Nach peinlicher Pleite
"Mit leichter Verspätung": Merz ist deutscher Kanzler
CDU-Chef Friedrich Merz ist im zweiten Anlauf zum Bundeskanzler gewählt worden. Der 69-Jährige erzielte am Dienstagnachmittag im Bundestag die Kanzlermehrheit von mehr als 316 Stimmen. Für ihn stimmten 325 Abgeordnete - die neue Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD verfügt aber über 328 Stimmen im Parlament.
Er erhielt damit dennoch neun mehr Stimmen als die nötige Mehrheit von 316. Merz nahm die Wahl an: "Ich bedanke mich für das Vertrauen, und ich nehme die Wahl an", sagte er auf eine entsprechende Frage von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner.
Merz und Steinmeier
Beim ersten Wahlgang am Vormittag verfehlte Merz zunächst überraschend die nötige Kanzlermehrheit. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316. Noch nie zuvor war nach einer Bundestagswahl ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert.
Jetzt steht dem Regierungswechsel auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition aber nichts mehr im Wege. Merz wurde im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die entsprechende Urkunde übergeben.
"Mit leichter Verspätung"
"Mit leichter Verspätung aber umso herzlicher mein Glückwunsch zur Wahl", sagte Steinmeier, als er Merz empfing. "Von mir aus gutes Gelingen für das, was vor Ihnen liegt", fügte er hinzu, bevor er wie vorgeschrieben den Text der Ernennungsurkunde verlas.
Der deutsche Bundespräsident hat zu Fairness im Umgang mit der neuen Bundesregierung und mit ihren Entscheidungen aufgerufen. Die Regierung übernehme politische Verantwortung in einer Zeit mit großen Herausforderungen, sagte er. "Es ist – ich sage das so klar – im Interesse unseres Landes, dass Sie Erfolg haben."
Anschließend fuhr Merz zurück in den Bundestag, wo er seinen Amtseid ablegte. Der CDU-Vorsitzende schwor unter anderem, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Er verwendete dabei die religiöse Zusatzformel "so wahr mir Gott helfe".
Zehn Männer und acht Frauen im Kabinett
Nach Kanzler Merz erhielten auch die 17 Ministerinnen und Minister seines Kabinetts von Bundespräsident Steinmeier ihre Ernennungsurkunden. Dem Kabinett gehören zehn Männer und acht Frauen an. CDU und SPD stellen jeweils sieben Minister und Ministerinnen, die CSU drei. Vizekanzler und damit zweitmächtigster Mann im Kabinett nach Merz ist der künftige Finanzminister Lars Klingbeil (SPD).
Die erste Kabinettssitzung unter Bundeskanzler Merz soll noch heute Abend stattfinden.
Die Erwartungen sind groß. Im Inland hoffen die Menschen vor allem auf die Ankurbelung der seit langem schwächelnden deutschen Wirtschaft. Im Ausland warten die europäischen Verbündeten seit dem radikalen Kurswechsel in der US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump darauf, dass Deutschland als wirtschaftsstärkstes und bevölkerungsreichstes EU-Land wieder voll handlungsfähig wird - gerade mit Blick auf die Bedrohung aus Russland und die Konkurrenz aus China.
Dobrindt will sofort Grenzkontrollen verschärfen
Besonders große Aufmerksamkeit wird in den ersten Tagen bekommen, was der designierte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) zur Eindämmung der irregulären Migration angekündigt hat. "Die ersten Entscheidungen werden nach Amtsantritt an diesem Mittwoch getroffen. Dazu werden die Grenzkontrollen hochgefahren und die Zurückweisungen gesteigert", hatte der CSU-Politiker der "Bild am Sonntag" gesagt.
Ebenfalls am Mittwoch will Merz seine ersten Antrittsbesuche in den Nachbarländern Frankreich und Polen absolvieren. Warschau ist alles andere als begeistert von den deutschen Plänen zur Kontrolle der Grenzen. Das dürfte Thema beim Treffen von Merz mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk sein. Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wird Merz vor allem darüber sprechen, wie die europäische Souveränität gestärkt werden kann.
Stocker gratulierte umgehend
Bundeskanzler Christian Stocker gratulierte Merz umgehend auf der Plattform "X". "Eine gemeinsame Grenze bedeutet auch gemeinsame Verantwortung - ich freue mich auf eine freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen uns und unseren Regierungen."
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gratulierte Merz zur Wahl zum Bundeskanzler. "Ich freue mich auf eine enge Zusammenarbeit", schrieb von der Leyen am Dienstag auf "Bluesky". "Wir werden uns gemeinsam für ein starkes und wettbewerbsfähigeres Europa einsetzen."
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wünscht sich von Merz Führungsstärke in Europa. "Wir hoffen aufrichtig, dass Deutschland noch stärker wird und wir noch mehr deutsche Führungsstärke in den europäischen und transatlantischen Beziehungen erleben werden", schrieb Selenskyj auf Deutsch.
Unterdessen sieht Moskau in den unerwarteten Schwierigkeiten bei der Kanzlerwahl ein grundsätzliches innenpolitisches Problem in Deutschland. "Man muss sich ehrlich fragen, wer Deutschland in wirtschaftlicher, politischer und humanitärer Hinsicht in seine jetzige Lage gebracht hat?", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Sie warf der politischen Führung in Berlin Klientelpolitik zum Schaden nationaler Interessen vor.
Video: CDU/CSU-SPD-Koalition steht
Zusammenfassung
- Historisch: CDU-Chef Friedrich Merz hat es am Dienstag erst nach einem zweiten Durchgang geschafft, sich im Bundestag zum Kanzler wählen zu lassen.
- Beim ersten Wahlgang am Vormittag verfehlte Merz die nötige Kanzlermehrheit. Noch nie zuvor war nach einer Bundestagswahl ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert.