Bijan MoiniGFF

Jurist Moini im Interview

AfD verbieten? "Zum Schutz der Demokratie legitim"

Heute, 14:20 · Lesedauer 7 min

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erstellt ein Gutachten, das klären soll, ob ein Verbotsverfahren gegen die deutsche FPÖ-Schwesterpartei AfD Chancen hätte. Jurist und Autor Bijan Moini leitet das Projekt. Im PULS 24 Interview erklärt er, wie er dabei vorgeht und welche Risiken ein Verbotsverfahren birgt.

PULS 24: Herr Moini, die AfD wurde kürzlich vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft, wogegen die Partei klagt. Seitdem debattiert die Politik wieder über ein mögliches Verbotsverfahren gegen die Partei, Tausende gingen dafür am vergangenen Wochenende auf die Straßen. Die AfD wurde aber von rund 20 Prozent der Deutschen gewählt. Ist es nicht demokratiepolitisch bedenklich, deren Partei, deren gewählte Vertretung, zu verbieten?

Moini: Natürlich wäre das ein krasser demokratischer Einschnitt, keine Frage. Deshalb sollte man diese Entscheidung auch nicht leichtfertig fällen, selbst wenn die Voraussetzungen vorliegen.

Aber: Demokratie ist eben mehr als nur, dass das Wahlvolk oder Wählerstimmen zur Geltung kommen. Eine moderne Demokratie besteht auch aus dem funktionierenden Rechtsstaat, der Menschenwürde und ganz zentralen Grundrechten. Wenn eine existenzielle Gefahr besteht für eines dieser Elemente, kann man nicht einfach sagen: 'Ja, aber die sind ja gewählt worden'. Denn das wurde die NSDAP auch, was bekanntermaßen in einer Katastrophe mündete. 

Man kann nicht einfach sagen: 'Ja, aber die sind ja gewählt worden'. Denn das wurde die NSDAP auch, was bekanntermaßen in einer Katastrophe mündete. 

Bijan Moini

PULS 24: Ob die Voraussetzungen für ein etwaiges Verbotsverfahren vorliegen, das wollen Sie in einem Gutachten feststellen. In der Union, aber nicht nur, gibt man sich bei dieser Frage zurückhaltend. Wie gehen Sie dabei jetzt vor?

Moini: Die Frage, ob eine Partei verfassungswidrig ist oder nicht, ist ziemlich komplex - gerade bei einer Partei von der Größe der AfD. Das heißt, es geht erst mal darum, sehr viele Daten zu sammeln: Aussagen, Anträge der Partei in den Parlamenten, herauszufinden, was sie eigentlich vorhat, welche Einstellungen verbreitet sind. All das ist dann im zweiten Schritt juristisch zu bewerten - anhand dem Prüfprogramm, das das Bundesverfassungsgericht in seinen NPD-Entscheidungen, insbesondere in seinem Urteil von 2017, formuliert hat.

PULS 24: Jetzt ist AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft worden – wobei die Partei dagegen klagt und sie bis dahin vom Verfassungsschutz nicht so bezeichnet wird. Was muss eine Partei denn erfüllen, damit sie verboten werden kann?

Moini: Wie genau der Verfassungsschutz diese Einstufung begründet, wissen wir nicht, weil das Gutachten nicht öffentlich ist. Die Kriterien für eine Einstufung als gesichert rechtsextrem sind aber auch nicht identisch mit der Frage, ob eine Partei verfassungswidrig ist. Das ergibt sich insbesondere aus der Bedeutung der Verfassungswidrigkeit, die in einem Verbot münden kann: Sie muss besonders gut belegt sein. 

PULS 24: Wie lange dauert es noch, bis wir Klarheit über all diese Fragen haben?

Moini: Die Frage nach der Einstufung als rechtsextrem, die jetzt vor den Gerichten verhandelt wird, wird sicher erst in zwei Jahren geklärt sein, vielleicht dauert es länger. 

Was unsere Arbeit angeht: Wir haben vor, in den nächsten zwölf Monaten unser Gutachten fertig zu haben und zu veröffentlichen und haben die Hoffnung, dass das die ganze Debatte um ein Parteiverbot noch mal auf ein höheres Niveau hievt.

Ein Verbotsverfahren würde dann, wenn überhaupt ein Antrag gestellt wird (das können nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung, Amm), ebenfalls einige Jahre dauern. Und auch den Antrag zu formulieren, dauert einige Zeit.

Die Partei ist sehr groß und ist gerade auch in einzelnen ostdeutschen Bundesländern wirklich nicht weit von der Macht entfernt.

Bijan Moini

PULS 24: Sie haben das NPD-Verbotsverfahren bereits angesprochen. Nicht einmal diese rechtsextreme Partei wurde verboten. Wie hoch schätzen Sie dann die Chancen bei der AfD ein?

Moini: Der einzige Grund, weshalb die NPD 2017 nicht verboten wurde, war ihre geringe Bedeutung. Das Gericht hat gesagt, ein Verbot ist nicht verhältnismäßig, wenn eine Partei keine realistische Chance hat, ihre Ziele, ihre Pläne, durchzusetzen. Und gerade dieser Punkt ist nun bei der AfD wirklich gar kein Problem. Die Partei ist sehr groß, ist gerade auch in einzelnen ostdeutschen Bundesländern wirklich nicht weit von der Macht entfernt.

