FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl hat am Anfang März 2023 Viktor Orbán in Budapest getroffen.APA/FPÖ

Kickls Vorbild Orbán: "Das heißt nichts Gutes"

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FPÖ-Chef Kickl bezeichnete Viktor Orbáns Ungarn kürzlich als "Vorbild". Doch was würde das bedeuten? Wie hat der "Orbánismus" Ungarn verändert? Drei Expertinnen warnen.

Staatlich geförderte Wohnungen für heterosexuelle, christliche Eheleute mit vielen Kindern. Den Job über steuerfinanzierte Arbeitsbeschaffung bekommen. Im Fernsehen läuft Staats-TV und an der Wand hängt ein eingerahmtes, persönliches Schreiben von Viktor Orbán.

So beschreibt Melani Barlai ungarische Haushalte, die Viktor Orbán und seine nationalkonservative Fidesz groß gemacht haben und ihm wohl für immer treu bleiben werden.

Melani Barlai ist Politikwissenschaftlerin an der Andrássy Universität in Budapest und arbeitet bei Wahlen in Ungarn regelmäßig als Helferin. Sie fährt zu Personen, die nicht selbstständig ins Wahllokal kommen können, in Altenheime oder Spitäler. Und bekommt so tiefe Einblicke.

Melani BarlaiMelani Barlai / Andrássy Universität

Melani Barlai

Der Demokratie Ungarns, dem System, das Viktor Orbán geschaffen hat, stellt sie kein gutes Zeugnis aus. "Fest steht: Es ist ein System entstanden, das sich vom liberal-demokratischen Modell rasant wegbewegt", schreibt sie in ihrem kürzlich erschienenen Lehrbuch "Das politische System Ungarns", in dem der Frage nachgegangen wird, ob Ungarn nun schon eine Autokratie ist.

Betrug und Manipulation bei Wahlen

Im Gespräch mit PULS 24 spricht sie von Betrug und Manipulation bei Wahlen, von fiktiven Wohnadressen und von zugunsten von Fidesz verschobenen Wahlkreisgrenzen. Sie wisse von Fällen, in denen Bürgermeister Menschen "erpressen", für Fidesz zu stimmen. Arbeit wird oft auf lokaler Ebene vergeben und als Druckmittel benutzt. In Altersheimen werde Senioren gesagt, wo sie ihr Kreuz zu machen hätten. Viele Auslands-Ungarn dürfen nicht mehr abstimmen.

Fidesz wäre auch ohne diese Methoden erster, glaubt Barlai, "aber die Zwei-Drittel-Mehrheit hätten sie nicht". Jetzt "können sie machen, was sie wollen: Die Verfassung, die Gesetze ändern" – und das machen sie auch.

Kein gutes Zeugnis wird Ungarn in den meisten Rankings ausgestellt. Der Begriff "Orbánismus" steht mittlerweile für den Umbau einer Demokratie in ein autoritäres Regime

Dennoch ist Ungarn Vorbild der europäischen Rechten. Orbán sei "ein Vorbild für viele in Europa – für viele Bürger und für die Politiker, denen die Anliegen ihrer Bürger noch etwas bedeuten", sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Videobotschaft, die er zur "Conservative Political Action Conference" nach Budapest sandte.

Aber nicht nur die FPÖ, auch die ÖVP sucht immer wieder Kontakt zum ungarischen Premier und seiner Partei. Obwohl die Fidesz die gemeinsame Europäische Volkspartei (EVP) schon 2021 verlassen hat.

Nehammer bei Vucic und OrbanATTILA KISBENEDEK / AFP

Nehammer bei Orbán und Vučić

 

Bundeskanzler Karl Nehammer betont immer wieder die gute Zusammenarbeit in Sachen Migration. Dass Ungarn dabei wenig Wert auf Menschenrechte legt, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrmals verurteilt wurde, wird da gerne ausgespart. Im Gegenteil: Österreich bildet ungarische Polizisten aus und unterstützt an der Grenze.

Auch dass in Ungarn kaum Asylanträge gestellt werden – 45 waren es im Jahr 2022 - und viele Migranten über Ungarn nach Österreich kommen, scheint da plötzlich nicht mehr zu stören.

Aber was macht das System Orbán so attraktiv für Europas Rechte und Konservative? Was bedeutet es, sich Orbán als "Vorbild" zu nehmen?

Freie Medien "muss man suchen"

"Nichts Gutes", sagt Sonja Priebus, Politikwissenschaftlerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder im Gespräch mit PULS 24. Priebus ist in Ungarn aufgewachsen und forscht unter anderem zur Rechtsstaatlichkeits- und Demokratieentwicklung in Europa und dessen Schutz durch die EU.

Sonja PriebusSonja Priebus

Sonja Priebus

Orbán als "Vorbild" heißt "weitreichende Einschränkungen" von Medien- und Pressefreiheit, die "Neutralisierung" des Verfassungsgerichts, Einschränkungen bei der Versammlungsfreiheit und die "Diffamierung" der Opposition sowie die Durchsetzung eines rechtsnationalistischen Gesellschaftsbildes - ohne Duldung von Abweichungen, so Priebus. Und bei der Migrationspolitik würde es eine "Abschottung" Österreichs bedeuten.

