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OP "Achilles" bringt Fahndern gute Einblicke in OK-Struktur

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Abgesehen von zig Festnahmen und mittlerweile zahlreichen Verurteilungen: Die Operation "Achilles", bei der Ermittler im Bereich Organisierte Kriminalität (OK) mafiösen Organisationen durch die Auswertung von Chats in Kryptomessenger-Diensten seit 2021 schwere Schläge versetzt haben, gewährte vor allem tiefe Einblicke in Strukturen und Abläufe innerhalb dieser Gruppen. So haben straff organisierte Banden vom Westbalkan den Drogenhandel in Österreich weitgehend übernommen.

Darauf wies Daniel Lichtenegger, Leiter des Büros zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt (BK), im Gespräch mit der APA hin. Seit mehr als zwei Jahren wühlen sich die heimischen Ermittler in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft durch einen Wust an Chats und Daten, der sie wohl noch zumindest weitere zehn Jahre beschäftigen wird. Die Operation "Achilles" begann mit der ursprünglich vom FBI gelegten Falle für kriminelle Organisationen unter dem Namen "Trojan Shield" und wurde mittlerweile auch auf weitere Kryptomessengerdienste wie Sky ECC ausgedehnt.

Wie es dazu kam: Bereits im Jahr 2020 sowie Frühjahr 2021 wurden die Kryptomessengerdienst EncroChat sowie Sky ECC durch europäische Strafverfolgungsbehörden abgedreht. Aber auch die US-Bundespolizei FBI verbuchte einen großen Erfolg. Die Feds unterwanderten mit ihrem eigens entwickelten Messengerdienstes, ANOM, weltweit agierende kriminelle Organisationen - mit bemerkenswerten Ergebnissen in Australien und auch in Europa.

Das FBI gründete ein Unternehmen und verkaufte rund 12.000 Kryptohandys an Täter in rund 300 kriminellen Organisationen weltweit. Die Aktion startete unter anderem in Australien, über Mundpropaganda wurden die Kryptohandys immer beliebter. Nicht ahnend, dass die Ermittler jede Nachricht mitlesen konnten, unterhielten sich diese ungeschminkt über ihr Business - Entführungen, Drogen- und andere Deals, brutale Disziplinierungsmaßnahmen für unbotmäßige Mitarbeiter bis hin zu Mord. Das FBI leitete die Daten an die Länder weiter, die betroffen waren - darunter Österreich.

Im Juni 2021 schlugen die Ermittler weltweit zu: Rund 800 Verdächtige wurden in 16 Ländern festgenommen. In Österreich wurde rund ein Zehntel dieser Festnahmen vollzogen, nämlich 81. Lichtenegger war während der konzertierten Aktion selbst in San Diego, wo die Fäden zusammenliefen. Neben teils spektakulären Festnahmen - zum Beispiel von "Dexter", einem in Wien lebenden Statthalter des montenegrinischen Kavac-Clans, der auch für zahlreiche Morde verantwortlich sein soll - brachte die Übermittlung der Daten aber noch weit darüber Hinausgehendes: "Da haben wir die Verbindungen zu sehen bekommen", resümierte der Brigadier.

Und dadurch wird auch klar, mit welchen Mitteln kriminelle Gruppierungen aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens die heimische Drogenszene großteils übernommen haben. Diese Organisationen sind streng hierarchisch strukturiert, mit einem Boss und mehreren Statthaltern, so Lichtenegger.

Auch darunter ist die Organisation mit genau zugewiesenen Aufgaben strukturiert: Es gibt Mitarbeiter, die nur dafür zuständig sind, Wohnungen für Drogenbunker anzumieten. Andere arbeiten als sogenannte Cleaner - die mit Quentin Tarantinos Winston Wolf in "Pulp Fiction" aber nur die Berufsbezeichnung gemeinsam haben: Wird ein Mitglied der Organisation festgenommen, das in einer Wohnung war und die Gruppe daher davon ausgehen kann, dass früher oder später die Polizei in dem Appartement auftaucht, räumen diese den Bunker aus und auf. Weitere Mitglieder der kriminellen Gruppe kümmern sich ausnahmslos um den Geldtransfer und -transport. Die unterste Hierarchieebene sind die Straßendealer, die sogenannten Läufer. Die Festnahme von ihnen allein bringt den Fahndern in der Regel kaum etwas: "Die wissen gar nichts oder hüten sich aufgrund möglicher Folgen etwas zu sagen", sagte Lichtenegger.

Klar wurde durch die Operation "Achilles" auch, wie die Clans aus den Staaten des Westbalkan zu den Drogen kommen: durch teils direkte Kontakte in die Produzentenländer. Im Fall von Kokain kaufen die Gruppen aus Ex-Jugoslawien die Drogen direkt bei den kolumbianischen Kartellen. Das Kokain kommt großteils in Containern per Schiff und wird vor allem über die niederländischen und belgischen Häfen wie Rotterdam und Antwerpen nach Europa geschmuggelt. Dabei müssen die Gruppen auch Insider in den Häfen haben. Denn das Suchtgift muss aus den Containern abtransportiert werden, und dafür benötigt es Know-How.