Die entscheidende Frage ist aber, ob die AfD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt bzw. ob ihr das nachweisbar ist oder nicht.

PULS 24: Ist ein Verbot aus Ihrer Sicht überhaupt das richtige Mittel gegen populistische oder extremistische Parteien?

Moini: Gegen rechtspopulistische sicher nicht. Da kann man und muss unterscheiden zwischen den rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Parteien. Auch gegen extremistische Parteien ist der politische Widerstand und Kampf gegen extremistische Positionen immer vorzuziehen.

Aber wenn eine Demokratie sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht anders behelfen kann, sich vor ihrer eigenen, zumindest teilweisen, Abschaffung zu schützen, dann halte ich Verbote auch für legitim.

PULS 24: Sollte die AfD verboten werden, können die Mitglieder dann nicht einfach eine neue Partei gründen?

Moini: Die Gründung einer Ersatzorganisation wäre dann verboten und würde bestraft werden. Sie können natürlich trotzdem eine neue Partei gründen, die aber dann auch dezidiert anders ausgerichtet sein müsste. Und wenn sie genau aus denselben Personen besteht, wie die verbotene Partei, dann ist das schwer darzulegen. Es müsste sicher auch programmatische Änderungen geben, dann wäre eine neue Partei möglich. Was den Mitgliedern auf jeden Fall offensteht: Sich anderen, schon bestehenden Parteien anzuschließen.

PULS 24: Aber wäre ein Verbot dann nicht sinnlos?

Moini: Wenn man sich vorstellt, dass durch ein Verbot die gesamte Parteiorganisation wegfällt, das Vermögen eingezogen wird, die gesamte Finanzierung, die Strukturen, die Parlamentsmandate wegfallen, dann ist das schon sehr, sehr einschneidend und eben auch ein effektives Mittel, um eine verfassungsfeindliche Partei von der Macht fernzuhalten, zumindest für eine gewisse Zeit.

Natürlich ist es aber kein nachhaltiges Instrument. Es ist ein letztes Mittel, die Ultima Ratio, das auch nur unter sehr hohen Voraussetzungen eingesetzt werden kann. Dann ist es aber auch effektiv, um extremistische Politik zu verhindern, zumindest auf Sicht.

PULS 24: Das Gedankengut bleibt aber auf jeden Fall …

Moini: Das ist richtig. Man kann und will Gedankengut auch überhaupt nicht verbieten.

Aber ich bezweifle auch, dass es gar keinen Einfluss hätte auf das Gedankengut der Deutschen, wenn die AfD nicht mehr existierte. Denn umgekehrt hat sie ganz sicher dieses Gedankengut in den vergangenen zehn Jahren mitgeprägt.

Aber um die Einstellungen geht es bei einem Parteiverbot nicht. Das hat wirklich nur die Funktion, eine mutmaßlich verfassungsfeindliche Regierungspolitik zu verhindern.

Man sollte einen solchen Antrag nur stellen, wenn man wirklich überzeugt von der Verfassungswidrigkeit der AfD ist. 

Bijan Moini

PULS 24: Haben Sie nicht die Befürchtung, dass sich die AfD-Wähler:innen bei einem etwaigen Verbot erst recht radikalisieren könnten?

Moini: Das würde wahrscheinlich auf einen gewissen Teil der Anhängerschaft zutreffen. Das ist auf jeden Fall ein Risiko. Aber wenn die Voraussetzungen für ein Parteiverbot vorliegen sollten, müsste man das abwägen mit der Gefahr, die in diesem Fall von der AfD ausginge.

PULS 24: Und wenn ein etwaiges Verbotsverfahren eingeleitet wird, aber scheitert?

Moini: Das wäre aus meiner Sicht der schlimmstmögliche Fall. Weil dann wäre sehr viel demokratisches Porzellan zerschlagen worden - ohne hinreichenden Grund. Das gilt es aus meiner Sicht unbedingt zu verhindern. Und das tut man am besten, indem man einen solchen Antrag nur stellt, wenn man wirklich überzeugt von der Verfassungswidrigkeit der AfD ist. 

PULS 24: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben!

Zur Person: 

Bijan Moini (41) studierte Jus und Politikwissenschaften in München und Paris. Er arbeitete als Rechtsanwalt und ist seit 2017 beim "Verein Gesellschaft für Freiheitsrechte" (GFF) in Berlin, wo er das Legal Team leitet.

Nach eigenen Angaben will die GFF mit Gerichtsverfahren und juristischen Interventionen, "Demokratie und Zivilgesellschaft fördern, Überwachung und digitale Durchleuchtung begrenzen und für alle Menschen gleiche Rechte und soziale Teilhabe durchsetzen". 

Moini schreibt auch Bücher: 2019 erschien sein preisgekrönter Roman "Der Würfel", im Jahr darauf die Streitschrift "Rettet die Freiheit! Ein Weckruf im digitalen Zeitalter" und 2021 "Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt". 

Video: "AfD ein dunkler Schatten im Genick"

"Presse"-Deutschland-Korrespondent David Freudenthaler analysiert das deutsche Regierungsprogramm.

Zusammenfassung
  • Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erstellt ein Gutachten, das klären soll, ob ein Verbotsverfahren gegen die deutsche FPÖ-Schwesterpartei AfD Chancen hätte.
  • Jurist und Autor Bijan Moini leitet das Projekt. Im PULS 24 Interview erklärt er, wie er dabei vorgeht und welche Risiken ein Verbotsverfahren birgt.