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Istanbul Konvention

Gewalt an Frauen: Zwischen Fortschritt und Handlungsbedarf

Heute, 12:43 · Lesedauer 5 min

In Österreich gilt seit 2014 das rechtlich bindende Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Teilnehmende Staaten verpflichten sich zur Einführung verbindlicher Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt.

Ein ungefragtes Dick-Pic zu verschicken, ist künftig ein Straftatbestand. Ein nationaler Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen kommt. Scheinbar geht es in Österreich voran mit Maßnahmen, die Gewalt an Frauen verhindern sollen.

Auf der anderen Seite gibt es immer noch keine einheitliche Definition, was häusliche Gewalt denn überhaupt ist. Und jede zweite Woche wurde 2024 im Schnitt eine Frau in Österreich ermordet.

Mit 1. August 2014 trat das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, unterzeichnet in Istanbul, in Kraft. 

Österreich war von Anfang an dabei. Die Europäische Union ratifizierte das Übereinkommen des Europarates im Jahr 2023 als gesamter Staatenbund. Die Türkei ist übrigens als bisher einziges Land, trotz Namensgebung, 2021 aus dem Abkommen wieder ausgestiegen.

Die Konvention sei ein "wichtiges Instrument in Österreich bei dem Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen", erklärt Jenny-Kerstin Bauer vom Netzwerk österreichischer Frauen- & Mädchenberatungsstellen im Gespräch mit PULS 24.

In der Istanbul-Konvention wird einerseits sehr ausführlich und genau definiert, wie breit der Begriff "Gewalt" gefächert ist. Andererseits werden möglichst alle Institutionen, die mit Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu tun haben, also der Gesetzgeber, Gerichte, Strafverfolgungsinstitutionen, aber auch die Bildungsinstitutionen zum Handeln verpflichtet.

Maßnahmen kommen nach und nach

Als klares Bekenntnis zur Konvention gilt der im Mai beschlossene Nationale Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen. Hier sollen in den nächsten vier Jahren Maßnahmen zur Gewaltprävention und zum Gewaltschutz ministerienübergreifend ausgearbeitet werden.

Auch das ungefragte Zusenden von Bildern mit Genitalien ("Dick-Pic-Verbot) wird ab Herbst 2025 im Strafgesetzbuch verankert sein. Aber warum treten Gesetze zum Gewaltschutz teilweise erst Jahre nach einer von Anfang an rechtlich bindenden Konvention in Kraft?

Die Juristin Christina Riezler vom Bundesverband der Gewaltschutzzentren Österreichs erläuterte im Gespräch mit PULS 24 die Ausgangslage. "Wir haben es bei dem Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun", so die Juristin.

Mit einer einzelnen Maßnahme und einem einzelnen Gesetz findet von heute auf morgen kein gesamtgesellschaftliches Umdenken statt. "Natürlich wünscht man sich das als NGO, aber viele Maßnahmen, die ineinander greifen, brauchen Zeit", bestätigt auch Bauer vom Netzwerk österreichischer Frauen- & Mädchenberatungsstellen.

Tatsächlich gab es eine Reihe von konkreten Maßnahmen, die in Österreich in den letzten Jahren zum Thema Gewaltschutz umgesetzt wurden. Die verpflichtende Beratung für Gefährder ist etwas bisher Einzigartiges, das es nur in Österreich gibt. Auch, dass mit einem Betretungsverbot ein Annäherungsverbot einhergeht, war vor einigen Jahren noch nicht rechtlich möglich.

Riezler betont, wie sehr die Sensibilisierung für das Thema Gewalt gegen Frauen in der österreichischen Gesellschaft in den letzten Jahren gestiegen ist. Auch gefährliche Drohungen und Beschimpfungen sind Formen von Gewalt "und nicht erst der Faustschlag", wie Riezler in puncto Sensibilisierung anmerkt.

Deutlich mehr Menschen wenden sich heute an Gewaltschutzzentren, auch weil die Möglichkeit zu Unterstützung in der Öffentlichkeit deutlich präsenter geworden ist.

Wo Österreich handeln muss

Der sogenannte GREVIO-Bericht evaluiert alle vier bis fünf Jahre, wie gut oder schlecht die einzelnen Länder die Istanbul Konvention umsetzen. Der letzte Bericht für Österreich erschien im September 2024. Zusätzliche Maßnahmen, die es zu ergreifen gilt, gibt es dem Bericht zufolge einige.

Gemäß Artikel 3 der Istanbul Konvention gibt es etwa in Österreich nach wie vor keine einheitliche Definition von häuslicher Gewalt.

Darüber hinaus existiert in Österreich keine verpflichtenden Fortbildungen für Richter:innen und Staatsanwält:innen zu Themen wie Trauma, sexueller Gewalt und den Dynamiken häuslicher Gewalt. Gemäß der Istanbul-Konvention müssen aber auch diese Stellen in die Sensibilisierung zum Gewaltschutz eingebunden werden.

Nach wie vor alarmierend in Österreich: die hohe Anzahl an Femiziden. Die sank nämlich in den letzten Jahren nicht und das trotz einer Reihe an Maßnahmen seit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention.

Der Mord an Frauen sei in der ganzen Thematik die Spitze des Eisbergs, erklärt Jenny-Kerstin Bauer im Gespräch. Das Fundament bieten gesellschaftliche Strukturen, dass Mädchen in Schulen weniger zugetraut wird, sie in stereotype Rollen gedrängt werden, später weniger verdienen als Männer und dafür deutlich mehr unbezahlte Carearbeit leisten.

Burschen richtig erziehen

Auch sexualisierte Gewalt und "Catcalling" sind nach wie vor in unserer Gesellschaft verankert und werden toleriert. "Wenn wir geschlossen für Gleichberechtigung einstehen, dann werden wir auch weniger Gewalt an Frauen erleben", erklärt die stellvertretende Geschäftsleiterin des Netzwerks österreichischer Frauen- & Mädchenberatungsstellen.

Hinzu kommt der dringende Aufruf, mehr auf Primärprävention zu achten, also Buben und Männer früh genug dazu zu bringen, traditionelle Rollenbilder zu hinterfragen. Was ist Beziehung? Wie funktionieren partnerschaftliche Beziehungen? "Ich kann als erwachsene Person ein gutes Vorbild sein", versichert Riezler vom Bundesverband der Gewaltschutzzentren. "Das ist im Grunde bereits im Kindergarten oder ab dem Vorschulalter unbedingt notwendig."

Video: Gegen Gewalt an Frauen: Arbeit an Aktionsplan beginnt

Zusammenfassung
  • Seit 1. August 2014 gilt in Österreich die Istanbul-Konvention, die verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt vorschreibt.
  • Die Europäische Union ratifizierte die Konvention 2023 als gesamter Staatenbund, und alle vier bis fünf Jahre überprüft der GREVIO-Bericht die Umsetzung in den Mitgliedsländern.
  • Laut Jenny-Kerstin Bauer vom Netzwerk österreichischer Frauen- & Mädchenberatungsstellen ist die Konvention ein "wichtiges Instrument" im österreichischen Gewaltschutz, da sie alle relevanten Institutionen zum Handeln verpflichtet.