Psychotische Mutter nach Tötung ihres Sohnes vor Gericht
Die 21-Jährige wurde am Ende der heutigen Verhandlung gegen gelindere Mittel auf freien Fuß gesetzt. Einem entsprechenden Antrag des Verteidigers wurde Folge gegeben. Die psychisch kranke Frau, die sich bisher in der Justizanstalt (JA) Josefstadt in vorläufiger Anhaltung befunden hatte, wechselt nun in eine auf ihre Krankheitsform spezialisierte Einrichtung, in der sie engmaschig betreut wird und gewährleistet ist, dass sie weiterhin ihre Medikamente nimmt. Die 21-Jährige erklärte sich auch mit weiterer psychotherapeutischer Behandlung einverstanden.
Die Anklagebehörde hatte gemäß § 21 Absatz 1 StGB die Unterbringung der Frau in einem forensisch-therapeutischen Zentrum beantragt. Einem im Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Sigrun Rossmanith zufolge lag bei der Frau ein Schuldausschließungsgrund vor. Rossmanith wies in ihrem schriftlichen Gutachten eine akute polymorph psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie nach. Infolge dessen war nach Ansicht der Sachverständigen bei der Mutter zum Tatzeitpunkt Zurechnungsunfähigkeit und damit ein Schuldausschließungsgrund gegeben.
"Die Tat ist ausschließlich unter dem Einfluss dieser Krankheit geschehen", meinte Rossmanith nun im Grauen Haus bei der Erörterung ihres Gutachtens. Die Erkrankung sei "abrupt" aufgetreten und habe sich "in einer crescendoartigen Geschwindigkeit" entwickelt. Seit ihrer Anhaltung werd die 21-Jährige medikamentös und psychotherapeutisch behandelt und sprecht auf die Neuroleptika gut an. "Je akuter eine Erkrankung ist, desto besser ist sie behandelbar", stellte Rossmanith fest.
21-Jährige laut Gutachterin inzwischen "in sehr gutem Zustand"
"Ihr damaliger Geisteszustand ist seit Februar nicht mehr vorhanden", legte die Sachverständige dar. Die 21-Jährige sei inzwischen "gut geerdet, therapiebereit, krankheitseinsichtig". Die Symptome hätten sich "völlig zurückgebildet", die Frau sei "stabilisiert" und in einem "sehr guten Zustand". Die Neuroleptika - die 21-Jährige bekommt diese seit einiger Zeit in Form einer monatlichen Depotspritze verabreicht - hätten "den Realitätssinn wieder hergestellt".
Während Rossmanith in ihrem schriftlichen Gutachten noch von einer "hohen Wahrscheinlichkeit" ausging, dass die junge Frau in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss ihrer psychischen Störung erneut eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen wird, behielt sie diese Meinung in der Verhandlung nicht bei. Sie ortete unter Verweis auf das aktuelle Befinden nunmehr ein "sehr geringes Rückfallrisiko". Es sei "unwahrscheinlich", dass es zu neuerlichen Verbrechen kommen wird, selbst wenn die Frau ihre Medikamente absetzen würde, sagte Rossmanith, womit sie bei den drei Berufsrichtern erkennbares Erstaunen auslöste.
Auf Nachfragen seitens der Richter bekräftigte Rossmanith ihre Sicht der Dinge. Die Frau sei "geheilt". Es sei "wie beim Krebs. Da sagt man, er ist geheilt, wenn er zur Ruhe gekommen ist".
Daraufhin entschlossen sich die drei Berufsrichter, von Amts wegen ein zweites psychiatrisches Gutachten einzuholen. Ein weiterer Experte soll abklären, ob von der 21-Jährigen eine Gefahr ausgeht - eine solche ist nämlich Voraussetzung, dass die als zurechnungsunfähig eingestufte Frau überhaupt in den Maßnahmenvollzug eingewiesen werden kann. Liegt eine solche nicht vor, wäre sie vom Gericht zu entlassen, weil ihr die Tötung des Kindes mangels Schuldfähigkeit strafrechtlich nicht vorgeworfen werden kann.