Von den Häfen bis nach Österreich oder in andere Staaten nutzen die Schmuggler vor allem zwei Wege. Mit professionell umgebauten Kleintransportern werden Lieferungen abgewickelt, die sich in der Größenordnung von mehreren Kilogramm bewegen. In Schwerfahrzeugen werden oft mehrere hundert Kilo Kokain transportiert. Die Täter sind dabei erfinderisch: Als Köder für die Behörden wird ein - kleinerer - Transport vorgeschickt. Wird der erwischt, "fressen ihn die Krokodile (und sind damit beschäftigt, Anm.)", umriss Lichtenegger den Jargon der Kriminellen. Der große - richtige - Transport kommt hinterher und bleibt nach Rechnung der Organisation unbehelligt.

In Österreich jedenfalls verdrängten die Gruppen vom Westbalkan weitgehend die bis vor einigen Jahren vorherrschenden Dealer aus westafrikanischen Ländern, vor allem aus Nigeria. Sie boten einfach besseres - also viel weniger gestrecktes - Suchtgift an. Da ihre Konkurrenten de facto als selbstständige Unternehmer arbeiteten und nur wenig organisiert waren, hatten die Südeuropäer kaum Konflikte auszutragen.

Die Gruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien sind übrigens nicht nur in Drogengeschäfte verwickelt, sondern beschäftigen sich mit allen Sparten die Geld bringen. Genannt sei hier vor allem der Waffenhandel.

Die AG Achilles hat sich zunächst auf die Chats von Tätergruppierungen konzentriert, die aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens stammen. "Die haben einfach viel Österreich-Bezug und sind daher ein lohnendes Ziel", erläuterte der BK-Fahnder. Und es gehe vor allem auch darum, Österreich als Operationsgebiet für die Organisierte Kriminalität unattraktiv zu machen. Lichtenegger machte aber klar, dass in weiterer Folge auch mafiöse Gruppierungen aus anderen Regionen in den Kryptochats durchleuchtet werden. "Aktiv sind praktisch alle", sagte Lichtenegger. Gerade die Bundeshauptstadt wird oft als Ort der Unterredung bei den kriminellen Organisationen genützt, quasi ein mafiöser Wiener Kongress.

Material haben die Ermittler der AG Achilles jedenfalls genug. Alle vorhandenen Kryptochats zu durchleuchten, wird mit den momentan vorhandenen Ressourcen allein rund weitere zehn Jahre dauern. Da sind alle möglichen weiteren Ermittlungsstränge, die sich daraus ergeben könnten, noch nicht mitgerechnet.

Das Problem mit den Aktivitäten krimineller Organisationen ist immer, dass sie staatliche Strukturen unterminieren, weil sie Parallelwelten schaffen, mit eigenem, von der Öffentlichkeit völlig abgeschottetem Wirtschaftssystem. Umsätze werden dann durch Geldwäsche mit dem normalen Geschäftsleben kompatibel gemacht. Dass die Mitglieder der kriminellen Gruppierungen gegenüber Behörden schweigen, soll das von der italienischen Mafia bekannte Gesetz des Schweigens, die Omertà garantieren. Wird ein Mafioso erwischt, betreut ihn die Organisation im Gefängnis im Gegenzug für seine Nicht-Kooperation mit Polizei und Justiz umfassend, und er hat die Garantie, dass seine Familie wirtschaftlich versorgt ist.

Das geht bis hin zu einer Art eigenen "Gerichtsbarkeit", freilich mit ganz anderen Regeln. Auch hier bot sich den Ermittlern ein umfassender Einblick durch die Kryptochats. Beweise spielen eine eher untergeordnete Rolle. Wer mit anderen Vertretern der Gruppe in Konflikt gerät, wird oft brutalst gefoltert - inklusive dem Abschneiden von Körperteilen. Auch Angehörige sind in Gefahr. Und wessen Schuld in den Augen der Vorgesetzten erwiesen ist, hat nichts anderes als die Todesstrafe zu erwarten. Die Morde gehen oft einher mit überaus grausamen und grotesken Zurschaustellungen, die auch als Botschaft an andere Mitglieder der Organisation gedacht sind.

Ein Beispiel für eine solche Botschaft war der Mord vor dem Wiener Innenstadt-Restaurant Figlmüller im Dezember 2018, der ein weiteres Kapitel in der Auseinandersetzung zweier montenegrinischer Clans darstellte. "Das Statement lautete: Wir bekommen Euch überall", erläuterte Lichtenegger. Vor dem Lokal war ein 32-Jähriger erschossen worden. In den Chats wurden aber auch noch weit grausamere Details bekannt. So sollen Kriminelle in Serbien Mordopfer durch einen Fleischwolf gedreht haben.

Für Behördenvertreter, die gegen kriminelle Organisationen ermitteln, geht es auch um Selbstschutz. Bestechung, die in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens angesichts niedriger Gehälter durchaus auf fruchtbaren Boden fallen kann, oder Kompromittierungsversuche zählen da noch zu den harmloseren Methoden.

Detail am Rande: Mittlerweile hat die AG Achilles ihre Ermittlungen deutlich ausgeweitet, weil auch zahlreiche Daten aus den Sky ECC-Chats dazugekommen sind. Die Zahl der potenziellen Verdächtigen liegt bei rund 10.000. Insgesamt steht man nun allein bei Sky ECC bei rund 160.000 Usern weltweit und einer Milliarde Chatnachrichten. Etwa 20 Prozent davon, also 200 Millionen, werden kriminellen Organisationen am Westbalkan zugerechnet.

ribbon Zusammenfassung
  • In den Chats wurden aber auch noch weit grausamere Details bekannt.