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"Die Letzten Tage der Menschheit": "Der Mensch lernt nichts"

21. Juli 2025 · Lesedauer 7 min

Wenn Dörte Lyssewski am Freitag im Rahmen der Salzburger Festspiele auf der Perner-Insel in Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" auf der Bühne steht, ist es bereits ihre zweite Auseinandersetzung mit dem Stück. Im APA-Interview erzählt sie von ihrer Zusammenarbeit mit Regisseur Dušan David Pařízek, der nun wieder an der Burg inszeniert, zeigt sich erschrocken über die Aktualität des Stoffs und spricht über die Kraft des Theaters in Zeiten des Rechtsrucks.

APA: Im Jahr 2014 waren Sie bei den Salzburger Festspielen in "Die letzten Tage der Menschheit" in der Regie von Georg Schmiedleitner zu sehen. Was hat Sie daran gereizt, sich dem Stoff erneut zu widmen?

Dörte Lyssewski: Ich wurde besetzt, und ich freue mich darüber, weil ich seit sechs Jahren darauf warte, dass Dušan David Pařízek hier am Burgtheater wieder arbeiten kann. Unter der neuen Direktion tut er das jetzt.

APA: Die Welt hat sich in den vergangenen elf Jahren doch ziemlich stark verändert. Was macht das mit diesem Stück?

Lyssewski: Es ist leider Gottes nicht nur noch aktueller geworden, sondern man hat das Gefühl, es ist ein O-Ton von heute. Vor 14 Jahren hätte, glaube ich, niemand einen Politiker wie Trump für möglich gehalten oder wie weit Russland sich entwickeln oder zurückentwickeln würde. Egal wohin man in der Welt guckt, erleben wir Radikalisierung. Der Krieg steht vor der Tür. Wenn ich morgens das Radio anmache, was meine Gepflogenheit ist, dann gibt es nur noch Kriegsnachrichten. Man hat nicht das Gefühl, dass sich seit der Kraus'schen Benennung von Missständen, von Sprachmissbrauch seitens der Politik, von Wirtschaftsinteressen in Bezug auf Krieg oder Konsum irgendetwas geändert hätte. Ganz im Gegenteil: Der Mensch lernt nichts.

APA: Dieses "Marstheater" ist in seiner Gänze ja nicht aufführbar. Wo wird der Fokus in dieser Inszenierung liegen?

Lyssewski: Alles, was zu viel Ornament, was Kolorit ist und nicht der Schärfe dient, wird gestrichen. Es ist ein Annäherungswert und einzelne Figuren werden auf Konzentrate von Typen reduziert. Jeder springt in unterschiedliche Rollen hinein und wieder heraus, um möglichst viel abzudecken, weil hier ja alles Menschenmögliche von Kraus beschrieben wurde. Und wir versuchen sozusagen das Menschenmögliche zu zeigen, dass keiner davor gefeit ist, dieser Verstrickung zu unterliegen. Die Figuren überlagern sich und der Wortlaut, das Echo des einen schwappt plötzlich auf die andere Figur oder legt sich wie eine Folie darüber. Dieser Spielraum der Behauptung - weil Theater ist Behauptung - ist hoch interessant. Und das Publikum muss auch ein bisschen schneller sein. Also zurücklehnen und noch an den Sekt denken, gibt es nicht. Die Handlung bezieht sich nicht auf die historische Vergangenheit, sondern das ist jetzt und jetzt und jetzt und jetzt!

"Viele Sätze kommen einem einfach sehr, sehr, sehr bekannt vor"

APA: Wie sieht es mit der zeitlichen Verortung und sichtbaren Gegenwartsbezügen aus?

Lyssewski: Die Inszenierung stürzt sich nicht in ein vermeintliches Zeitkolorit. Sie zitiert Vergangenes etwa anhand von Bildern, aber ansonsten geht es darum, dass man dem Gegenwartscharakter dieses Textes beiwohnt, zuhört und ihn auch miterlebt. Weil viele Sätze kommen einem einfach sehr, sehr, sehr bekannt vor.

APA: Der Gegenwartscharakter ist dem Text ja inhärent. Kommen dennoch aktuelle Texte dazu?

Lyssewski: Es ist nicht nur alles Kraus. Ich glaube, es gibt einmal einen Tucholsky-Text. Und einmal gibt es den Wortlaut "du bist überanstrengt". Da habe ich sozusagen die Aktualität durch Herrn Putin reingepackt, der Herrn Trump ausrichten lässt, er sei emotional überanstrengt, wenn er versuche, ihm zu drohen. Es sind also nur Kleinigkeiten, wir brauchen keine Tagesaktualitäten, um modern zu sein.

Zusammenarbeit mit Pařízek als "intellektueller Vorgang"

APA: Sie sagen, Sie haben lange darauf gewartet, wieder mit Dušan David Pařízek zusammenzuarbeiten. Was schätzen Sie in der Zusammenarbeit als Regisseur besonders an ihm?

