneut vor Gericht: Worum geht's da nochmal?

Heute, 06:03 · Lesedauer 5 min

Für Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird es am Montag ernst: Am Oberlandesgericht Wien geht der Prozess wegen Falschaussage im "Ibiza"-Untersuchungsausschuss in die nächste Runde. Aber warum geht es in dem Verfahren nochmal genau?

Als im Mai 2019 ein heimlich gefilmtes Video den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Klubobmann Johann Gudenus in eine schwere Krise stürzte, ahnte kaum jemand, dass die "Ibiza-Affäre" Jahre später auch Sebastian Kurz juristisch einholen würde.

Was als Straches "bsoffene Gschicht" begann, löste eine Kette politischer Erschütterungen und Ermittlungen aus – auch die ÖVP und Kurz gerieten zunehmend ins Visier der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Schlagwörter wie Schreddergate, Causa Casinos oder die sogenannte Inseraten-Affäre dominierten bald die Berichterstattung.

Der Druck auf Sebastian Kurz wurde schließlich so groß, dass er im Herbst 2021 als Bundeskanzler zurücktrat und sich vollständig aus der Politik zurückzog.

Video: Kurz-Rücktrittsrede in voller Länge

"Eingebunden im Sinne von informiert"

Die Justiz ließ jedoch nicht locker: Im Zentrum eines anderen Verfahrens stand Kurz’ Aussage vor dem "Ibiza"-Untersuchungsausschuss am 24. Juni 2020. Die WKStA wirft ihm vor, dort vorsätzlich die Unwahrheit gesagt zu haben.

Konkret ging es in den drei Aussagen um die Besetzung des Vorstandspostens der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG, die ab 2019 von Thomas Schmid – der damals noch als Kurz' enger Vertrauter galt – geleitet wurde.

Im U-Ausschuss wollte etwa Jan Krainer (SPÖ) vom damaligen Bundeskanzler wissen: "Waren Sie an Gesprächen beteiligt, dass Herr Schmid da der Alleinvorstand werden soll?" Kurz antwortete: "Ich habe immer gewusst, dass er ein potenzieller Kandidat ist, aber ich habe die Entscheidung nicht getroffen, sondern die Entscheidung hat der Aufsichtsrat getroffen."

Ob Kurz im Vorfeld eingebunden war? "Eingebunden im Sinne von informiert, ja.", so der ÖVP-Kanzler. Die WKStA sah das anders – insbesondere aufgrund zahlreicher Chatnachrichten zwischen Schmid und Kurz.

Video: Postenschacher? Schmid-Chats belasten Kurz

"Ich liebe meinen Kanzler"

Die Kommunikation zwischen Kurz und Schmid sorgte für mediale Schlagzeilen. Schmid hatte sich bei Kurz beschwert, er wolle kein "Vorstand ohne Mandate" werden. Kurz beruhigte ihn: "Kriegst eh alles, was du willst", versehen mit drei Bussi-Emojis. Schmids Antwort: "Ich liebe meinen Kanzler."

Für die WKStA ein klares Indiz: Kurz habe sehr wohl aktiv an der Postenbesetzung mitgewirkt – anders als im U-Ausschuss dargestellt.

Kurz, für den weiterhin die Unschuldsvermutung gilt, wies sämtliche Vorwürfe zurück und betonte stets, er habe korrekt ausgesagt. Noch vor der Anklageerhebung schrieb er auf X: "Wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen."

Video: Aussagen von Thomas Schmid belasten Sebastian Kurz

Aus drei Prozesstagen werden zwölf

Am 18. Oktober 2023 begann der Prozess vor dem Wiener Straflandesgericht unter Richter Michael Radasztics. Aus ursprünglich drei anberaumten Verhandlungstagen wurden aufgrund von Zeugen- und Beweisanträgen zwölf. 

