Gesetzesentwurf
Kopftuchverbot: Kinderschutz oder doch Symbolpolitik?
Vor fünf Jahren hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein von der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) beschlossenes Kopftuchverbot an den Volksschulen gekippt.
Der VfGH sah damals einen Widerspruch zum Gebot der religiösen Neutralität des Staates. Jetzt folgt ein neuer Anlauf unter Türkis-Rot-Pink mit einer Änderung: Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres soll das Tragen des Kopftuchs sowohl in öffentlichen als auch in privaten Schulen verboten werden.
Über den Gesetzesentwurf zeigt sich besonders Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) optimistisch.
"Ja, bin zuversichtlich, dass dieser Gesetzesentwurf auch halten kann und wird", sagte sie Anfang der Woche. Bis Donnerstag läuft die Begutachtungsfrist für den Gesetzesentwurf, der bereits laut kritisiert wurde - unter anderem auch vom Justizministerium.
Symbolpolitik oder Kinderschutz?
Nötig wäre eine geschlechts- und religionsneutrale Formulierung, die nicht ausschließlich auf das islamische Kopftuch abzielt, betont das Justizministerium am Dienstag. "Ansonsten läuft der Entwurf wiederum Gefahr, am Gleichheitsgrundsatz des Art. 7 B-VG zu scheitern."
Ähnlich sieht es auch Berîvan Aslan, Landtagsabgeordnete der Grünen. "Wenn man nur eine bestimmte Religionsgemeinschaft sozusagen ins Visier nimmt, dann gewinnt die Symbolpolitik" statt dem "Kinderschutz", erklärt sie im PULS24-Interview. Für Aslan sei der Ansatz "ein bisschen problematisch".
Solch ein Schritt müsste "ernsthaft gedacht sein" und "nicht populistisch", so die Politikerin.
Video: Religiöse Symbole in Schulen "nicht mehr zeitgemäß"
Keine genauen Erhebungen, trotzdem Kopftuchverbot gefordert
Plakolm verteidigt das Verbot immer wieder mit dem Argument, dass das Kopftuch junge Mädchen daran hindere, in Gleichheit mit den Buben und in Selbstbestimmung aufzuwachsen. "Es ist definitiv kein harmloses Stück Stoff, sondern ein Symbol eben genau dieser Unterdrückung", so die Worte der Integrationsministerin.
Das Justizministerium bemängelt im Zusammenhang mit dem Kopftuchverbot, dass in der Wirkungsfolgenabschätzung keinerlei gesicherte Zahl der Betroffenen steht und dass es offenbar keine Konsultationen mit der betroffenen Gruppe von Kindern und Jugendlichen gegeben hat.
In einem ZIB 2-Interview im September betonte Plakolm, dass man sich in der Erarbeitung des Gesetzestextes " sehr intensiv mit Expertinnen und Experten" auseinandergesetzt hat. Demnach gehen Expert:innen davon aus, dass allein in Wien 12.000 minderjährige Mädchen ein Kopftuch tragen.
Wie viele davon nicht freiwillig ein Kopftuch tragen, sei laut Plakolm unklar, denn: "Dazu gibt es keine Erhebungen".
Kritik von IGGÖ und Amnesty International
Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) sieht das geplante Gesetz im "eklatanten Widerspruch" zu Religionsfreiheit, der Gleichbehandlung und des Elternrechts auf religiöse Erziehung".
Hier werde eine bestimmte Bevölkerungsgruppe diskriminiert, religiös bekleidete Schülerinnen würden aus dem regulären Unterricht faktisch ausgeschlossen oder in Konflikt mit ihrer religiösen Überzeugung gebracht.
Die Beurteilung, ob das Tragen eines Kopftuchs Ausdruck von "Ehre" oder "Zwang" sei, sei außerdem nicht mit der staatlichen Neutralität vereinbar.
NGOs wie Amnesty International (AI) oder die Bundesjugendvertretung (BJV) kritisieren auch die Annahme der Regierung, dass Mädchen jedenfalls zum Tragen des Kopftuchs gezwungen werden.
Muslimas werde jede Selbstbestimmung abgesprochen, so Amnesty International, und ein staatliches Kopftuchverbot könnte die ohnehin schon wachsende Islamfeindlichkeit in Österreich noch weiter befeuern. Eine solche Entwicklung gab es laut Gleichbehandlungsanwaltschaft bereits beim ersten Verbot 2019.
Psychologen und Pflichtschullehrer dafür
Die BJV ist zudem dagegen, Probleme wie die Radikalisierung junger Menschen durch Social Media auf das Symbol des Kopftuchs zu reduzieren. Stattdessen sollten Medienkompetenz und Präventionsarbeit gefördert werden, um das Selbstbewusstsein von Mädchen zu stärken und patriarchale Rollenmuster aufzulösen - und das nicht nur mit Fokus auf den Islam.
Positiv sieht man das geplante Verbot unterdessen im Berufsverband der Österreichischen Psycholog:innen (BÖP), es sei ein "Beitrag zu einer freien und selbstbestimmten Entwicklung".
Der Staat sei per Verfassung verpflichtet, Gleichberechtigung von Mann und Frau zu fördern und das Kindeswohl an vorderste Stelle zu setzen - und das könne in der Schule zu Spannungen religiös und kulturell motivierten Erziehungsrechten der Eltern führen.
Video: Protest gegen Kopftuchverbot: "Es ist ein Teil von mir"
Zusammenfassung
- Es ist wohl eines der am heftigsten diskutierten Themen der vergangenen Wochen: das Kopftuchverbot für unter 14-Jährige.
- Die Meinungen gehen auseinander. Kinderschutz oder doch Symbolpolitik?