Angehörige von Shoham: "Video von Evyatar hat uns gebrochen"
"Wir wussten, dass die Bedingungen (der Haft, Anm.) nicht gut waren", erzählt Haran. "Als Tal dort war, hat er 30 Kilo verloren. Er wurde ausgehungert und brutal gefoltert, physisch und mental. Wir hatten uns also (Davids Haftbedingungen betreffend) nichts vorgemacht. Aber sogar ohne diese Illusionen hätten wir uns nicht vorstellen können, dass Davids Zustand so schlimm ist." Haran schätzt, dass David nur noch Tage zu leben hat, "wenn er kein Essen und keine medizinische Hilfe bekommt".
"Ich glaube, es gibt im Gazastreifen nicht weniger palästinensische Geiseln als israelische", sagt Haran. "Denn sie sind unter der Kontrolle einer Terrororganisation, die sich nicht um ihr Leben kümmert; die ihnen das Essen stiehlt, damit sie den Hunger fotografieren können."
Bei der Freilassung ihres Schwagers habe die Hamas bereits mit Nahrungsaufnahme taktiert, befindet Haran. Fünf Tage vor seiner Freilassung gab die Terrororganisation Shoham und seinen Mitgefangenen zu essen, nachdem die Terrororganisation die Geiseln monatelang hatte hungern lassen. Die Hamas habe das gemacht, damit die freizulassenden Geiseln nicht so ausgehungert wirkten, meint Haran.
Bei den moralischen Standards, die man an Israel und die Hamas lege, messe die Welt mit zweierlei Maß. Von Israel verlange man extreme hohe - "unmögliche" - moralische Standards, wenn es den Terror der Hamas bekämpfe; die Hamas hingegen erfülle gar keine moralischen Standards. Wenn Bilder die Hungersnot in Gaza zeigten, würde Israel kritisiert, während die Hamas ignoriert oder gar legitimiert werde.
Zivilbevölkerung für Hamas "Werkzeug"
"Die Hamas ist eine zynische, grausame Organisation, die alles dafür tun würde, ihre Ziele zu erreichen. Und ihr Ziel ist, Israel auszulöschen." Das sei kein Geheimnis. "Israel ist mit einer Situation konfrontiert, der kein anderes Land ausgesetzt war." Das Land kämpfe mit einer Terrororganisation, "die Zivilisten als Schutzschilde verwendet."
Haran führt dabei Shohams Erfahrungen als Geisel an. Ihr Schwager habe erzählt, "dass er während der Gefangenschaft in einem Krankenwagen des Roten Halbmonds transportiert wurde und in Kinderzimmern und unter Familienhäusern gefangen war." Shoham habe die Hamas-Kämpfer gefragt, ob sie keine Sorgen hätten, dass Kinder verletzt würden. Die Kämpfer hätten geantwortet: "'Nein. Wenn sie sterben, sind sie Shaheeds (Märtyrer).'"
Haran unterscheide zwischen der Hamas und den Palästinensern im Gazastreifen, "denn diese zahlen den Preis dafür jeden Tag." Der Standpunkt der Hamas sei, sagt Haran, "dass Tod nicht etwas ist, das man vermeiden muss. Solange die Hamas die eigene Bevölkerung behandelt, als wäre sie ein legitimes Werkzeug im Krieg, ist es sehr schwierig, die Hamas zu besiegen, ohne Zivilisten zu verletzen." Der israelische Militäreinsatz führe zu unerträglichen Lebensbedingungen, und es gebe Opfer, räumt Haran ein. Doch: "Würde irgendeine Armee der Welt anders agieren? Ich denke nicht." Sie wisse nicht, wie man sonst handeln solle.
"Ich denke nicht, dass Israel perfekt ist", sagt Haran. Man könne an dem Staat eine Menge kritisieren, "aber ich denke nicht, dass das das Ausmaß dessen erreicht, was die Hamas tut. Die Hamas rächt sich nicht für etwas, das Israel getan hat. Die Hamas rächt sich an Israels Existenz. Es geht also nicht darum, wer israelischer Premierminister ist." Ein Land könne nicht über seine eigene Existenz verhandeln.
Nächster Anschlag wäre "nur Frage der Zeit"
Am 7. Oktober 2023 wurde nicht nur der Mann von Harans Schwester Adi, Tal Shoham, sondern unter anderem auch ihre Schwester selbst und deren zwei Kinder entführt. Ebenso wurde Shakeds und Adis Mutter entführt. Im Gegensatz zu Tal kamen die anderen genannten Geiseln nach wenigen Wochen frei. Ihr Vater jedoch wurde bei dem Terroranschlag umgebracht.
"Meiner Mutter haben sie, als sie sie entführt hatten, gesagt: 'Du hast einen deutschen Pass. Geh zurück (nach Deutschland).'" Der nächste Anschlag werde schlimmer ausfallen, hätten die Hamas-Kämpfer ihrer Mutter gesagt. "Wenn die Hamas Gaza regiert, ist es nur eine Frage der Zeit bis zu einem weiteren 7. Oktober", folgert Haran. Israel habe daher zwei Anliegen: "Es will die Geiseln befreien und es will in Sicherheit leben."
Es hätte "seit Tag eins" internationalen Druck auf die Hamas geben sollen, findet Haran. Hätte es unmittelbar nach den Attentaten vom 7. Oktober 2023 eine eindeutige internationale Verurteilung des Terroranschlags gegeben, mit Sanktionen, "dann hätte dieser Krieg nicht das Jahr 2025 erreicht."
Ihr Schwager Tal sei mittlerweile auf dem Weg der Besserung. "Solange aber seine 'Brüder' in Geiselhaft sind, kann er das Trauma (der Entführung) nicht überwinden." Nach israelischer Einschätzung befinden sich derzeit noch 50 Geiseln in der Gewalt der Hamas, von denen noch 20 am Leben sein sollen. Auch für sie setzt sich Shaked Haran ein.
(Das Interview führte Moritz Hell/APA)
Zusammenfassung
- Das von der Hamas veröffentlichte Video des halb verhungerten Evyatar David hat die Angehörigen schwer getroffen und zeigt laut Shaked Haran die extrem schlechten Haftbedingungen der Geiseln.
- Tal Shoham, der im Februar freigelassen wurde, verlor während seiner Gefangenschaft 30 Kilo und berichtete von Hunger sowie physischer und psychischer Folter.
- Haran kritisiert eine weltweite Doppelmoral, da Israel für seine Verteidigung hohe moralische Standards erfüllen müsse, während die Hamas keine erfülle und Zivilisten als Schutzschilde benutze.
- Am 7. Oktober 2023 wurden mehrere Mitglieder der Familie Haran entführt, der Vater getötet und die Freilassung erfolgte teilweise nach wenigen Wochen.
- Nach israelischer Einschätzung befinden sich aktuell noch 50 Geiseln in der Gewalt der Hamas, von denen 20 am Leben sein sollen.