Mutter: "Ich war nicht ich selbst"
"Ich war nicht ich selbst. Ich war komplett außer mir", hatte zuvor die Mutter dem Schwurgericht erklärt. Sie habe gedacht, sie müsse ihr Kind "retten". Sie habe zwei Tage vor der Tat zu halluzinieren begonnen und sich damals eingebildet, Männer, die sie zuvor am Reumannplatz gesehen hatte, würden ihr Kind vergewaltigen. Als sie in der Nacht auf den 17. November in der Wohnung Schlüsselgeräusche vernahm, habe sie Panik und Angst bekommen und in der Küche "ein Messer gefunden", meinte die junge Frau: "Panik hat Angst gemacht, Angst hat Panik gemacht. Ich hab' mir gedacht, ich muss mein Kind schützen. Ich muss mein Kind retten. Ich hab' mein Kind umgebracht."
"Als ich mein Kind tot gesehen habe, wollte ich auch sterben. Ich habe das Messer gegen meinen Hals gerichtet", gab die 21-Jährige auf die Frage zu Protokoll, was danach geschehen sei. Ihr Mann habe ihr "das Leben gerettet" und "das Messer weggenommen". Dann verständigte der Ehemann die Polizei und die Rettung. Für den vierjährigen Buben kam jede Hilfe zu spät. Die Mutter wurde in ein Spital gebracht, dank einer Notoperation überlebte sie die Verletzungen, die sie sich zugefügt hatte.
Ehemann hatte mit Frau Spital aufgesucht
Der Ehemann der 21-Jährigen hatte drei Tage vor der Tat mit seiner Frau ein Wiener Krankenhaus aufgesucht, weil ihm und dem Arbeitgeber der Frau - sie hatte in einer Einrichtung als Kindergarten-Assistentin gearbeitet - ihr psychischer Zustand Sorgen machte. Die Frau wurde im Spital von einer Ärztin untersucht, ihr akut psychotischer Zustand aber nicht erkannt. Sie wurde auch nicht psychiatrisch untersucht. Die Ärztin ging von einer Depression aus, gab der Frau ein mildes Mittel gegen die Symptome und schickte das Ehepaar wieder nach Hause.
Wie der Ehemann als Zeuge berichtete, habe die Allgemeinmedizinerin es nicht für nötig befunden, "dass meine Frau von einem Psychiater angeschaut wird". Dabei habe er im Spital zwei Mal darum gebeten, weil seine Frau Wahnvorstellungen entwickelt hätte. "Hätte sie uns weitergeschickt, wäre das wahrscheinlich nicht passiert", meinte der Mann.
In der Nacht auf Sonntag legte sich der Vater dann neben seinem Sohn ins Bett. Er wollte eigentlich wach bleiben, weil ihm seine Frau Angst machte, indem sie behauptete, Gas trete in die Wohnung ein. "Tragischerweise ist er gegen 3.00 Uhr eingeschlafen", berichtete die Staatsanwältin. In der Früh sei er aufgrund von Geräuschen aufgewacht: die Mutter habe dem Vierjährigen mit einem tiefen Schnitt die Kehle durchtrennt. Der Vater habe sie vom Buben weggestoßen, worauf die Frau "Lass mich, er soll nicht leiden" geschrien habe.
Bis kurz vor der Tat "harmonisches Familienleben"
Bis wenige Tage davor habe die Frau mit ihrem Mann und ihrem einzigen Kind "ein harmonisches Familienleben geführt", skizzierte die Staatsanwältin. Dann habe sie plötzlich desorientiert und verwirrt gewirkt, sei aggressiv geworden und in eine akute Psychose gekommen.
"Bis dahin war sie eine Vorzeigemutter. Ihr Kind war ihr ein und alles", betonte der Verteidiger. Ihr Mann stehe trotz des Verlusts seines Sohnes "ungebrochen an der Seite seiner Frau und will die Beziehung fortsetzen".
Zusammenfassung
- Am 17. November 2024 tötete eine 21-jährige Mutter in Wien-Favoriten ihren vierjährigen Sohn unter dem Einfluss einer schweren psychischen Störung.
- Die Frau wurde nicht wegen Mordes angeklagt, da laut Gutachten eine akute polymorph psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie und Zurechnungsunfähigkeit vorlag.
- Nach der Verhandlung wurde die 21-Jährige gegen gelindere Mittel freigelassen und in eine spezialisierte Einrichtung für weitere Behandlung überwiesen.
- Die psychiatrische Sachverständige bescheinigte der Frau inzwischen einen sehr guten Gesundheitszustand und ein sehr geringes Rückfallrisiko.
- Das Gericht ordnete ein weiteres psychiatrisches Gutachten an, um abschließend zu klären, ob von der Frau weiterhin eine Gefahr ausgeht.