SOS-KinderdorfAPA/HERBERT PFARRHOFER

SOS-Kinderdörfer sollen in Verschleppung ukrainischer Kinder verstrickt sein

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Die internationale Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer ist laut einem Bericht des ZDF-Magazins "frontal" in die systematische Verschleppung ukrainischer Kinder durch Russland verstrickt. SOS-Kinderdorf in Österreich weist die Vorwürfe zurück.

Dem ZDF-Magazin liegen laut dem Bericht vom Dienstag Bilder vor, die zeigen, wie ukrainische Kinder in die Siedlung Tomilino in der Nähe von Moskau gebracht werden. Dort seien sie offenbar russischen Pflegeeltern übergeben worden.

Die Siedlung Tomilino gehört seit 1990 zu den SOS-Kinderdörfern. Die Hilfsorganisation räumte gegenüber dem ZDF ein, dass sie von 13 ukrainischen Kindern in ihren Dörfern in Russland wisse. Weiter teilte sie schriftlich mit: "SOS-Kinderdorf Russland kann keine Auskunft darüber geben, wie die Kinder nach Russland kamen und wie sie die russische Staatsbürgerschaft erlangten."#

Kinder sollen russifiziert werden

Nach Recherchen von "frontal" besuchte die russische Kinderrechtsbeauftragte Maria Lvova-Belova im Dezember 2022 das SOS-Kinderdorf Tomilino. Während ihres Besuches seien Propagandabilder mit verschleppten ukrainischen Kindern entstanden.

Das ZDF-Magazin wies darauf hin, dass seit Kriegsbeginn am 24. Februar ukrainische Kinder und Jugendliche systematisch nach Russland verschleppt würden. Viele der Kinder würden dort zur Zwangsadoption freigegeben und kämen in russische Pflegefamilien. Ziel sei, dass sie alles Ukrainische vergessen und stattdessen eine pro-russische patriotische Erziehung erhalten sollten. 

SOS-Kinderdorf betreut in Russland 600 Kinder

"SOS-Kinderdorf ist gegen den Einsatz von Kindern für politische Zwecke. Wir unterstützen das nicht und werden diesen Fall prüfen", heißt es in dem Schreiben laut "frontal" weiter. Das Hauptziel von SOS-Kinderdorf Russland sei es, Kinder unabhängig von ihrer Herkunft zu schützen, auch unter extrem schwierigen Bedingungen, beteuerte die Organisation. SOS-Kinderdorf Russland arbeitet nach eigenen Angaben seit mehr als 30 Jahren in dem Land und betreut dort derzeit mehr als 600 Kinder. Auch in der Ukraine SOS Kinderdorf aktiv.

SOS-Kinderdorf Österreich weist Vorwürfe zurück

"Wir haben mit den Verschleppungen nichts zu tun. Wir machen unseren Job und helfen Kindern in Not", sagte SOS-Kinderdorf-Sprecher Jakob Kramar-Schmid am Mittwoch zur APA.

Seit wann weiß SOS-Kinderdorf in Österreich über ukrainische Kinder im besagten russischen SOS-Kinderdorf Bescheid? Und welche Maßnahmen hat die Organisation seither ergriffen? Wurden ukrainische Kinder ihren Eltern zurückgebracht? Sprecher Kramar-Schmid sagte im Telefonat mit der APA, dass erstmals im November 2022 russische Kolleg:innen von 13 Kindern berichtet hätten, deren Herkunft unklar sei. Die russischen Behörden seien mit der Bitte um Betreuung der Kinder an das Kinderdorf herangetreten. "Wir stehen vor dem Dilemma, entweder nicht zu helfen oder Kindern in Not zu helfen, die sonst auf der Straße stehen würden", sagte Kramar-Schmid. "Die Kolleginnen und Kollegen in Russland machen einen wahnsinnig guten Job und stehen unter großem politischen Druck."

"Starke Anhaltspunkte" weisen auf ukrainische Herkunft hin

Es gebe "starke Anhaltspunkte" dafür, dass es sich bei den 13 Minderjährigen mit ungeklärter Herkunft um ukrainische Kinder handle. Selbst, wenn "wir davon ausgehen, dass wir die Eltern der Kinder in der Ukraine finden, ist es nicht so einfach, die Kinder aus Russland herauszubekommen", sagte Kramar-Schmid.

Wo SOS-Kinderdorf bei der Suche stehe und ob die Organisation bereits Eltern gefunden habe, die Kinder aber nicht aus Russland bringen könne, sei derzeit nicht zu sagen: Antworten darauf gefährden laut Kramar-Schmid die betroffenen Kinder, die Familien in der Ukraine und die SOS-Kinderdorf-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Russland. "Wenn die russischen Behörden SOS-Kinderdorf dicht machen, was passiert dann. Wir sind den Kindern verpflichtet."

Und Kramar-Schmid weiter: "Wäre es uns am liebsten, dass wir morgen mit diesen Kindern in die Ukraine fahren könnten? Auf jeden Fall. Aber die Umstände lassen es nicht zu."

Baerbock: Fakten fehlen

Üblicherweise sei es Teil der Arbeit von SOS-Kinderdorf, dass die Minderjährigen Kontakt zu ihren Eltern hielten. Nur bei einer Minderheit der zu Betreuenden handle es sich um Waisen; der Großteil lebe in "professionellen Pflegefamilien, einer Art WG", weil die Herkunftsfamilien zu arm seien. Diese Pflegefamilien seien im SOS-Kinderdorf untergebracht, die Betreuerinnen und Betreuer seien aber vom russischen Staat ausgesucht und angestellt. Diese Pflegefamilien würden wiederum von den SOS-Kinderdorf-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern betreut. Kinder, die in einem SOS-Kinderdorf lebten, würden "natürlich nicht" zur Adoption freigegeben.

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte im Jänner auf die entsprechenden Vorwürfe gegen Russland hingewiesen und in diesem Zusammenhang von dem "gezielten Versuch, ein Volk zu zerstören", gesprochen. Allerdings sagte sie auch, dass gesicherte Fakten dazu fehlten. Russland bestreitet die Vorwürfe. Das Humanitarian Research Lab der US-Universität Yale ging zuletzt von etwa 6.000 nach Russland verschleppten ukrainischen Kindern aus, die ukrainische Regierung nennt eine Zahl von mindestens 14.000. Entsprechende Berichte von Verschleppungen gab es unter anderem aus besetzten Gebieten in Cherson oder aus Mariupol.

ribbon Zusammenfassung
  • Die internationale Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer ist laut einem Bericht des ZDF-Magazins "frontal" in die systematische Verschleppung ukrainischer Kinder durch Russland verstrickt.
  • SOS-Kinderdorf in Österreich weist die Vorwürfe zurück.

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