Terrorprozess
Millionen-Sammlung für IS in Wien: Angeklagter teilgeständig
Mit dem Geld wurden der Anklageschrift zufolge in Syrien und im Irak tätige bzw. inhaftierte Kämpfer sowie deren Angehörige unterstützt bzw. internierte IS-Anhängerinnen freigekauft.
Der Prozess wird am 3. September fortgesetzt.
Anklage: "Horrende Summen" für den IS gesammelt
Yusup M., der sich seit 2015 in Österreich aufhält und bis zu seiner Festnahme am 25. Juli 2024 eigenen Angaben zufolge als Lieferant gearbeitet hatte, soll sich seit 2018 zunächst als Einzelperson als eifriger Spenden-Sammler für den IS betätigt haben.
2022 schloss er sich dann einer Gruppierung namens "Jamaat" an, der neben ihm tschetschenischstämmige Männer in Belgien, Deutschland und der Türkei angehörten. Unter dem Pseudonym Abu Ashab soll der 33-Jährige in führender Funktion mit zuletzt hochprofessionellen Online-Auftritten "horrende Summen" zusammengetragen haben, heißt es wörtlich in der Anklageschrift.
Es gab mehrere Spendenkanäle, wobei laut Anklage über einen einzigen insgesamt 73,5 Mio. US-Dollar (62,77 Mio. Euro) in die Kassa gespült wurden. Über einen zweiten seien mehrere 100.000 US-Dollar zusammengekommen. Der Angeklagte selbst habe allein weitere zwei bis drei Millionen überwiesen, meinte der Staatsanwalt eingangs der Verhandlung.
Er bezeichnete den Angeklagten als Finanzchef der Gruppierung, deren System "perfekt funktioniert hat, wie man leider sagen muss. Wir haben hier immense Dimensionen, die man sonst europaweit nicht findet."
Er habe 300.000 bis 400.000 US-Dollar überwiesen, "das ist korrekt nach meinen Berechnungen", meinte der Angeklagte zum Umfang der Spenden-Transfers. Was "die anderen" ausgegeben hätten "für andere Projekte, das kann ich nicht sagen.
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Die in der Anklage genannten 73,5 Millionen US-Dollar würden "gänzlich nicht stimmen. Um so viel Geld kann man das ganze Lager freikaufen". Womöglich läge den Berechnungen der Anklagebehörde "ein technischer Fehler" zugrunde, vermutete Yusup M.
Angeklagter: "Habe den Bogen überspannt"
Auf Vorhalt eines Chats, in dem er damit geprahlt hatte, ganz allein drei bis vier Millionen US-Dollar eingesammelt zu haben, meinte der 33-Jährige, er habe "übertrieben" und sich als "Superhelfer" ausgeben wollen: "Ich habe den Bogen überspannt. So viel war es nicht."
In der "Jamaat" sei er intern "aufgrund meines Alters und meiner Erfahrung auf dem letzten oder vorletzten Platz" gewesen, behauptete der Yusup M. Er habe Anweisungen befolgen müssen.
Dass er sich der Finanzierung von Waffen nicht widersetzt hätte, sei "ein Fehler" gewesen. Er habe grundsätzlich nur humanitäre Hilfe leisten wollen: "Ich habe selber ein krankes Kind. Ich kann daran nicht vorbeigehen."
"Wir waren ein Wohltätigkeitsfonds", gab der 33-Jährige zu Protokoll. Und weiter: "Wir haben uns konzentriert auf Witwen und Waisen." Ursprünglich sei es um in Lagern in Syrien und im Irak internierte Frauen von IS-Kämpfern und deren Kinder gegangen: "Aber die anderen haben dann andere Ideen gehabt."
Er habe innerhalb der Gruppe Abstimmungen, mit denen die Unterstützung von IS-Kämpfern befürwortet wurde, mitgetragen: "Ich habe mitmachen müssen. Ich war vor kurzem beigetreten, ich wusste nicht, was zu tun ist."
Staatsanwalt ortete "ganz hohe Gefahr für Europa"
"Wir reden von einer ganz, ganz hohen Gefahr für Europa", betonte der Staatsanwalt eindringlich. Die Länder übergreifend agierende Gruppierung habe "gezielte IS-Unterstützung" betrieben und etwa um zehntausende Euro Waffen für sogenannte Foreign Fighters - in Syrien kämpfende Tschetschenen - finanziert.
Im "Nahebereich" von "Jamaat" habe man außerdem "Sprengstoffe gefunden", führte der Staatsanwalt weiters aus. Eines der Mitglieder, das sich in Belgien in Haft befindet, habe Bestandteile von Triacetontriperoxid (TATP) kaufen wollen - der vergleichsweise leicht herstellbare, hoch explosive Sprengstoff wurde zuletzt wiederholt für terroristisch motivierte Sprengstoffanschläge verwendet.
