Der Menschenfänger aus Wien-Favoriten.APA / AFP / PULS 24

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Raub, Terror, Bandenstreit: Ein Menschenfänger aus Wien

Heute, 07:00 · Lesedauer 10 min

Ob bei dem geplanten Attentat auf das Taylor-Swift-Konzert, den Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Tschetschenen oder der Meidlinger Schutzgeldbande – ein Name taucht in allen Ermittlungen auf: Abubakar D. PULS 24 und der "Standard" decken die Geschichte des Menschenfängers aus Wien-Favoriten auf.

Er grinst, als ihn zwei Polizisten am Wiener Landesgericht in Handschellen in den Verhandlungssaal bringen. Freundlich grüßt er Bekannte im Publikum - darunter auch einen Beamten des Verfassungsschutzes. 

Seiner Sache ist er sich sehr sicher. Zumindest tut er so. Er glaubt, dass er am Ende schlauer ist als alle anderen, dass er am Ende die Fäden in der Hand hat. 

Mit Abubakar D. nimmt ein junger Mann auf der Anklagebank Platz, der den österreichischen Strafverfolgungsbehörden schon lange ein Begriff ist, der in Medien aber auch gerne als harmloser Vertreter der tschetschenischen Community auftrat.

Die Verstrickungen

D., Brille, Kinnbart, Anzughose, Lacoste-Pulli, spielt eine Rolle bei den mutmaßlichen Terror-Plänen gegen das Taylor-Swift-Konzert, bei den blutigen Auseinandersetzungen zwischen syrischen und tschetschenischen Jugendlichen und bei der Meidlinger-Schutzgeldbande

Seine Geschichte zeigt, wie eng verwoben die Ermittlungen rund um die großen Kriminalfälle sein können.

Es zeigt sich, wie eng die islamistische Szene mit der klassischen Kriminalität Hand in Hand geht und wie sich Jugendliche von einem vermeintlichen "Vorbild" beeinflussen lassen.

Seine Geschichte zeigt aber auch, wie schwer es ist, aus einer kriminellen Laufbahn wieder auszubrechen.

Der Banküberfall

Am 10. Juni dieses Jahres geht es am Wiener Landesgericht um einen Bankraub

Auf der Anklagebank wird Abubakar D. wenige Tage vor seinem 25. Geburtstag erklären, dass alles gar nicht so sei, wie die Staatsanwältin das in der Anklageschrift festgehalten hat. Er wird ihr erklären, dass sie die Akten nicht richtig gelesen habe.

Er wird der Polizei vorwerfen, Zeugen bei Einvernahmen "unter Druck gesetzt" zu haben. Sogar sein eigener Anwalt wird ihn ermahnen, er würde sich noch eine zusätzliche Anzeige wegen Verleumdung einhandeln. 

"Sie dürfen jetzt gar nichts sagen", wird ihn der Richter anfahren, weil D. darauf besteht, anderen Angeklagten – seiner Ex-Freundin und seiner Oma – sowie zwei Zeugen Fragen stellen zu dürfen. 

Die zwei Zeugen, zwei Burschen aus Oberösterreich, beide zum Islam konvertiert, werden ebenfalls von der Polizei vorgeführt. Sie sitzen eine Haftstrafe wegen eines Bankraubs in Linz am 30. September 2024 ab. 

"Das ist ein Überfall! Wo ist das Geld?" sollen sie, mit einer Gasdruckpistole bewaffnet, in der Bank gerufen haben.

Geplant haben soll den Überfall ihr Freund Abubakar D. Zumindest wirft ihm das die Staatsanwaltschaft vor.  

Die Geldwäsche

Außerdem geht es um Geldwäsche. Denn D. soll sich mit der Beute ein Grundstück in Ungarn und, obwohl er keinen Führerschein besitzt, einen Mercedes gekauft haben. 

Auch soll er seiner Großmutter und seiner Ex-Freundin einen Teil der gestohlenen rund 78.000 Euro abgegeben haben.