Lyssewski: Ich schätze seine Klugheit und dass er mit einfachsten Theatermitteln großen Reichtum bewirkt. Von ihm wird man als mündiger Schauspieler behandelt, als erwachsenes Wesen. Die Zusammenarbeit ist immer äußerst lustvoll, es ist ein intellektueller Vorgang. Dušan David Pařízek macht Theater für Erwachsene und kein Service-Theater, das angenehme Häppchen vor die Leute wirft. Sondern er erwartet, dass man nicht blöder ist als die Gegenwart, egal welcher Stoff es ist, und das schätze ich sehr.

APA: Dušan David Pařízek hat sich zuletzt ja sehr am Slowakischen Nationaltheater engagiert. Wo steht das Theater in dieser Gesellschaft, die nach rechts driftet?

Lyssewski: Das steht da, wo es immer gestanden hat. Es ist nur die Frage, wie man sich verhält, wenn der Fall X eintritt. Also siehe etwa die Steiermark. Was die Bundesregierung angeht, sind wir noch mal dran vorbeigeschlittert. Als ich über die Grenze nach Bratislava gefahren bin und in der Premiere von "Der Hund auf der Straße" saß, habe ich gemerkt, wie hochbrisant Theater ist. Es gab stehende Ovationen für die anwesende Ex-Präsidentin Zuzana Čaputová, weil natürlich hauptsächlich ihr gewogene Menschen ins Theater gingen und die anderen das Theater und die Kultur ja abschaffen wollen. Es ging auch um homosexuelle Schauspieler auf der Bühne. Auch die Homophobie ist dort - wie in Ungarn, wie in Russland - massiv. Was wir alles für selbstverständlich halten, ist in anderen Ländern eine gesellschaftliche Riesenanstrengung, die es zu verteidigen gilt. Man muss eben nur über die Grenze schauen.

Theater müssen Komfortzone verlassen

APA: Ist das Theater grundsätzlich politischer, wenn es ihm an den Kragen geht?

Lyssewski: Die Inszenierung hat jedenfalls gezeigt, wie aktuell Theater sein kann. Bei der Premiere wurde ein Auszug aus Handkes "Publikumsbeschimpfung" eingebaut, wo bei uns schon kein Hahn mehr danach kräht. Dort hatte jedes Wort Gewicht und konnte vom Publikum dechiffriert werden. Ich wünsche mir nicht, dass wir erst in eine Krise kommen, um das zu erleben, was ich in Bratislava erlebt habe. Das geht auch ohne Krise, indem man einfach die Komfortzone ein bisschen verlässt und sich Stoffen widmet, die Fragen aufwerfen. Solange wir das noch dürfen. Vielleicht auch, wenn wir es nicht mehr dürfen. Dann erst recht.

(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - Salzburger Festspiele: Premiere "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus, Koproduktion mit dem Burgtheater. Premiere am 25. Juli, 19 Uhr auf der Perner Insel in Hallein. Regie und Bühne: Dušan David Pařízek, Kostüme: Kamila Polívková und Magdaléna Vrábová, Musik und Videodesign: Peter Fasching. Mit Dörte Lyssewski, Michael Maertens, Elisa Plüss, Felix Rech, Branko Samarovski und Marie-Luise Stockinger. Weitere Termine: 27., 29. und 30. Juli sowie am 1., 3., 5. und 6. August, jeweils 19 Uhr. www.salzburgerfestspiele.at)

ZUR PERSON: Dörte Lyssewski studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, danach Engagements u.a. an der Schaubühne Berlin, am Schauspielhaus Zürich, am Deutschen Theater und an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Seit 2009 ist sie Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. Lyssewski erhielt 1997 die Josef-Kainz-Medaille, 2004 den Gertrud-Eysoldt-Ring sowie 2012 und 2018 einen Nestroy-Preis, 2025 wurde sie im Rahmen der Ö1-Hörspielgala zur "Schauspielerin des Jahres 2024" gewählt. 2015 publizierte sie ihren ersten Erzählband "Der Vulkan oder Die Heilige Irene" (Matthes & Seitz Berlin).

Zusammenfassung
  • Dörte Lyssewski steht ab dem 25. Juli bei den Salzburger Festspielen in Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" auf der Bühne, inszeniert von Dušan David Pařízek.
  • Lyssewski sieht die Aktualität des Stücks durch politische Radikalisierung und Kriegsnachrichten heute als erschreckend hoch und betont: "Der Mensch lernt nichts."
  • Die Inszenierung verzichtet auf historisches Kolorit und reduziert die Figuren auf Typen, um den Gegenwartsbezug und die Vielschichtigkeit des Menschen zu zeigen.
  • Aktuelle Bezüge werden durch kleine Textänderungen und einzelne Zitate, etwa von Tucholsky oder mit Anspielungen auf Putin und Trump, subtil eingebracht.
  • Die Produktion ist eine Koproduktion von Salzburger Festspielen und Burgtheater, mit Aufführungen am 25., 27., 29., 30. Juli sowie 1., 3., 5. und 6. August und einem Ensemble um Lyssewski, die 2025 zur "Schauspielerin des Jahres 2024" gewählt wurde.