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Am Puls der Politik: Türkiser Fleckerl-Teppich statt Rot-weiß-roter Faden

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Karl Nehammer bleibt Österreich eine echte Kanzler-Rede weiterhin schuldig: den Anspruch, als Regierungschef das Land zu einen und nicht noch mehr zu spalten.

Noch zwei Tage vor dem, von der ÖVP wochenlang gehypten, Termin seiner "Rede zur Zukunft der Nation", wussten auch Schlüsselplayer in der Regierung nicht, wo der Kanzler seine Pflöcke am Weg Richtung 2030 einschlagen werde. Ergebnis war ein Auftritt des Kanzlers, der parteiintern für Applaus sorgte. Zugleich aber eine Rede, die nicht nur in der Koalition die Polarisierung verschärfte. 

Die Zielgruppen der ÖVP fühlten sich gut bedient. Vom ÖAAB bis zu den Wirtschaftsvertretern, von der Jungen ÖVP bis zu den Seniorenvertretern wurde jede schwarz-türkise Lobby rhetorisch bedacht: Von der Eigentums-Offensive bis zum degressiven Arbeitslosengeld, vom Schulfach Programmieren bis zum abschlagfreien Zuverdienst für Pensionisten.

"Österreich 2030" bleibt ein Blindflug

Selbst Journalisten, die nicht im eifrig gehegten Links-Verdacht von Schwarz-Türkis stehen, vermissten allerdings, was die Ansage "Rede zur Zukunft der Nation: Österreich 2030" verhieß: Politische Visionen, wo und wie das Land Anfang des nächsten Jahrzehnts anders und besser dastehen soll. Sprich: Sie vermissten in der vorgeblichen Kanzler-Rede den rot-weiß-roten Faden.

Stattdessen wob Karl Nehammer 80 Minuten lang einen schwarz-türkisen Fleckerlteppich. Mangels klar visionärer und unmissverständlicher zentraler Botschaften, gerieten auch Berichterstattung, Bewertung und Kommentierung der ersten Kanzlerrede von Karl Nehammer äußerst divers.

Kanzler zürnt Medien & Grünen

Dieser war ob des Echos in den Medien aber auch beim grünen Koalitionspartner derart unzufrieden, dass er bereits am Tag danach via "Kronen-Zeitung" wissen ließ: In Sachen Kritik an den "Untergangs-Szenarien" der "Last Generation" habe ihn niemand geringerer als US-Außenpolitik-Guru Henry Kissinger maßgeblich inspiriert.

Einen Tag nach der Kanzlerrede setzte sein Büro noch am Wochenende E-Mails an alle Chefredaktionen im Lande ab und lud zu einem neuerlichen Get-together ins Kanzleramt ein. Drei Tage nach der "Kanzlerrede" ging so Montag ein "Kanzlergepräch”" über die Bühne. An jenem grün bespannten ovalen Tisch, an dem jedem Mittwoch das Kabinett tagt, suchte sich Nehammer neuerlich zu erklären: Seine Rede seine keine Absage an den Koalitionspartner und kein Start des Wahlkampfs. Gewählt werde turnusgemäß im Herbst 2024.

Nehammer präsentiert sich im zweiten Anlauf als außenpolitischer Visionär

Der Kanzler vertiefte sich dann auffällig in Themen, die Kritiker noch drei Tage zuvor vermisst hatten. Karl Nehammer spannte einen weiten geopolitischen Bogen von der multilateralen Behebung der  Lieferketten- und Rohstoff-Probleme bis zu einer vorausschauenden Afrikapolitik. Es war ein besonders ernster und konzessionsloser Karl Nehammer, der sich hier präsentierte. 

Nach "Kanzlerrede" und "Kanzlergespräch" verfestigt sich der Eindruck. Der wahre Karl Nehammer erschließt sich aber auch nicht dort, wo er sich als außenpolitischer Visionär zu zeigen sucht.

Authentisch als hemdsärmelig empathischer Zupacker

Nicht nur Regierungskollegen aller Lager erleben ihn dort authentisch, wo er seine persönlichen Stärken ausspielt: Hemdsärmelig zupackend, aber zugleich empathisch verbindlich. Selbst seine heftigsten Kritiker im ÖVP-Wirtschaftsbund, die sich von der ÖAAB-Truppe rund um Nehammer permanent unterbuttert fühlen, attestieren ihm "ehrliches und offenes Bemühen, den Laden zusammenzuhalten".

Die Botschaften, die von Karl Nehammers Kanzler-Rede hängen blieben, haben allerdings bislang alle nur das Zeug, noch mehr zu polarisieren: Von der Polemik gegen die "Untergangspropheten" bis zu den Ansagen in Sachen Sozialleistungen. Wo Karl Nehammer als ÖVP-Chef seine Pflöcke künftig gerne einschlagen will, ist nach dem groß inszenierten Auftritt im 35. Stock der Twin Towers weithin geläufig.

Ob sich Karl Nehammer auch für die breite Öffentlichkeit je als verbindender Kanzler aller Österreicher präsentieren will, bleibt weiter offen.

Richtungstellung: Vergangene Woche stand hier zu lesen: Pamela Rendi-Wagner habe am Wahlabend Kärnten fluchtartig verlassen. Tatsächlich hat die SPÖ-Chefin bis auf ein Kurz-Statement zwar alle ausgemachten TV-Interviews abgesagt, den Rest des Abends aber im Kreis ihrer Kärntner Parteifreunde zugebracht.

Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi)

Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at

ribbon Zusammenfassung
  • Karl Nehammer bleibt Österreich eine echte Kanzler-Rede weiterhin schuldig: den Anspruch, als Regierungschef das Land zu einen und nicht noch mehr zu spalten, meint Kolumnist Josef Votzi.

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