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Ausbeutung, Gewalt, Tod - Das Leid der Arbeitsmigranten in Katar

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Die Fußball-WM findet heuer in einem Land statt, das von Menschenrechtsorganisationen wiederholt kritisiert wurde. Eine zumindest theoretisch abgeschaffte Regelung begünstigt die brutale Ausbeutung von Arbeitsmigrant:innen.

Millionen von Männern und Frauen sind nach Katar gekommen - in der Hoffnung nach einer besseren Zukunft. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International arbeiten 2,3 Millionen Migrant:innen in dem Gastgeber-Land der Fußball-WM 2022. Sie machen 95 Prozent der Arbeitskräfte des Landes aus - rund 20.000 sollen auf den WM-Baustellen arbeiten. Weitere 173.000 Personen sind als Hauspersonal angestellt.

Doch von fairen Arbeitsbedingungen für diese meist aus Afrika und Asien stammenden Hilfskräfte kann nicht die Rede sein.

Arbeiten bis zur völligen Erschöpfung

In zahlreichen Recherchen hat Amnesty International die Ausbeutung von Arbeitsmigrant:innen in Katar aufgezeigt. So sollen diese gezwungen werden, bis zur völligen Erschöpfung zu arbeiten - die Maximalarbeitszeit wird oftmals nicht eingehalten. Gehälter werden zum Teil nicht ausbezahlt, Arbeitgebende üben ein "übermäßiges Maß an Kontrolle über die Arbeitsmigrant:innen und ihren rechtlichen Status" aus. Und da es diesen nicht erlaubt ist, Gewerkschaften beizutreten, können sie nicht einmal für ihre Rechte kämpfen.

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Das Kafala-System

Diese Kontrollausübung ist möglich durch das sogenannte Kafala-System: Als ausländische Arbeitskraft benötigte man bis vor kurzem die Bürgschaft eines Einheimischen, in der Regel war das der Arbeitgeber. Dies führt dazu, dass Arbeitsmigrant:innen nur mit der Einverständnis ihrer Arbeitgeber den Job wechseln oder das Land verlassen dürfen. Durch diese Abhängigkeit sind sie Ausbeutung, Missbrauch und Misshandlung nahezu wehrlos ausgesetzt.

Obwohl die Kafala-Regelung im Jahr 2020 in Katar gesetzlich abgeschafft wurde, wird sie laut Amnesty International in der Praxis weiterhin angewandt. Die Abschaffung soll sogar zunehmend wieder in Frage gestellt werden.

"Warum willst du dich ausruhen?"

"In Katar herrscht nach wie vor ein System vor, das es Arbeitgeber:innen erlaubt, Hausangestellte nicht als Menschen, sondern als Besitz zu behandeln", so Amnesty International in einem Bericht. Hausangestellte werden demnach angeschrien, beleidigt, angespuckt, geschlagen und erniedrigt. Gegenüber der Menschenrechtsorganisation sollen Betroffene erzählt haben, sie würden 16 Stunden pro Tag arbeiten und seien "bösartigen Beleidigungen und Übergriffen" ausgesetzt.

Von den 105 kontaktierten Frauen, haben 89 angegeben, sie hätten keinen wöchentlichen freien Tag - die meisten berichteten davon, sie hätten noch nie einen gehabt. "Warum willst du dich ausruhen? Wenn du zurück in deinem Land bist, kannst du dich ausruhen", habe eine Arbeiterin zu hören bekommen.

Sexuelle Gewalt

Einige Frauen gaben an, von ihren Arbeitgebern oder deren Bekannten sexuell missbraucht worden zu sein. Der sexuelle Missbrauch reiche "von Belästigung über Berührungen bis hin zu Vergewaltigung". Aus Angst vor "Vergeltungsmaßnahmen seitens der Arbeitgeber und des Systems" hatten alle betroffenen Frauen das Gefühl, sie könnten sich nicht bei der Polizei beschweren. 

Tausende ungeklärte Todesfälle

Nicht nur von Ausbeutung und Missbrauch wird berichtet - im Verlauf der vergangenen Jahre seit der WM-Vergabe im Dezember 2010 wurden Tausende tote Arbeiter in Katar medial kolportiert. So berichtete der "Guardian" im Februar 2021 von 6.500 verstorbenen Menschen aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka innerhalb von zehn Jahren.

Laut Amnesty International gebe es eindeutige Beweise dafür, dass "Hitzestress" ein großes Gesundheitsrisiko für die Arbeiter:innen darstellt. Außerdem habe eine von Experten begutachtete Studie darauf hingedeutet, dass Hunderte Tode durch angemessene Schutzmaßnahmen hätten verhindert werden können.

Die Menschenrechtsorganisation forderte bereits 2021 die Untersuchung der Todesfälle. Denn: Wenn die Arbeiter gefährlichen Bedingungen wie extremer Hitze ausgesetzt waren und keine andere Todesursache festgestellt werden kann, müsste Katar "den Familien eine angemessene Entschädigung zukommen lassen und unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um den Schutz für andere Arbeiter zu verbessern".

Die Behörden des Golfemirats hätten es versäumt, zahlreiche Fälle der vergangenen zehn Jahre aufzuklären, hieß es in einem im August 2021 veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation. Dem Amnesty-Bericht zufolge stellten die Behörden in Katar routinemäßig Totenscheine aus, ohne die Verstorbenen angemessen zu untersuchen. Stattdessen seien die Todesfälle auf "natürliche Ursachen" oder vage definierte "Herzfehler" zurückgeführt worden.

"Im Grunde stirbt am Ende jeder an Atem- oder Herzversagen, und die Formulierungen sind ohne eine Erklärung des Grundes dafür bedeutungslos."

-Dr. David Bailey, führender Pathologe und Mitglied der WHO-Arbeitsgruppe

Laut Steve Cockburn, Leiter des Bereichs wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International, werfe es ernste Fragen über die Arbeitsbedingungen in Katar auf, wenn "relativ junge und gesunde Männer nach langen Arbeitsstunden in extremer Hitze plötzlich sterben". "Den Tod von Arbeitsmigranten nicht zu untersuchen und zu verhindern, ist ein Verstoß gegen die Verpflichtung Katars, das Recht auf Leben zu wahren und zu schützen", so Cockburn.

Katar: Sterberate liegt in erwartendem Bereich

Katars Regierung argumentiert, die Sterberate liege angesichts von mehr als 1,4 Millionen Menschen aus der Region im Land im zu erwartenden Bereich. Es wurden mehrere Reformen eingeleitet, um die Lage ausländischer Arbeiter zu verbessern. Amnesty kritisiert die Umsetzung der Reformen jedoch als "unzureichend". Ausbeutung sei weiterhin an der Tagesordnung.

Forderungen nach einem Entschädigungsfonds für auf den Baustellen für die Fußball-WM getötete oder verletzte Arbeiter hat Katar kürzlich zurückgewiesen.

ribbon Zusammenfassung
  • Ausbeutung, Gewalt, unerklärliche Tode - die diesjährige Fußball-WM findet in einem Land statt, dass schon abermals von NGOs wegen seiner Menschenrechtsverletzungen kritisiert wurde.
  • Und während die FIFA Profite erzielt, nimmt das Leiden der Arbeitsmigrant:innen zu.

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