Gergely zu Medienlage in Ungarn

 

 

Freie Medien "muss man suchen", sagt die Politikwissenschaftlerin. Korruption sei "nicht nur alltäglich", sondern "auf staatlicher Ebene verankert". Das System Orbán lebe von "Vetternwirtschaft". Ungarn sei nun nur noch eine elektorale Autokratie, in der es zwar Wahlen gibt, diese aber nicht fair und frei seien.  Es gebe "keinen echten Wettbewerb".

"Toxische Umgebung für Minderheiten"

LGBTI+-Personen werden "systematisch stigmatisiert" und auch andere Minderheiten immer wieder "gezielt" als Sündenböcke "herausgepickt". Seit 2021 ist jegliche öffentliche Aufklärung von Kindern verboten, Werbespots mit vermeintlich homosexuellen Inhalten sind untersagt. Es wurde laut Priebus eine "toxische Umgebung für Minderheiten" geschaffen.

Priebus, die noch Familie in Ungarn hat, berichtet von einem großen Teil der Gesellschaft, der immer unpolitischer werde oder eben mit der Existenzbedrohung zu kämpfen habe. Das habe mit der schwachen Opposition zu tun, die wiederum zerstritten ist, und mit Armut, mit der nicht wenige zu kämpfen hätten. Vor allem im Osten des Landes.

Orbán habe wirtschaftlich zwar "für bestimmte Gruppen" etwas weitergebracht, sagt die Ungarn-Expertin. Doch die Kluft zwischen Arm und Reich nehme zu. Steuerlich bevorzugt werden vor allem Familien mit vielen Kindern.

Für die explodierte Inflation macht sie die populistischen Preisdeckeln und die "Vetternwirtschaft" verantwortlich. So werden staatliche Aufträge an parteinahe Unternehmen vergeben – zu überhöhten Kosten. Das treibe dann alle Preise nach oben.

Was ist es aber dann, was Orbáns Anhänger im In- und Ausland so begeistert? Die Opposition kommt in den verbreiteten Medien kaum vor, das System sei "einbetoniert", sagen die Expertinnen.

Die EU habe zu lange zugeschaut. Selbst wenn Fidesz abgewählt werden würde, könne man das System kaum noch umbauen. Und Orbán schaffe es, für alle Missstände Schuldige zu finden – seien es die Sanktionen gegen Russland, die EU, der Währungsfonds oder George Soros, der in antisemitischer Manier für 'die Eliten' herhalten muss.

Parlamentarismus verkommt zum "Bühnenstück"

Orbán spreche mit seinem Nationalismus, seiner Xenophobie und seinem Auftreten als starker Mann, der auch die EU unter Druck setzen kann und mit Donald Trump einen Ex-US-Präsidenten an seiner Seite wisse, eine "emotionale Komponente" der Ungar:innen an, die wohl viel mit der Wende-Erfahrung zu tun hat.

"Es geht nicht um die Lebensrealität, es geht um die Selbstwahrnehmung", sagt Daniela Apaydin zu PULS 24. Sie promovierte in Geschichte an der Andrássy Universität in Budapest und forscht am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien.

Daniela ApaydinDaniela Apaydin

Daniela Apaydin

"Was die FPÖ mit 'Vorbild Orbán meint, haben wir im Ibiza-Video gesehen", sagt sie. Es gehe um die politische Kultur, wie man mit der Opposition umgehe, wie der Parlamentarismus zum "Bühnenstück" verkommt und darum, wie man mit Dauerwahlkampf Stimmung für sich macht. Ein Vorbild für Populisten also.

Die FPÖ habe mit Orbán zudem ideologische Überschneidungen: Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Familienpolitik. Es gehe den Blauen bei Auftritten mit Orbán aber auch darum, jede Bühne zu nutzen, sich bei Terminen mit Staatsoberhäuptern zu profilieren und sich als Regierungspartner ins Spiel zu bringen, sagt Apaydin.

Orbán wiederum sucht neue Verbündete, um seiner Isolation zu entkommen. Zuletzt wurde er wegen seiner positiven Haltung gegenüber Russland bei den Visegrád-Staaten immer unbeliebter. Deswegen "versammelt er nun alle Kräfte des Rechtspopulismus". Und stößt in Österreich auf offene Arme.

"Blockierer" als "Vorbild"?

 Dabei heißt es im Lehrbuch von Melani Barlai, der ungarischen Politikwissenschaftlerin und Wahlhelferin, dass Ungarn internationale Beziehungen und Außenpolitik nur "als pragmatisches Dealmaking" verstehe, bei den Russland-Sanktionen als "Blockierer" auftrete und selbst bei der Migration "sich allen Formen gemeinschaftlicher Lösungen" versperrt habe. Wirkliche Kooperation scheint mit dem "Vorbild", das laut Lehrbuch in den meisten Politikbereichen bereits autokratisch ist, kaum möglich zu sein.

ribbon Zusammenfassung
  • FPÖ-Chef Kickl bezeichnete Viktor Orbáns Ungarn kürzlich als "Vorbild".
  • Doch was würde das bedeuten? Wie hat der "Orbánismus" Ungarn verändert?
  • Drei Expertinnen warnen.