ProzessPULS 24

Nach Bandenstreit

Schüsse in Wiener Park: 14 Jahre Haft wegen versuchten Mords

Heute, 08:32 · Lesedauer 6 min

Wurde die Aufarbeitung des Bandenstreits zwischen tschetschenischen und syrischen Jugendlichen vor Gericht durch einen Friedensvertrag gestört? Hackt "eine Krähe" der anderen nun "kein Auge aus"? Auch um diese Fragen ging es im Prozess gegen zwei junge Männer nach einer Schießerei im Anton-Kummerer-Park in Wien-Brigittenau. Dieser endete mit einer langen Haftstrafe und einem Freispruch.

Die Angst vor einem "Bandenkrieg" auf den Straßen Wiens sorgte im vergangenen Sommer für Aufregung. Gegenüber standen sich Jugendliche mit syrischer Migrationsgeschichte, die sich auch als "505er" bezeichneten und Jugendliche mit tschetschenischer Migrationsgeschichte - auch "Ches" genannt. 

Ermittler sprachen dabei nie von wirklicher Bandenkriminalität, da die Gruppen sehr lose organisiert waren. Mittlerweile scheint sich der Konflikt auf den Straßen ohnehin beruhigt zu haben. Die Ältesten der beiden Seiten sollen schließlich eine Art Friedensvertrag geschlossen haben.

Chaos im Park

Nun begann auch vor Gericht die erste Aufarbeitung des Geschehenen. Zwei jungen Männern mit tschetschenischer Migrationsgeschichte wurde vorgeworfen, am 5. Juli 2024 im Anton-Kummerer-Park in Wien-Brigittenau auf eine Gruppe syrischer junger Männer mit Schreckschusspistolen geschossen zu haben. Sechs Schüsse fielen, direkt getroffen wurde niemand. Zwei Burschen wurden allerdings von Querschlägern, die von Autos abprallten, verletzt. 

Der 30-jährige Erstangeklagte, ein dünner Mann mit schwarzen, längeren Haaren, wurde schlussendlich wegen versuchten Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt. Er habe zumindest auf eine Person in Tötungsabsicht geschossen, entschieden sieben von acht Geschworenen.

Der 29-jährige Zweitangeklagte, ein durchtrainierter Mann mit brünetter Kurzhaarfrisur, soll als Komplize dabei gewesen sein und einen psychischen Tatbeitrag geleistet haben. Von diesem Freispruch wurde er allerdings freigesprochen. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Beide hatten schon seit dem ersten Prozesstag vergangene Woche die Vorwürfe gegen sie bestritten. Den zweiten Prozesstag verfolgten sie aufmerksam, aber wortkarg - und blieben bei ihrer Version der Geschichte. Am Ende schüttelten beide den Kopf. 

Die Aufarbeitung vor Gericht war alles andere als einfach. Entsprechend lang berieten die Geschworenen am Mittwochnachmittag - über drei Stunden lang.

Was in dem Park genau passiert ist, war so genau nicht rekonstruierbar. So sagten etwa auch Zeugen der syrischen Seite vor Gericht plötzlich aus, dass Sie die Angeklagten nicht mehr identifizieren könnten. 

Verwässerte Zeugenaussagen nach Friedensvertrag?

Der Staatsanwalt blieb dennoch bei seinen Anschuldigungen: Er erklärte die "verwässerten" Zeugenaussagen mit dem Friedensvertrag der Älteren. Nun würden beide Seiten nach dem Motto "eine Krähe hackt einer anderen Krähe kein Auge aus" handeln. 

"Er hat geschossen", wiederholte der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer. Schließlich habe ein Zeuge den schwarzen BMW X5 des Erstangeklagten identifiziert, aus dem geschossen worden sei.

Die Patronen vom Tatort passen mit den Schmauchspuren auf seiner Kleidung und seinem Lenkrad zusammen, bezog er sich auf Gutachten der Sachverständigen. Der Zweitangeklagte werde durch Handydaten belastet – er sei in der Nähe des Tatorts gewesen, das sei bewiesen.

Die Verteidigung stellte das Geschehene aber wieder ganz anders dar: Alexander Philipp, der Anwalt des Erstangeklagten, führte in seinem Schlussplädoyer aus, dass man ja gar nicht wisse, was in dem Park genau passiert sei. Die Geschehnisse hätte schon vor den Schüssen begonnen, unzählige Personen seien beteiligt gewesen – nicht nur die beiden Angeklagten.

