Anschlagspläne
IS-Terrorpläne mit 14: "Paradebeispiel für Radikalisierung"
"Wir haben es ungeachtet des kindlichen Angeklagten mit einer sehr, sehr hohen Gewaltbereitschaft zu tun", beginnt der Staatsanwalt am Montag seine Stellungnahme vor Gericht. Dieser habe ein "Blutbad" anrichten wollen.
Vor ihm sitzt ein schmächtiger 15-Jähriger in grauen Jeans und einem blauen Hemd, die langen Haare fallen ihm bis über die Schultern. Seine Stimme ist noch nicht im Stimmbruch, in seinen Aussagen bricht sie immer wieder weg.
Und doch schildert er eindringlich seinen Weg vom unauffälligen Schüler zum mutmaßlichen Terroristen, der am Wiener Westbahnhof "Ungläubige" mit Hieb- und Stichwaffen töten wollte.
"Online-Radikalisierung, wie sie im Buche steht"
Der damals 14-Jährige stammt aus keiner streng religiösen Familie. Im Sommer 2024 radikalisierte er sich jedoch über TikTok. Der Staatsanwalt spricht von einem "Paradebeispiel für eine islamistische Online-Radikalisierung".
Bereits im Oktober 2023 - unmittelbar nach dem Angriff der Hamas auf Israel - begann er sich intensiver mit dem Islam beschäftigen. Er konsumierte religiöse Inhalte und islamistische Propagandavideos.
Der Richter will vom Angeklagten wissen, warum er begann er sich immer mehr mit dem Islam auseinanderzusetzen. "Ich hatte Angst vor der Hölle", sagt er, bevor ihm die Stimme stockt. Das intensive Beten habe er als Ausweg verstanden – so habe er es in Videos gehört. Vorausgegangen seien den Anschlagsplänen auch Mobbing-Erfahrungen an der Schule.
Warum er sich nicht an seine Eltern oder einen Imam gewandt habe? Der Richter erklärt: "Ich könnte mich auch hinsetzen, ein Video machen und behaupten, ich bin konvertiert."
Der Jugendliche gibt darauf keine klare Antwort.
Deutscher Salafist und "arabische Gelehrte"
Stattdessen wandte er sich an Online-Prediger, auch an den auch an den deutschen Salafisten Pierre Vogel, dessen Videos er konsumierte. In einem Live-Video habe Vogel ihm sogar direkt geantwortet, berichtet der Jugendliche.
Vogel habe – zumindest sinngemäß – dazu aufgerufen, sich "für den Dschihad" einzusetzen und gegen "Ungläubige" zu kämpfen.
Immer häufiger sah der Jugendliche Bilder von leidenden Frauen und Kindern in Afghanistan und Syrien. Videos "arabischer Gelehrter" mit deutschen Untertiteln hätten ihn zusätzlich beeinflusst. Diese hätten gepredigt, man müsse den Propheten verteidigen - mit Händen, dann erst mit dem Mund und dem Herzen.
Er selbst habe es zuerst mit Worten versucht. Wenn das nicht funktioniert hat, kam Gewalt ins Spiel: "Wenn man meine Religion niedermacht, dann lasse ich mir das nicht gefallen."
"Dann tötet sie mit Steinen"
Später begann er, Propagandamaterial des Islamischen Staates (IS) zu konsumieren und zu verbreiten. Über Chatgruppen kam er mit IS-Anhängern in Kontakt. Während er sich in der Schule ausgegrenzt fühlte, habe er sich in diesen Gruppen verstanden gefühlt.
Die IS-Anhänger rieten ihm zur Ausreise in den "Islamischen Staat". Als er erklärte, dass das nicht so einfach umzusetzen sei, forderten sie ihn auf, eine "Operation" in Wien durchzuführen, um in das Paradies zu kommen.
Auf Nachfrage des Richters präzisiert der Jugendliche: "Einen Anschlag." Der IS lasse "keine Ausreden" zu, erklärt der Angeklagte.
In den Videos heiße es: "Wenn ihr ein Messer habt, dann schlagt mit dem Messer zu. Wenn ihr ein Auto habt, dann fahrt mit dem Auto in eine Menge. Und wenn ihr das auch nicht habt, dann tötet sie mit Steinen."
Skizze von Westbahnhof angefertigt
Der Jugendliche legte einen Treueschwur auf den IS ab. Ein Kontaktmann aus Russland schickte ihm Bauanleitungen für Bomben und überzeugte ihn, einen Anschlag durchzuführen, wo viele Menschen sind – etwa in einem Krankenhaus, Bahnhof, Konzert oder Nachtclub.
Konkret plante der Jugendliche einen Anschlag am Wiener Westbahnhof. Er besorgte sich Messer, eine Machete und Handschellen. Bei einer Hausdurchsuchung fanden Ermittler:innen eine Skizze des Bahnhofs mit einem Männchen, das auf andere Figuren einsticht – auch ein Fluchtplan war eingezeichnet.
