Grüne gegen ÖVP: Abschiebungen "kann und wird es nicht geben"

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In der türkis-grünen Koalition werden die Differenzen zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan weiter offen ausgetragen.

Die Grünen haben haben der ÖVP in Sachen Abschiebungen nach Afghanistan am Montag eine Absage erteilt. "Österreichs Anstrengungen im Rahmen der EU müssen sich auf die Hilfe in Afghanistan, für eine Versorgung der Geflüchteten in den Nachbarstaaten und die sofortige Evakuierung all jener, die um ihr Leben fürchten müssen, konzentrieren. Europa trägt hier klar Verantwortung, die akut von Taliban-Gruppen gefährdeten Menschen wie Frauen, Kinder und Menschenrechtsaktivist*innen unbürokratisch Zuflucht zu gewähren", heißt es in dem der APA übermittelten Statement der Grünen.

Grüne gegen Abschiebungen

Und weiter: "Dazu braucht es eine europaweite Initiative zur humanitären Aufnahme von Schutzsuchenden. Österreich muss die nötigen Ressourcen und Expertise zur Verfügung stellen und bereits laufende Familienzusammenführungen abschließen."

Die Grünen bekräftigen auch, Abschiebungen nach Afghanistan "kann und wird es nicht geben". Es sei sinnvoller, jetzt sofort das europarechtlich Mögliche zu tun "als auf nationaler Ebene wiederholt rechtlich unmögliches zu diskutieren. Wer die Menschenrechtskonvention in Frage stellt, stellt die Grundfesten unseres Europas in Frage", richten die Grünen ihrem Koalitionspartner aus.

ÖVP bleibt bei ihrer Linie

Am Wochenende bekräftigte Bundeskanzler Sebastian Kurz im "PULS 24 Sommergespräch" die Ablehnung der ÖVP zur zusätzlichen Aufnahme von Flüchtlingen. "Ich bin klar dagegen, dass wir jetzt freiwillig mehr Menschen aufnehmen – das wird’s unter meiner Kanzlerschaft auch nicht geben", sagte Kurz am Sonntag. Österreich habe "über 40.000 Afghanen aufgenommen" und damit einen "überproportional großen Beitrag geleistet", so die Linie des Kanzlers.

Es hat zwar etwas gedauert, bis sich der Kanzler selbst nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan auf PULS 24 zum ersten Mal dazu äußerte. Die ÖVP-Linie war aber schon zuvor klar: Vor allem von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) waren schon in den Tagen davor harte Worte in Richtung afghanischer Flüchtlinge und EU zu hören. Am Montag legte er im "Ö1-Morgenjournal" nochmals die Parteilinie dar: "Österreicher schiebt weiter Afghanen nach europäischem Recht ab", sagte der Innenminister. 

Kanzler Kurz in Sommergespräch gegen Aufnahme von Flüchtlingen

Allerdings ist das derzeit nach Afghanistan nicht möglich, der Innenminister meint also etwa Abschiebungen von Personen, die in anderen europäischen Ländern zuerst einen Asylantrag gestellt hatten. Zuletzt erfolgte etwa eine Rückführung nach Rumänien. Es gebe aber keinen generellen Abschiebestopp, sagte Nehammer. Man müsse schauen, wie sich die Lage in Afghanistan entwickle - aufgehoben sei nicht aufgeschoben, so Nehammer.

Der Innenminister übte erneut Kritik an der EU-Kommissarin Ylva Johansson, die zuletzt auch von sicheren Fluchtrouten sprach. Das sei laut Nehmmer ein falsches Signal, wodurch sich Menschen Richtung Europa auf den Weg machen würden. Auch die 400 Ortskräfte, die in Afghanistan für die EU gearbeitet haben oder vulnerable Personen, wie Journalisten oder Menschenrechtler könne man in den Nachbarländern unterbringen, so Nehammer.

Dazu soll es demnächst Gespräche mit den Nachbarstaaten Usbekistan und Tadschikistan geben. Die beiden Länder haben ihre Grenzen zu Afghanistan aber bereits geschlossen. Kurz und Nehammer forderten zuletzt auch, Afghanen in diese Länder abschieben zu können. Signale der Bereitschaft dazu habe Nehammer aus diesen Ländern noch nicht erhalten, sagte er gegenüber "Ö1". 

