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EU-Klimaziel bis 2040

"Scheinklimaschutz"? Das Problem beim Zertifikatehandel

Heute, 08:11 · Lesedauer 5 min

Bis zum Jahr 2050 soll die Europäische Union klimaneutral werden. Auf dem Weg dorthin möchte die EU-Kommission die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Doch der Vorschlag stößt wegen eines Schlupflochs vielfach auf Kritik.

Während die Temperaturen in Österreich am Donnerstag auf knapp 40 Grad klettern und Europa unter einer Hitzewelle leidet, hat die Europäische Kommission einen neuen Plan zur Umsetzung des Klimaziels bis 2040 vorgestellt. 

Das kommt zur richtigen Zeit, denn laut einer aktuellen Umfrage hat die Bekämpfung des Klimawandels für 85 Prozent der EU-Bevölkerung eine hohe Priorität.

Konkret ist eine Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes um 90 Prozent bis 2040 geplant. Im Vergleich zu 1990 müssten die Emissionen in Europa also auf ein Zehntel sinken.

Neu ist das nicht: Bereits im Frühjahr 2024 stellte die Kommission dieses Zwischenziel auf dem Weg zur Klimaneutralität in einem ersten Entwurf vor.

Der nun von EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra und Kommissionsvizepräsidentin Teresa Ribera präsentierte Vorschlag zeigt jedoch, dass Brüssel dem Druck einiger Mitgliedstaaten nachzugeben scheint und die konkrete Umsetzung des Klimaziels abschwächen will.

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90-Prozent-Ziel mit Hintertür

Zwar hält die Kommission an der Emissionsreduktion um 90 Prozent fest, die der wissenschaftliche Klimabeirat der EU als Mindestziel empfohlen hatte, allerdings sieht der neue Plan ein Schlupfloch vor: Ab 2036 können bis zu drei Prozent der Emissionen von 1990 durch den internationalen Handel mit Klimazertifikaten ausgeglichen werden.

Das bedeutet, die EU müsste ihre eigenen Emissionen effektiv nur noch um 87 Prozent senken, solange Klimaschutzprojekte außerhalb der Union finanziert werden.

Beispielsweise könnten EU-Staaten oder Unternehmen den Aufbau von Solarparks in Afrika oder Aufforstungsprojekte in Südamerika finanzieren. Die prognostizierten Einsparungen an Treibhausgasemissionen könnten sie sich dann selbst gutschreiben.

"Öffnet Tür für Scheinklimaschutz"

Obwohl sich der Klimabeirat im Vorfeld kritisch gegenüber dieser Option geäußert hatte, will der EU-Klimakommissar auf diesen Emissionshandel setzen: "Der Planet macht keinen Unterschied, wo emittiert oder nicht emittiert wird."

Ganz anders sehen dies zahlreiche Kritiker, die eine simple Auslagerung des Problems an Länder des Globalen Südens befürchten. Auch das österreichische "Kontext Institut für Klimafragen" kritisiert, dass die EU-Kommission die Mitgliedsländer durch dieses Schlupfloch zunehmend aus der Verantwortung nehme.

Klimaexpertin und Kontext-Vorständin Katharina Rogenhofer warnt: "Auch wenn der Umfang mit drei Prozent vorerst beschränkt bleibt, öffnet die Kommission eine Tür für Scheinklimaschutz, die der politische Gegenwind, den die EU-Klimapolitik in den letzten Monaten erfährt, weiter aufdrücken könnte."

Sie betont zudem, dass Klimaziele kein Selbstzweck seien, sondern klare Perspektiven für langfristige Investitionsentscheidungen geben. Dass die EU-Kommission selbst gesteckte Ziele konterkariert und kürzlich beschlossene Gesetze wieder zurücknimmt, sei hingegen "Gift für jegliche Planungssicherheit".

Video: Klimaziele und gefährliche Schlupflöcher beim CO₂-Handel

Drei Prozent "klingt nach wenig", aber … 

Mehrere Experten betonen zudem, dass ein Ausgleich von drei Prozent der Treibhausgase harmloser erscheinen mag, als er tatsächlich ist.

"Bei etwa 10 Prozentpunkten verbleibenden Gesamt-Emissionen im Jahr 2040 (im Vergleich zu 1990) können diese Zertifikate einen substanziellen Anteil am europäischen Emissionshandel einnehmen", warnt etwa Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse.

Der EU-Parlamentarier der deutschen Grünen Michael Bloss rechnet damit, dass im Jahr 2040 Emissionen in Höhe von rund 145 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente durch diese internationalen Zertifikate gedeckt werden könnten.

"Dies entspricht etwa den Emissionen von Schweden, Finnland und Dänemark zusammen im Jahr 2023."

Klimazertifikate bisher kaum wirksam

Ein weiterer massiver Kritikpunkt an dem Schlupfloch der EU-Kommission ist die umstrittene Wirksamkeit des internationalen Handels mit Klimazertifikaten.

Bereits in der Vergangenheit waren die tatsächlichen Emissionseinsparungen schwer überprüfbar, zudem wurden einige Projekte massiv überbewertet – teilweise bewusst, um ihre Wirkung besser darzustellen, als sie tatsächlich ist.

Dies bestätigt eine im Vorjahr im Fachmagazin "Nature Communications" veröffentlichte Analyse. Demnach sparen viele CO₂-Ausgleichsprojekte deutlich weniger Emissionen ein als behauptet.

Das Forscherteam fand heraus, dass von angeblich rund einer Milliarde kompensierter Tonnen CO₂ nur etwa 16 Prozent tatsächlich eingespart wurden.

Der Großteil – über 800 Millionen Tonnen – seien sogenannte "Phantom Credits", also Einsparungen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt.

Dem EU-Klimakommissar dürften die Probleme des Emissionshandels durchaus bewusst sein. Er kündigte an, dass die EU einen Mechanismus einführen wolle, in dem zielführende Projekte mittels glaubwürdiger Instrumente unterstützt werden könnten. 

Dieser soll "überprüfbar und nachweisbar" sein.

Pläne noch nicht final beschlossen

Der Vorschlag der EU-Kommission findet jedoch auch Anklang bei einigen Forschern. So sieht Andreas Türk, Forschungsgruppenleiter für Internationale Klimapolitik und Ökonomik am Johanneum Research, darin auch eine große Chance für einen EU-Technologieexport. 

Mit einer sorgfältigen Auswahl von Partnerschaften mit Drittländern könnten sich sinnvolle klima- wie wirtschaftspolitische Möglichkeiten ergeben.

Bis zur Umsetzung der Pläne dürfte es jedoch noch dauern: Die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament müssen dem Vorschlag noch zustimmen. "Ich bin zuversichtlich, dass dieser Vorschlag im Trilog eine Mehrheit bekommen wird", sagte Klimakommissar Hoekstra.

Die nächste Herausforderung wartet jedoch wohl schon früher: Bis November, zur nächsten UN-Klimakonferenz (COP30) im brasilianischen Belém, muss die EU neuerlich ein verbindliches Klimaziel vorlegen.

Zusammenfassung
  • Bis zum Jahr 2050 soll die Europäische Union klimaneutral werden.
  • Auf dem Weg dorthin möchte die EU-Kommission die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren.
  • Doch der Vorschlag stößt wegen eines Schlupflochs vielfach auf Kritik.