Kurz verteidigte sich damit, dass seine Aussagen im U-Ausschuss aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Er sei mehrfach unterbrochen worden und habe nicht zu Ende sprechen können – seine unvollständige Aussage sei daher nicht absichtlich falsch gewesen.

Video: Prozess-Start gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz

Neben Kurz sagte auch sein mitangeklagter Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli aus.

Unter den geladenen Zeugen waren prominente Namen: Die Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel (beide ÖVP), mehrere ÖBAG-Aufsichtsräte sowie der jetzige Kronzeuge der WKStA, Thomas Schmid.

Für Aufsehen sorgte auch die virtuelle Einvernahme zweier russischer Geschäftsleute. Diese gaben an, Schmid habe bei einem Treffen in Amsterdam beklagt, dass die WKStA Druck auf ihn ausübe. Deren Einvernahme wurde für die Verteidigung aber zur Niete. Denn die Zeugen relativierten die Aussagen ihrer eidesstattlichen Erklärungen, die von Kurz' Verteidigern ursprünglich vorgelegt wurden.

Video: Kurz-Prozess: Skurrile Russen-Befragung

Richter: Rolle bei Postenbesetzung bewusst kleingeredet

Am 23. Februar 2024 verkündete Richter Radasztics das erstinstanzliche Urteil: Sebastian Kurz wurde nicht rechtskräftig zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt, Bonelli zu sechs Monaten.

Der Richter sah es als erwiesen an, dass Kurz im U-Ausschuss den Eindruck vermitteln wollte, nicht in die Bestellung Schmids zum ÖBAG-Chef involviert gewesen zu sein. In zwei Anklagepunkten wurde Kurz freigesprochen, in einem wesentlichen Punkt jedoch verurteilt.

Kurz habe, so der Richter, seine Rolle bei der Postenbesetzung im U-Ausschuss bewusst kleingeredet, um das Image der ÖVP zu wahren und nicht den Eindruck zu erwecken, es handle sich um "Postenschacherei". Einen sogenannten Aussagennotstand – wie von der Verteidigung vorgebracht – erkannte das Gericht nicht an.

Video: Kurz wegen Falschaussage schuldig gesprochen

Kurz empfindet Urteil als "sehr ungerecht"

Bereits unmittelbar nach der Urteilsverkündung legte Kurz' Anwaltsteam Berufung ein. In einem ersten öffentlichen Statement betonte der Ex-Kanzler: "Ich bin in zwei von drei Vorwürfen freigesprochen worden." Er halte an seiner Darstellung fest – diese sei auch von mehreren Zeugen bestätigt worden.

"Deshalb wird es sie nicht überraschen, dass ich diesen Teil der Entscheidung (den Schuldspruch, Anm.) als sehr ungerecht empfinde", so Kurz weiter. Er kündigte an, "selbstverständlich" gegen den Schuldspruch vorzugehen und zeigte sich "sehr optimistisch, dass wir in einer zweiten Instanz Recht bekommen".

Video: Kurz nach Schuldspruch: "Werden dagegen vorgehen"

Berufungsverhandlung am 26. Mai

Das schriftliche Urteil gegen Sebastian Kurz lag im Mai 2024 vor. Die Verteidigung des Ex-Kanzlers legte daraufhin ein über 600 Seiten starkes Rechtsmittel ein. Damit wird sich am 26. Mai das Oberlandesgericht (OLG) Wien befassen. Auch die Berufung von Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli wird an diesem Termin behandelt.

Die Verhandlung ist zunächst auf drei Stunden angesetzt – je nach Verlauf kann sie jedoch auf mehrere Tage ausgeweitet werden. Dann wird sich zeigen, ob der Dreiersenat des OLG das Urteil bestätigt oder es doch teils bzw. ganz aufhebt.

Zusammenfassung
  • Für Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird es am Montag ernst.
  • Im Oberlandesgericht Wien geht der Prozess wegen Falschaussage im "Ibiza"-Untersuchungsausschuss in die nächste Runde.
  • Aber warum geht es in dem Verfahren nochmal genau?