ÖFB-Kolumne - Samuel AkhondiMontage/APA/Privat/PULS 24

Warum Österreich gegen Frankreich "verdient" verloren hat

18. Juni 2024 · Lesedauer 7 min

Österreichs Fußballer starteten mit einer bitteren Niederlage gegen Frankreich in die EM. Der renommierte Taktik-Experte Samuel Akhondi analysiert exklusiv für PULS 24, warum es für die Mannschaft von ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick nicht für einen Punkt reichte.

Österreich hat das Auftaktspiel der Europameisterschaft gegen Frankreich mit 0:1 verloren. Trotz der Niederlage sind die Fans auf ihr Team stolz - und das Feedback von Teamchef Ralf Rangnick ist größtenteils positiv. Doch eine tiefere Analyse zeigt: Österreichs Leistung wies kritische Schwachstellen auf. Die gilt es zu beleuchten.

Österreichs Startaufstellung

Das ÖFB-Team überraschte mit Florian Grillitsch in der Startelf, wodurch Konrad Laimer eine Position weiter vorne in die Offensive rückte. Das Team trat in einem bewährten, Red-Bull-typischen 4-2-2-2 an, mit Michael Gregoritsch und Christoph Baumgartner an vorderster Pressing-Front.

Baumgartner wurde von Rangnick in den vergangenen Monaten mehr oder weniger zum Stürmer umfunktioniert, was zur Folge hatte, dass Marko Arnautović nur auf der Bank saß. Dahinter agierten Laimer und Marcel Sabitzer auf den Halbpositionen, während Grillitsch gemeinsam mit Nicolas Seiwald die Doppel-Sechs bildete.

Spiel gegen den Ball

Österreich ging die Franzosen wie gewohnt vorne an, wobei die Pressingmuster immer wieder variierten. Konnte man das Pressing ganz weit vorne starten und schon bei Tormann Mike Maignan aktiv werden, so war es stets das Ziel, den Gegner auf die Flügel zu drängen.

Dazu pressten die ÖFB-Stürmer den Gegner von innen nach außen, um dann den Außerverteidigern Theo Hernández und Jules Koundé den Ball abzunehmen. Das Zentrum stellte man zu - und der Stürmer lief im Bogen, um den Außenspieler quasi auf dem Silbertablett zu servieren.

Abb1 - Österreich gegen Frankreich

Gelenktes Pressing auf die Außenbahn. Baumgartner (19) und Gregoritsch (11) zwingen die Franzosen auf den Flügel, wo Laimer (20) den Ball erobern möchte.

Flexibles Pressing des ÖFB-Teams

Kamen die Franzosen jedoch weiter nach vorne und konnten den eigenen Sechszehner hinter sich lassen, stellten die Österreicher ihr Pressing um. In diesem Fall versuchten die Rangnick-Männer, den Gegner in die Mitte zu lenken.

Die Pressing-Spieler wählten genau den umgekehrten Laufweg: Der Außenstürmer lief im Bogen zuerst nach außen und dann nach innen, wodurch der Pass zum Außenverteidiger erschwert und der Pass durch das Zentrum erzwungen wurde. Dort standen die Österreicher dicht gestaffelt, um den Ball zu erobern.

Abb2 - Österreich gegen Frankreich

Gelenktes Pressing ins Zentrum. Sabitzer (9) kurvt seinen Lauf, um den Ball ins Zentrum zu erzwingen. Dort soll der Ball erobert werden.

"Pressing nach innen risikoreicher"

Der Vorteil des Pressings nach außen besteht darin, dass der Gegner das Seitenaus gegen sich hat und der Platz für den Gegner kleiner wird. Das macht es wiederum einfacher, den Ball zu gewinnen. Gleichzeitig ist man jedoch weiter vom Tor entfernt - und es kommt oft nur zu einem Einwurf.