Pläne für Bombenbau und Niederstechen eines Polizisten
Parallel versuchte er, über eine deutsche Website eine Schusswaffe zu kaufen. Eine Glock hatte er bereits im Warenkorb. "Plötzlich war die Bestellung draußen", sagt er. Danach habe er die Bestellung aber wieder zu stornieren.
Auch mit dem Bau einer Bombe habe er sich beschäftigt. Rohre und Tischbeine – geeignet als Hülle für einen Acetonperoxid-Sprengsatz – hatte er bereits beschafft. Diese seien "nicht für den Westbahnhof gedacht" gewesen, sondern nur zu Testzwecken, erklärt er.
Die Ermittler fanden zudem eine zweite Skizze: Ein Plan, in einer nahegelegenen Polizeistation einem Streifenpolizisten die Dienstwaffe zu entreißen und diesen niederzustechen. Auf dem Zettel stand: "Wenn ich die Pistole habe, werde ich auf die Nachbarschaft schießen."
"Froh, dass ich das nicht gemacht habe"
"Es interessiert mich persönlich, Sie müssen nicht antworten", wendet sich der Richter an den Angeklagten: "Waren Sie bereit, auch selbst zu sterben?" Der Angeklagte entgegnet: "Nein, ich hatte keinen Mut dazu. Ich bin froh, dass ich das nicht gemacht habe."
Am 10. Februar 2024, noch bevor er seine Pläne umsetzen konnte, wurde der Jugendliche festgenommen. Verteidigerin Anna Mair begrüßt das ausdrücklich. Ihr Mandant habe sich aus seinem "Hass auf alles" und der "Spirale", in der er sich befunden hätte, gelöst.
In der Untersuchungshaft arbeitet der Jugendliche offenbar an seiner Deradikalisierung. Er steht in regelmäßigem Kontakt mit einem Bewährungshelfer und dem Verein "bOJA". Vertreter:innen des Vereins berichten, der Jugendliche sei "kooperativ, wissbegierig" und weise keine verfestigte Ideologie mehr auf.
Weiterer Zwischenfall in Haft
Doch kam es auch in der Haft erneut zu einem Vorfall. Ende Mai geriet er im Haftunterricht mit einem Mithäftling aneinander, der ihn wiederholt zu seinen Anschlagsplänen befragt und als "Terrorist" bezeichnet habe. Der Jugendliche verlor die Beherrschung, packte ihn am Hals, drückte ihn zu Boden und schlug ihm mit der Hand ins Gesicht.
In einer ersten Vernehmung sagte der Mithäftling aus, dass ein Streit über Religion vorangegangen sei. Zudem berichtete er, dass der Angeklagte eine Drohung gegen den Klassenlehrer ausgesprochen habe, da dieser "Spaß über Gott" gemacht habe.
Konkret soll er geäußert haben, dass er den Lehrer "abschlachten" wolle. Nun spricht der jugendliche Mithäftling nur noch von der Drohung, ihn "zu schlagen".
"Ich habe mich verhört", betont er. Warum Justizbeamte die angebliche Aussage im Aufzug nicht gehört oder gemeldet haben, kann er nicht erklären.
Der Angeklagte vermutet eine Racheaktion des Mithäftlings. Nach kurzem Zögern erklärt er, dass es mit dem Lehrer "keinen wirklichen Streit" gegeben habe. Aber: "Wenn jemand den Propheten beleidigt, macht mich das wütend."
Das Urteil
Nach rund 30 Minuten Beratung spricht das Gericht den Jugendlichen in fast allen Punkten schuldig – unter anderem wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung einer terroristischen Straftat. Nur im Punkt der gefährlichen Drohung gegen den Lehrer erfolgt ein Freispruch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Jugendliche erhält zwei Jahre teilbedingte Haft. Acht Monate davon sind unbedingt. Da er bereits fünf Monate in U-Haft verbracht hat, wird er in rund drei Monaten entlassen.
Der Richter ordnet Bewährungshilfe an. Zudem soll der Jugendliche weiterhin Kontakt zum Verein "bOJA" halten und sich eine Beschäftigung suchen. "Wenn man arbeitet, hat man weniger Blödsinn im Kopf", sagt der Richter.
Der Jugendliche nimmt das Urteil an. Er erklärt, dass er sich auch nach der Haft weitere Unterstützung wünsche. Er will Elektrotechnik lernen, mehr Zeit mit seinen Eltern verbringen – und TikTok nicht mehr benutzen.
Video: Anschlag am Westbahnhof geplant: "Gefahren lauern immer"
Zusammenfassung
- Nachdem er sich über TikTok radikalisiert hatte, plante ein Jugendlicher ein Blutbad am Wiener Westbahnhof.
- Er sammelte Waffen, baute an einer Bombe und legte einen Treueschwur auf den IS ab.
- Vor Gericht zeigt der inzwischen 15-Jährige Reue.