Interview

Segenreich: Endgültige Kapitulation der Hamas "sehr fraglich"

Heute, 10:41 · Lesedauer 3 min

Israel wolle über längere Zeit einen großen Teil des Gazastreifens militärisch kontrollieren, meint Nahost-Experte Ben Segenreich. Das Ergebnis davon könnte eine weitere Schwächung der Hamas sein. Eine endgültige Kapitulation der Terrororganisation sei jedoch "sehr fraglich".

Israel strebt nach den Worten von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die vollständige Kontrolle des Gazastreifens an. Damit solle verhindert werden, dass die militant-islamistische Palästinenserorganisation Hamas Hilfsgüter plündere, sagt Netanyahu am Montag. Weitere Details dazu nannte er zunächst nicht.

Die Andeutung einer dauerhaften Besetzung rief international massive Kritik hervor.

Vollständige Kontrolle über Gaza?

In Israel sehe man diese Ankündigung als "Fortsetzung des bisherigen Krieges", meint Israel-Korrespondent und Nahost-Experte Ben Segenreich im PULS 24-Interview. In den vorherigen Wochen sehe man eine Verstärkung und Ausweitung der israelischen Militäroperation.

Der Grundgedanke sei gewesen, eine "Drohung gegen die Hamas aufzustellen, die Schrauben immer fester ziehen" und im besten Fall eine Kapitulation der Hamas. 

Es handle sich bei der angekündigten Besetzung des Gazastreifens nicht um ein "permanentes Dortbleiben oder gar das ganze Territorium einnehmen und dort Siedlungen bauen und die palästinensische Bevölkerung vertreiben", meint Segenreich. "Das sind vielleicht Fantasien von irgendwelchen Rechtsextremisten in Israel."

Die Frage der Angemessenheit

Das sei aber nicht das Programm der israelischen Regierung. Es gehe darum, "für längere Zeit einen großen Teil des Gazastreifens militärisch zu kontrollieren. Die Zivilbevölkerung im Gazastreifen müsste dafür wegbewegt werden, was für sie "großes weiteres Leid darstellt" - das sei aber aus israelischer Sicht zum Schutz dieser Bevölkerung. 

Das Ziel Israels - der Sieg über die Hamas - sei völkerrechtlich gerechtfertigt. "Über die Angemessenheit kann man immer Fragen stellen", so Segenreich. 

Kapitulation der Hamas: "Großes Fragezeichen"

Ein solcher vollständiger Sieg Israels mit der Kapitulation der Hamas sei aber laut Segenreich "sehr sehr fraglich". "Solange die Hamas noch Geiseln hat, hat sie ein sehr starkes Instrument in der Hand", erklärt der Nahost-Experte. Es bestehe auch "großer Zweifel", dass die Hamas jemals bereit wäre, alle Geiseln freizulassen. Diese seien nämlich "ihr wichtigstes Schutzschild".

Die Hamas sei schon bereit, die Verwaltung des Gazastreifens aufzugeben. Die Terrororganisation sei aber nicht bereit, die Waffen niederzulegen, "weil sie sagt, sie brauchen die Waffen weiterhin, um den Krieg gegen Israel fortzusetzen", so Segenreich.

Das Ergebnis von Israels derzeitiger Militäroperation könnte eine weitere Schwächung der Hamas sein. Aber eine endgültige Kapitulation der Hamas? "Großes Fragezeichen", schätzt Segenreich ein. 

Kritik an Netanyahu 

Trotzdem steigt die Kritik an der israelischen Regierung - auch in Israel, wie Segenreich meint. 

"Gerade in Israel gibt es sehr viel Kritik an der Politik und an dem militärischen Vorgehen der Regierung Netanyahu. Und viele werfen ihm vor, auch im breiten Publikum, natürlich in der Opposition, dass er damit parteipolitische Zwecke verfolgt. Weil er seine Koalition ja nur beisammen halten kann, solange der Krieg gegen die Hamas fortgeführt werde", erklärt Segenreich.

Dass Netanyahu sowohl das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza, aber auch das der israelischen Geiseln in Kauf nimmt, um sich selbst an der Macht zu halten, sei ein "massiver Vorwurf". Dieser könne derzeit nicht bestätigt werden.

Zusammenfassung
  • Israel wolle über längere Zeit einen großen Teil des Gazastreifens militärisch kontrollieren, meint Nahost-Experte Ben Segenreich.
  • Das Ergebnis davon könnte eine weitere Schwächung der Hamas sein.
  • Eine endgültige Kapitulation der Terrororganisation sei jedoch "sehr fraglich".