"Neue Offensiven"
Ukraine: Russen rücken an einem Tag 10 Kilometer vor
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Dienstag, dass Russland neue Offensiven an drei Frontabschnitten vorbereite. Stoßrichtung solle unter anderem Saporischschja sein.
Er schloss zugleich aus, eigene Truppen aus der Region Donbass zurückzuziehen. "Der Donbass wäre für die Russen ein Sprungbrett für einen neuen, zukünftigen Angriff", sagte er vor Journalist:innen.
Schon die von Russland 2014 besetzte Halbinsel Krim sei "zu 100 Prozent" ein Sprungbrett für den Angriff auf die Südukraine gewesen. Zudem habe Russland in dem von Separatisten kontrollierten Donbass keine eigenen Kräfte eingesetzt, sondern Abtrünnige zur russischen Armee gemacht.
Jeder Rückzug ukrainischer Einheiten aus ihren Positionen im Donbass würde Moskau Vorbereitungen für einen neuen Angriff ermöglichen. Putin hätte dann in einigen Jahren den Weg frei in die Regionen Charkiw, Saporischschja und Dnipropetrowsk, so Selenskyj.
Wichtiger Korridor unter russischer Kontrolle?
Unterdessen geriet die Ukraine auch in Donezk weiter in Bedrängnis: Die russische Armee verzeichnet dort große Gebietsgewinne. In dem der Armee nahestehenden Online-Portal "DeepState" hieß es, russische Soldaten seien innerhalb eines Tages um etwa zehn Kilometer weiter nach Norden vorgerückt.
Eine von "DeepState" veröffentlichte Karte von der Front zeigt einen Korridor, der nun unter russischer Kontrolle ist und somit die Garnisonsstadt Dobropillja angreifbar macht.
Auch die umkämpfte und zerstörte Industriestadt Kostjantiniwka ist durch das russische Vorrücken bedroht. Die Stadt ist eines der letzten großen städtischen Gebiete in der Region Donezk, das noch unter der Kontrolle der Ukraine steht.
Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War erklärte, russische "Sabotage- und Aufklärungstrupps" seien in Gebiete in der Nähe von Dobropillja eingedrungen. Es sei jedoch noch zu früh, um die Tragweite des russischen Durchbruchs einzuschätzen.
Die ukrainische Armee selbst dementierte Berichte zu einem russischen Frontdurchbruch im Abschnitt bei den Städten Pokrowsk und Dobropillja. Das Durchsickern russischer Gruppen mit wenigen Soldaten bedeute noch nicht, dass sie diese Gebiete unter Kontrolle bringen würden, teilte die für den Frontabschnitt zuständige Armeegruppe "Dnipro" bei Telegram mit.
Die Situation bleibe schwierig, und die Kämpfe in dieser Region seien die intensivsten im Vergleich zu anderen Frontabschnitten, gestand man aber ein. Generell sei die Lage "schwierig und dynamisch", so die ukrainische Armee.
Ukraine schickt Verstärkung
Wegen durchgesickerter russischer Truppen bei Pokrowsk verlegte die ukrainische Armee weitere Truppen in die Region in der Ostukraine.
"Der Feind nutzt seinen zahlenmäßigen Vorteil und versucht, trotz erheblicher Verluste an Personal, in kleinen Gruppen durch die erste Linie unserer Stellungen vorzudringen", sagte Generalstabssprecher Andrij Kowalew den ukrainischen Medien. Daher seien zusätzliche Truppen freigestellt worden, um gegnerische Sabotagetrupps hinter den eigenen Linien aufzuspüren und zu vernichten.
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Im Verlauf des Tages habe die russische Armee 35 Versuche zum Durchbrechen der ukrainischen Verteidigungslinien bei Pokrowsk unternommen.
Vorher hatten bereits ukrainische Militärbeobachter von einem russischen Vorrücken um mehr als zehn Kilometer nordöstlich der von einer Einschließung bedrohten Stadt Pokrowsk berichtet. Mehrfach war in Berichten von Militärs bereits vom Vordringen von Kleingruppen russischer Soldaten nach Pokrowsk selbst die Rede.
Die Agglomeration der Städte Pokrowsk und Myrnohrad ist von drei Seiten durch russische Truppen eingeschlossen. Für den Nachschub ist nur noch ein etwa 15 Kilometer breiter Korridor verblieben. Die russische Armee versucht bereits seit Monaten, den Verkehrsknotenpunkt Pokrowsk zu erobern. Im Verlauf der Kämpfe ist die Stadt bereits weitgehend zerstört worden.
Gipfel von Trump und Putin am Freitag
Das Vorrücken der russischen Armee erfolgt kurz vor dem Treffen von US-Präsident Donald Trump und Kreml-Chef Wladimir Putin im US-Bundesstaat Alaska am Freitag zu Beratungen über den Ukraine-Krieg. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist nicht eingeladen. Gespräche über eine Waffenruhe in dem seit dreieinhalb Jahren andauernden russischen Angriffskrieg waren bisher gescheitert.
Moskau verlangt von Kiew, die vier von Russland teilweise besetzten ostukrainischen Regionen Saporischschja, Donezk, Luhansk und Cherson sowie die von Russland annektierte Halbinsel Krim vollständig abzutreten und zudem auf westliche Militärhilfe und einen NATO-Beitritt zu verzichten. Die Ukraine weist diese Forderungen als unannehmbar zurück.
Zusammenfassung
- Die russische Armee ist in der Ostukraine innerhalb eines Tages um etwa zehn Kilometer vorgerückt und bringt die ukrainische Verteidigungslinie stark unter Druck.
- Im Raum Pokrowsk und Myrnohrad ist die ukrainische Versorgung nur noch durch einen 15 Kilometer breiten Korridor möglich, da die Region von drei Seiten eingeschlossen ist.
- Die ukrainische Armee meldet 35 russische Durchbruchsversuche bei Pokrowsk an nur einem Tag und verstärkt ihre Truppen zur Bekämpfung russischer Sabotagetrupps.
- Wichtige Städte wie Dobropillja und Kostjantiniwka sind durch das russische Vorrücken akut bedroht, wobei Kiew einen vollständigen Frontdurchbruch dementiert.
- Das russische Vorrücken erfolgt wenige Tage vor dem Treffen zwischen Trump und Putin, während Moskau von Kiew die Abtretung mehrerer Regionen und den Verzicht auf NATO und westliche Hilfe fordert, was die Ukraine ablehnt.