Liest man die Akten, scheint die Beweislast erdrückend zu sein. Doch vor Gericht schildern die beiden Bankräuber dann, dass ihr Freund D. nicht gewusst hätte, was sich in der Tasche befand, die sie ihm in Linz einfach in die Hand gedrückt hätten.

Sie hätten ihm gesagt, er solle die Tasche nicht aufmachen. "Wir haben ihn verarscht", springen sie für D. in die Bresche.

Bei den Bankräubern, die mit gestohlenen Fahrrädern flüchteten und später in einem Wald festgenommen wurden, wurden damals nur noch 320 Euro gefunden. Einen weiteren Teil der Beute wollen sie vergraben haben. 

D. lauscht den teils widersprüchlichen Schilderungen seiner Freunde vor Gericht wohlwollend, lächelt den verurteilten Zeugen zu und nickt bestätigend. Er bekennt sich "nicht schuldig". 

Die Tasche habe er erst später aufgemacht und sich gedacht: "Was soll der Scheiß?" Er wollte das Geld dann eigentlich der Familie seines Freundes zukommen lassen, beteuert er.

Auch ein weiterer Zeuge, der Abubakar D. in einer ersten Einvernahme noch belastet hat, sagt vor Gericht plötzlich nicht mehr gegen ihn aus. 

Wurden sie eingeschüchtert? Hat sie der Angeklagte dermaßen in seinen Bann gezogen? 

Der Islamismus

Überraschend sind die Auftritte vor Gericht nicht. Es wäre nicht der erste Fall, in dem D. im Hintergrund seine Fäden zog, sich als Anführer anderer Krimineller und verlorener Seelen auftat und hörige Jugendliche um sich scharte.

Schon ein halbes Jahr vor dem Bankraub in Linz traf PULS 24 den Wiener mit einem der Oberösterreicher, als sie in Favoriten durch die Straßen zogen. Als einen Freund, welchem er "bei Behördengängen helfen" wolle, stellte D. seinen Kumpanen damals vor. Er wolle ihm helfen, einen geraden Weg zu finden. Was sein Freund gegenüber Journalist:innen sagen darf und was nicht, schien dabei er zu entscheiden. 

Auch die Staatsanwältin will vor Gericht mehr über die Freundschaft herausfinden: Sie will von dem Oberösterreicher wissen, ob er zum Islam konvertiert sei, bevor er D. kennengelernt hat.

Die Antwort fällt patzig und in breitem oberösterreichischem Dialekt aus: "Loss ma die Religion do raus." Er sei schon davor konvertiert, sagt der verurteilte Zeuge, der sich im Gefängnis einen typischen Islamistenbart wachsen ließ und die Hose szenetypisch nach oben gekrempelt hat, dann doch.

Die falschen Freunde

Abubakar D. selbst fasste eine seiner zwei Vorstrafen 2019 wegen krimineller Organisation und terroristischer Vereinigung aus. Er verbreitete damals in einer Chatgruppe Propagandamaterial des "Islamischen Staats". Laut Staatsanwaltschaft rekrutierte er für die Terrororganisation. 

Seine Haftstrafe saß er just in einer Zelle mit dem späteren Attentäter Kujtim F. ab, der 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen tötete und von der Polizei erschossen wurde.

"Wir waren Freunde", sagte D. über jenen Mann, als er nach dem Anschlag als Zeuge befragt wurde. 

Die tschetschenische Ehre

Ein zweites Mal landete er im August 2020 im Gefängnis – er soll damals in Favoriten mit einer Luftdruckpistole auf jemanden geschossen haben. Warum genau, das lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.

Mittlerweile dürfte D. dem radikalen Islam zwar abgeschworen haben, wie aus seinem Umfeld und von Betreuern zu hören ist. Selbst die Oberösterreicher dürften die Religion mittlerweile strenger auslegen als er. 

Angehörige sagen über ihn, dass man ihn zum Beten überreden müsse. Ein Zeuge erzählt beim Prozess von Prostituierten und Drogen, welchen auch D. nicht abgeneigt gewesen sein soll. 

Die Terror-Ermittlungen

Verbindungen zur islamistischen Szene dürfte D. dennoch weiterhin haben. Ein großes Netzwerk zu haben, scheint ihm wichtig zu sein.