Damit kann man zwar den Gegner neutralisieren, für die eigenen Offensivbemühungen bringt es aber leider wenig. Im Pressing nach innen zu lenken ist gefährlicher, da der Weg zum Tor kürzer ist. Diese Taktik ist aber auch risikoreicher, da der Gegner mit einer guten Kombination das ganze Pressing hinter sich lassen kann.

Österreicher waren nicht "eiskalt"

Die Österreich haben es im Pressing insgesamt sehr gut gemacht, hatten aber kaum Umschaltmomente, um selbst nach Ballgewinnen gefährlich zu werden. Wie in der Vorschau beschrieben, kommt man gegen einen Gegner wie Frankreich nicht zu vielen Chancen, nach Ballgewinn muss man im offensiven Umschaltmoment eiskalt sein. Das waren die Österreicher nicht.

Es gelang zwar über weite Strecken dies Spiels, die Franzosen zu neutralisieren - Maignan und Co. spielten unter Druck viele Bälle ins Aus. Tore schießen kann man dadurch aber leider keine.

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Fehlentscheidung von Teamchef Rangnick

In der Vorschau habe ich Grillitsch wenig Chancen auf einen Startelfeinsatz gegeben und infrage gestellt, ober er die richtige Wahl gegen Frankreich ist. Tatsächlich blieb Grillitsch größtenteils blass. Rangnick wechselte den Hoffenheim-Legionär nach knapp einer Stunde aus und versuchte damit, seine Fehlentscheidung zu revidieren.

Eine weitere Entscheidung des Teamchefs war es, Sabitzer im 4-2-2-2 eine Reihe weiter vorne aufzustellen. Diese Position entspricht nicht jener, die Sabitzer bei Borussia Dortmund oder zuvor bei Manchester United und dem FC Bayern bekleidete. Auch unter Julian Nagelsmann in Leipzig agierte Sabitzer auf der Sechs und nicht als Offensivposten.

Laimer und Sabitzer gehörten definitiv zu Österreichs stärksten Spielern - und beide spielten nicht auf ihrer angestammten Positionen. Vor allem bei Laimer ist das ärgerlich. Zum Ende der Saison war er bei der Doppel-Sechs der Bayern nicht mehr wegzudenken und zeigte unter anderem gegen Arsenal und Real Madrid Top-Leistungen.

ÖFB-Team mit mehr Ballbesitz

Österreich hatte gegen Frankreich überraschenderweise mehr Ballbesitz (52 Prozent), konnte damit jedoch wenig anfangen. Je nach Modell kam das ÖFB-Team auf 0,8 Expected Goals, wobei ein Großteil davon der Riesenchance von Baumgartner in der ersten Hälfte zuzurechnen war. 

Abgesehen von dieser Chance waren die Österreicher leider kaum gefährlich, da sie nach den Umschaltmomenten nach dem eigenen Pressing kaum etwas kreieren konnten. Bei eigenem Ballbesitz war das Spiel des ÖFB-Teams zudem äußerst mager. Die Spielaufbau-Szenen waren teilweise schmerzhaft anzusehen.

Immer wieder ließ Frankreich die Österreicher in Ruhe aufbauen, scheinbar wussten sie schon: Da wird nicht viel kommen. Seiwald kippte manchmal zentral, manchmal rechts von Kevin Danso ab. Diese Lücke auf der Sechser-Position wurde jedoch nicht sauber nachbesetzt - und eine Reihe weiter vorne fehlten meistens die passenden Anspielstationen.

Die Österreicher waren so sehr auf das Spiel gegen den Ball ausgerichtet, dass sie mit 52 Prozent Ballbesitz schlichtweg überfordert waren. Hier wäre es definitiv der bessere Ansatz gewesen, die spielstärksten Akteure auf der wichtigsten Position für den Spielaufbau spielen zu lassen - nämlich Sabitzer und Laimer auf der Doppel-Sechs.