Dass die beiden Angeklagten beim Park waren, bestritten diese nicht. Sie seien aber abgehauen, als sie die Schüsse hörten. Es gebe auch einen Zeugen, der sagte, dass der BMW-Fahrer vielleicht gleich weitergefahren sei, so Philipp. 

Schlampige Spurensicherung?

Kritik gab es auch an der Polizei: Die Schmauchspuren im Auto des Angeklagten könnten auch von einem Polizisten stammen, der das Auto beschlagnahmte, so der Anwalt. Die Ermittler hätten ja die Patronen im Park gesichert. 

Der Sachverständige, der das Waffengutachten machte, hätte auch ausgesagt, dass die Spurensuche am Tatort "suboptimal" gelaufen sei. Dieser hatte zuvor erklärt, dass man nicht genau sagen könne, ob aus dem Auto geschossen worden sei. 

Der Erstangeklagte, ein gelernter Mechatroniker, der nun als Projektmanager arbeitet, erklärte die Schmauchspuren mit dem Besuch bei einem Schießstand in Bratislava kurz vor der Schießerei im Park. "Er kann schießen", sagte Anwalt Philipp. Bei sechs Schüssen hätte sein Mandant getroffen. 

Anwalt Florian Kreiner, der den Zweitangeklagten vertrat, meinte gar, dass sein Mandant überhaupt von keinem objektiven Beweis belastet werde. Es gebe keinen Zeugen, der gesehen hätte, dass er den anderen Angeklagten unterstützt hätte. "Wir sind nicht einmal im Bereich des Zweifels". 

Die Aussagen der syrischen Zeugen seien nun nicht wegen eines Friedensvertrags anders ausgefallen, entgegnete er dem Staatsanwalt. Es könne schlicht sein, dass die Erinnerungen verblassen, "wenn man selbst mit einer Machete spazieren gewesen" sei.

Einige der syrischen Zeugen trieben sich zumindest am Vormittag vor dem Gerichtssaal herum. Mit den Angehörigen der Angeklagten kam es zu keinen Zwischenfällen. Die Anwälte verwiesen darauf, dass es auch gegen andere Beteiligte der Auseinandersetzung noch Ermittlungen gebe. 

Der Zweitangeklagte sagte am Ende des zweitägigen Prozesses angesichts seiner Vorstrafen zu den Geschworenen: "Ich war nicht immer ein Unschuldslamm", aber mit dieser Sache habe er "nichts zu tun". Am Ende schlug er mit seinem Anwalt ein: "Gemma nach Hause". Beim Zweitangeklagten und dessen Angehörigen herrschte hingegen großes Unverständnis. 

Cannabis in der Hose

Dass die beiden in Untersuchungshaft zuletzt ebenfalls auffällig wurden, war am Ende kein Thema mehr: Zu Beginn des zweiten Prozesstages las der Richter Nachrichten aus der Justizanstalt vor, wonach sich der erste Angeklagte nach dem ersten Verhandlungstag weigerte, in seine Zelle zurückzukehren und Justizwachebeamte bedroht haben soll. Er sei "mit einem Geisteskranken" in der Zelle gewesen, erklärte der Mann.

Beim zweiten Angeklagten wurde Cannabis, eingenäht in die Hose, gefunden. Er wisse nicht, wer das war, er habe die Drogen nicht bestellt, meinte dieser dazu nur. 

Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Im Fall des Freispruchs kann die Staatsanwaltschaft noch Einspruch erheben, im Fall der Haftstrafe die Verteidigung. 

Syrer vs. Tschetschenen: Prozess um Bandenstreit in Wien

Zusammenfassung
  • Wurde die Aufarbeitung des Bandenstreits zwischen tschetschenischen und syrischen Jugendlichen vor Gericht durch einen Friedensvertrag gestört?
  • Auch um diese Frage ging es im Prozess gegen zwei junge Männer nach einer Schießerei im Anton-Kummerer-Park in Wien-Brigittenau.
  • Dieser endete mit einer langen Haftstrafe und einem Freispruch.
  • Der 30-jährige Erstangeklagte, ein dünner Mann mit schwarzen, längeren Haaren, wurde schlussendlich wegen versuchten Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt. Er habe zumindest auf eine Person in Tötungsabsicht geschossen, entschieden die Geschworenen am Ende.
  • Der 29-jährige Zweitangeklagte, ein durchtrainierter Mann mit brünetter Kurzhaarfrisur, soll als Komplize dabei gewesen sein und einen psychischen Tatbeitrag geleistet haben. Von diesem Freispruch wurde er allerdings freigesprochen.
  • Die Urteile sind nicht rechtskräftig.