So taucht er auch in der ersten Anklageschrift rund um den mutmaßlichen Anschlagsplan gegen das Taylor-Swift-Konzert in Wien auf. 

Als eine der Kontaktpersonen des ersten Angeklagten wird im Akt auch Abubakar D. neben anderen Größen der islamistischen Szene genannt.

 Polizeikontrollen beim Ernst-Happel-Stadion.APA/TOBIAS STEINMAURER

 Polizeikontrollen beim Ernst-Happel-Stadion.

Wie PULS 24 und der "Standard" recherchierten, dürfte es D. gewesen sein, der dafür sorgte, dass der erste Angeklagte rund um die mutmaßlichen Terror-Pläne beim Aufbau des Taylor-Swift-Konzerts beteiligt war.

Im Prozess um den Bankraub wird auch die Frage erläutert, wie D., der eigentlich keiner Arbeit nachgeht, denn an so viel Geld gekommen wäre, wenn nicht durch den Bankraub. D. gibt an, "schwarz" im "Eventmanagement" zu arbeiten. Seine Aufgabe sei es gewesen, Leute für bestimmte Aufträge zu rekrutieren. 

Auch einer der verurteilten Bankräuber arbeitete über ihn bei verschiedenen Konzertaufbauten in Österreich – etwa bei Rammstein in Klagenfurt. Und er vermittelte eben auch Personal für das schließlich abgesagte Taylor-Swift-Konzert

Eine Verbindung zu den mutmaßlichen Terror-Plänen konnte D. nie nachgewiesen werden.

Der blutige Bandenstreit

Ein Ermittlungsverfahren teilt er sich dennoch mit seinem Bekannten aus dem Terrorakt: Gegen beide wird rund um die blutigen Bandenstreitigkeiten auf den Straßen Wiens im Sommer 2024 ermittelt. Eine Anklage liegt in diesem Fall noch nicht vor. 

Abubakar D. betrieb eine Telegram-Gruppe, die den Konflikt befeuert haben soll. Er soll damals zur Selbstjustiz aufgerufen haben, weil die Polizei zu wenig gegen Angriffe von Syrern auf Tschetschenen unternommen hätte. So stellte er das Geschehen damals zumindest dar: "Wenn sich nichts ändert, wird Wien weiter Hand anlegen", sagte er damals gegenüber dem "Standard".

"505" gegen Tschetschenen PULS 24

"505" gegen Tschetschenen lautete das Motto des Konflikts auf Wiens Straßen. 

Die Polizei kontrollierte ihn im Juli 2024 in der Nähe einer blutigen Messerstecherei am Bahnhof in Meidling – hielt ihn zunächst aber für einen Unbeteiligten. 

Mittlerweile gehen die Ermittler davon aus, dass D. der Drahtzieher war. Auf Instagram soll er am Vortag zu einer Konferenz geladen haben, in der es darum gehen sollte, wie man die syrischen Rivalen "ausschalten" könne.

Zu diesem Zeitpunkt war im wohl die tschetschenische Ehre ein besonderes Anliegen. Es dürfte ihm aber immer auch um etwas anderes gegangen sein: Selbstdarstellung, Anerkennung und Aufmerksamkeit, so sagen es auch Betreuer im Gespräch mit PULS 24. 

Die Fluchterfahrung

Abubakar D. kam im kriegsgebeutelten Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens, auf die Welt. 2004 flüchtete er mit Mutter, Großmutter und einem Onkel über Polen und Tschechien nach Wien. Sein Vater soll im Krieg gefallen sein. 

Seine Mutter soll später wieder geheiratet haben – sechs Halbgeschwister soll D. aus dieser Ehe haben. Doch zu ihnen brach er den Kontakt ab – er wuchs bei der Oma auf

Warum, das erzählt er niemandem. Eine Angehörige, die PULS 24 und den "Standard" empfing, meint, er habe seine Gefühlswelt nie gezeigt. Er sei "wie ein Igel, der sich zusammengerollt hat"

Eigentlich, so erzählt die Angehörige, sei der heute 25-Jährige ein passabler Gymnasiast gewesen, doch durch "falsche Freunde" auf die schiefe Bahn geraten. 