Abb3 - Österreich gegen FrankreichSamuel Akhondi

Und wie geht es weiter? Immer wieder hat Danso (4) den Ball, aber keine Anspielstation. Seiwald (6) kippt ab und nimmt sich selber aus dem Spiel. Die Franzosen haben leichtes Spiel.

Mwene ohne nötige Klasse

Am Rande sei erwähnt, dass Maximilian Wöber als linker Außenverteidiger bisher um einiges besser spielte als Phillipp Mwene, der mit dem falschen Fuß auf links mehr als nur überfordert wirkte. Dem Mainz-Legionär fehlt es für so ein Turnier schlichtweg an Klasse. Er nahm dem Team quasi jegliche Möglichkeit, über links das Spiel aufzubauen.

So kam es, dass Österreich den Auftakt in den Sand setzte und wahrscheinlich sogar Glück hatte, dass die Franzosen ihre Chancen schlecht ausspielten. Frankreich kam je nach Modell auf knapp 2,0 Expected Goals, wobei das Wöber-Eigentor hier nicht mal gewertet wird. Hinzu kam vor allem Marcus Thuram immer wieder in aussichtsreiche Positionen, verfehlte aber den Abschluss.

"Verdiente Niederlage" gegen Frankreich

Am Ende steht für das ÖFB-Team eine verdiente Niederlage, die auch Teamchef Rangnick nicht bestreiten konnte. Österreich ist im Spiel gegen den Ball extrem gut. Das wissen wir, aber auch die Gegner. Wie schon bei der EM vor drei Jahren sind die ÖFB-Spieler besonders mit dem Ball nicht qualitativ gut genug. Es scheint, als fehle es an einem passenden Plan.

Man kann nur hoffen, dass sich das am Freitag (18 Uhr/Servus TV & Servus-TV-Livestream auf JOYN) gegen Polen ändert. Die Tendenz zeigt, dass das ÖFB-Team wieder mehr Ballbesitz haben wird als der Gegner - und diesmal wirklich mit dem Ball etwas kreieren muss, um zu gewinnen.

Zur Person: Samuel Akhondi (30) kommt ursprünglich aus Wien und begann seine Karriere als Taktik-Analyst bei den Fußball-Fachmedien "90 Minuten" und "Spielverlagerung". Er ist Besitzer der UEFA-B-Lizenz und co-trainierte den FCM Traiskirchen zusammen mit Chefcoach Oliver Lederer. Während der WM 2018 arbeitete er gemeinsam mit Maximilian Senft als Taktik-Analyst für den ORF. Derzeit ist Akhondi Experte und Co-Kommentator bei Laola1, wo er die "LigaZwa" kommentiert. Zusätzlich arbeitete er als externer Spielanalyst für die Admira und den LASK, war Gast bei "Sport & Talk aus dem Hangar-7" und hat als Vortragender bei der Trainerausbildung des ÖFB agiert. Von Beruf ist er eigentlich Zahnarzt und arbeitet derzeit als Research Fellow an der Harvard School of Dental Medicine in Boston.

Die EURO 2024 bei Servus TV und im ORF sowie auch in den Livestreams auf JOYN.

Zusammenfassung
  • Österreich verlor das Auftaktspiel der Europameisterschaft gegen Frankreich mit 0:1.
  • Der renommierte Taktik-Experte Samuel Akhondi analysiert exklusiv für PULS 24, warum es für die Mannschaft von ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick nicht für einen Punkt reichte.
  • Trotz 52 Prozent Ballbesitz konnte Österreich kaum Chancen kreieren und kam auf nur 0,8 Expected Goals.
  • Florian Grillitsch wurde überraschend in die Startelf berufen, blieb aber blass und wurde nach einer Stunde ausgewechselt.
  • Das flexible Pressing des ÖFB-Teams war effektiv, aber es fehlte an Umschaltmomenten und Kaltschnäuzigkeit im Abschluss.
  • Phillipp Mwene zeigte Schwächen als linker Außenverteidiger, was den Spielaufbau über links erschwerte.