Der Staatsanwalt bekräftigte die dominierende Rolle des Angeklagten. Sehr stark eingesetzt haben soll sich Yusup M. etwa für den in Syrien kämpfenden Magomed I. alias Abu Ali, der es bis zum IS-Kommandanten brachte. Er wurde für derart gefährlich gehalten, dass sogar amerikanische und britische Spezialkräfte aktiv nach ihm fahndeten und dabei Drohnen einsetzten.
Auf Hinweise zu seiner Ergreifung war sogar ein Kopfgeld ausgelobt worden. "Im Sommer 2024 wurde er wahrscheinlich liquidiert", führte der Staatsanwalt zu Abu Ali aus.
"Schick ihnen Moneten für circa 3 Gewehre/Waffen"
Auch weiteren IS-Kämpfern tschetschenischer Abstammung griff der 33-Jährige laut Anklage unter die Arme. "Schick ihnen Moneten für circa 3 Gewehre/Waffen", lautete etwa eine knappe Anweisung des 33-Jährigen. Ein Gesprächspartner hatte zuvor per Chat schwadroniert, bald würden "schwarze Fahnen (gemeint: jene des IS, Anm.) über Istanbul wehen".
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"Ursprünglich wollte er Geld für Essen haben", meinte der Angeklagte, als ihm besagter Chat vorgelegt wurde. Es habe sich um ein "Missverständnis" gehandelt.
7.000 US-Dollar für Freikauf von junger Wienerin
Eines der von "Jamaat" betriebenen sogenannten Projekte war der Freikauf einer jungen Wienerin, die 2014 als 19-Jährige über Istanbul nach Syrien gereist war, sich dort dem IS angeschlossen hatte und nach der militärischen Niederlage des IS im Lager al-Haul (al-Hol) interniert war. Um sie im Sommer 2022 freizukaufen, wurden 7.000 US-Dollar (5.985 Euro) aufgebracht.
Verteidiger Florian Kreiner unterstrich mehrfach, dem Angeklagten sei es um humanitäre Hilfe für in den syrisch-kurdischen IS-Gefangenencamps al-Haul und Roj inhaftierte Frauen und deren Kinder gegangen.
Zahlungen über Krypto-Wallets abgewickelt
Der 33-Jährige übte aus der Sicht des Staatsanwalts weitreichende Anordnungsbefugnisse gegenüber den anderen "Jamaat"-Mitgliedern aus und war alleinverantwortlich für die Finanzverwaltung sowie die Gebarung der Gemeinschaftskasse zuständig.
Hatte sich die Gruppierung auf ein konkretes Projekt geeinigt - etwa den Freikauf eines inhaftierten IS-Kämpfers -, wurde die dafür benötigte Summe anfangs noch regelmäßig mittels Bargeld-Transports über die Türkei nach Syrien oder in den Irak geschafft. Später bediente man sich Krypto-Währungen und wickelte die Zahlungsflüsse über Krypto-Wallets ab.
Belastet wird Yusup M. vor allem von Chats, die von den Strafverfolgungsbehörden sichergestellt, ausgelesen und ausgewertet werden konnten.
"Bruder, es werden lediglich Fotos von Kindern ohne Mütter gemacht, und zwar weil man Überschneidungen und Doppelspenden haben möchte. Ohne Zelte! Nur Fotos mit Kindern und Geld(scheine)!", erteilte er etwa konkrete Anweisungen zur Gestaltung von Fotos aus Lagern mit internierten IS-Anhängerinnen und deren Kindern.
Die Verhandlung fand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Zahlreiche vermummte und schwer bewaffnete Kräfte der Einsatzgruppe Justizwache sowie Polizeibeamte waren im und vor allem vor dem Saal postiert. Im Saal selbst galt ein absolutes Fotografier-und Filmverbot.
Im Fall eines anklagekonformen Schuldspruchs droht Yusup M. eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren.
Video: Wachsende IS-Gefahr bei Jugendlichen
Zusammenfassung
- Ein 33-jähriger Tschetschene steht in Wien vor Gericht, weil er laut Anklage Millionenbeträge für die Terror-Miliz IS gesammelt und weitergeleitet haben soll.
- Über einen der Spendenkanäle sollen insgesamt 73,5 Millionen US-Dollar (62,77 Mio. Euro) zusammengekommen sein, wobei der Angeklagte diese Summe bestreitet und von 300.000 bis 400.000 US-Dollar eigener Überweisungen spricht.
- Die Gruppierung 'Jamaat', der der Angeklagte seit 2022 angehört, agierte international und nutzte Krypto-Wallets zur Abwicklung der Geldtransfers.
- Mit den gesammelten Geldern wurden laut Anklage auch Waffen für IS-Kämpfer und Sprengstoffe finanziert, was der Staatsanwalt als hohe Gefahr für Europa bezeichnete.
- Ein konkretes Projekt war der Freikauf einer jungen Wienerin aus einem IS-Lager im Jahr 2022, wofür 7.000 US-Dollar (5.985 Euro) gezahlt wurden.