Wegen seines Terror-Delikts ist sein Asylstatus "ungeklärt", er hat in Österreich keine Arbeitserlaubnis. Vor Gericht wird er erklären, dass er deshalb halt "schwarzarbeiten" müsse. Eine Möglichkeit, legal an Geld zu kommen, gibt es für ihn nicht. Anerkennung sucht und bekommt er in der Schattenwelt.

Offenbar, so erzählen Betreuer, soll es ihn sehr ärgern, dass in Medien berichtet wurde, die Ältesten aus den Communitys hätten den Konflikt auf den Straßen Wiens schließlich beendet. D. soll der Überzeugung sein, dass er selbst eine große Rolle spielte.

Die Schutzgeldbande

Ob er die Community wirklich so fest im Griff hat, oder ob er sich da selbst überschätzt, ist nicht restlos zu klären. Fest steht, dass er bei diversen Straftaten immer wieder seine Finger im Spiel zu haben scheint. Immer wieder ist er es, der im Hintergrund zu agieren scheint und anderen sagt, was sie zu tun hätten.

Sichergestellte Gegenstände der Schutzgeldbande. APA/LPD WIEN

Sichergestellte Gegenstände der Schutzgeldbande. 

So auch bei der Meidlinger Schutzgeldbande: Im September 2023 verübten zehn Jugendliche eine Reihe von Brandanschlägen und Raubüberfälle gegen einen Handyshop im 12. Bezirk. In der Telegram-Gruppe, in der alles geplant wurde, war auch Abubakar D. 

Er war zwar offenbar nie an tatsächlichen Straftaten der Schutzgeldbande beteiligt. Ermittler bezeichneten ihn dennoch als "Vorbild" für die Jugendlichen. Nach einem Überfall auf den Handyshop freute sich ein Bandenmitglied, D. damit beeindrucken zu können. 

Der Untergang?

Nun sitzt das "Vorbild" selbst in Untersuchungshaft. Seine Ex-Freundin wird beim Bankraub-Prozess am 10. Juni wegen des Geldes, das er nach Hause brachte, zu 18 Monaten bedingter Haft verurteilt. 

Seine Großmutter wird freigesprochen. Das bei ihr gefundene Geld soll Erspartes aus ihrer Mindestpension sein. 

Ob D. selbst die Mitwirkung am Banküberfall nachgewiesen werden kann oder die Staatsanwältin die Akten wirklich "falsch gelesen" hat, wird sich im Juli zeigen. Der Prozess wird vertragt, weil noch weitere Zeug:innen befragt werden sollen. 

In diesem Fall drohen Abubakar D. bis zu 15 Jahre Haft. Sollte es auch rund um die Bandenstreitigkeiten zu einer Verurteilung kommen, könnten noch weitere Jahre im Gefängnis dazukommen.

Als D. in Handschellen abgeführt wird, wird er jedenfalls wieder grinsen und weiterhin selbstsicher nicken. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Video: Warum immer mehr Kinder straffällig werden

Walter Dillinger von der Wiener Polizei im Interview.

Zusammenfassung
  • Der Name Abubakar D. taucht immer wieder auf: Sei es bei armittlungen zu Terrorplänen, Bandenkriminalität und Schutzgelderpressungen.
  • Der 25-Jährige ist wegen eines Banküberfalls von rund 78.000 Euro angeklagt und bestreitet die Vorwürfe trotz hoher Beweislast.
  • 2019 wurde D. bereits wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt und saß gemeinsam mit dem späteren Wiener Attentäter Kujtim F. in Haft.
  • Er gilt als charismatischer Anführer, der Jugendliche für kriminelle und islamistische Aktivitäten rekrutierte und in sozialen Netzwerken zur Selbstjustiz aufrief.
  • Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft, wobei weitere Anklagen wegen Bandenkriminalität möglich sind.
  • PULS 24 und der "Standard" recherchierten die Geschichte eines Menschenfängers.