Der grüne Bundesparteisprecher Werner Kogler hatte zuletzt im "ORF-Sommergespräch" zu möglichen Abschiebungen gesagt, dass diese ohnehin weder rechtlich noch faktisch möglich seien. Die Frage, ob man Flüchtlinge aufnehmen sollte, beantwortete Kogler dabei aber nicht direkt – nur so viel: Man müsse Unterstützung anbieten, etwa wenn es um den Schutz von Frauen gehe.

Ob und wie Österreich hier aktiv werden könnte, darauf wollte sich Kogler auf Nachfrage nicht festlegen. "Ich kann Ihnen das genau noch nicht versprechen, weil wir ja nicht allein regieren." Es würden auch weiter Asylanträge afghanischer Bürger angenommen. Mehrfach betonte er, dass Hilfe an Ort und Stelle nötig sei – etwa mit Mitteln aus dem Auslandskatastrophenfonds. 

Hebein verlässt die Partei

Der Standpunkt der ÖVP ist also weiter ein Dilemma für die Grünen. Die Basis droht, die Koalition nicht mehr mitzutragen. Am Sonntag gab die ehemalige Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein bekannt, aus der Partei ausgetreten zu sein. Hebein hatte die türkis-grüne Koalition mitverhandelt. „Die grüne Politik mit all den Argumenten und Nichthaltungen erreichen nicht mehr mein Herz", schrieb Hebein nun. Sie sprach auch von "Vertragsbruch" durch die ÖVP. Sie handle "im Widerspruch zu der Vereinbarung bei den Koalitionsverhandlungen".

Kurz habe zugesichert, dass Österreich "nie vorpreschen wird, um Flüchtlinge aufzunehmen, aber er ist gesprächsbereit, wenn andere Länder vorangehen". Diese Zusage werde "torpediert", so Hebein. Länder wie Deutschland gingen "selbstverständlich voran, um zumindest zu versuchen, gefährdete Menschen aus Afghanistan zu holen", so Hebein, "der türkise Weg wird unbeirrt unter grüner Regierungsbeteiligung fortgesetzt".

Auf Facebook schrieb Hebein, ihr Statement unterstütze "vielleicht das Engagement von denjenigen in der Partei, wie u.a. Ewa Dziedzic und Vicky Spielmann, die für Menschenrechte einstehen". Ewa Ernst-Dziedzic, die außenpolitische Sprecherin der Grünen, hatte sich diese Woche via Aussendung zu Wort gemeldet.

Europa trage Verantwortung, auch Österreich müsse "Ressourcen und Expertise zur Verfügung stellen. Diese Menschen den Taliban auszuliefern, ist ein absolutes No Go. Bereits laufende Familienzusammenführungen in Österreich müssten jetzt zudem rasch abgeschlossen werden", so Ernst-Dziedzic.

Dass die ÖVP nach wie vor auch Abschiebungen nach Afghanistan in Erwägung zieht, kommentierte Ernst-Dziedzic so: "Alle, die jetzt nicht über akute Hilfe und Versorgung für die Fliehenden, sondern über Abschiebung reden – schämt Euch einfach."

Auf den Parteiaustritt Hebeins gab es von der grünen Bundespartei noch keine Reaktion.

ribbon Zusammenfassung
  • "Ich bin klar dagegen, dass wir jetzt freiwillig mehr Menschen aufnehmen – das wird’s unter meiner Kanzlerschaft auch nicht geben", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Sonntag im "PULS 24 Sommergespräch".
  • Vor allem von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) waren schon in den Tagen davor harte Worte in Richtung afghanischer Flüchtlinge und EU zu hören.
  • Am Montag legte er im "Ö1-Morgenjournal" nochmals die Parteilinie dar: "Österreicher schiebt weiter Afghanen nach europäischem Recht ab", sagte der Innenminister. 
  • Erst am Montag übermittelten die Grünen der APA eine Stellungnahme und widersprechen darin dem Koalitionspartner offen. 
  • "Europa trägt hier klar Verantwortung, die akut von Taliban-Gruppen gefährdeten Menschen wie Frauen, Kinder und Menschenrechtsaktivist*innen unbürokratisch Zuflucht zu gewähren", heißt es in dem der APA übermittelten Statement der Grünen.
  • Die Grünen bekräftigen auch, Abschiebungen nach Afghanistan "kann und wird es nicht geben". Es sei sinnvoller, jetzt sofort das europarechtlich Mögliche zu tun "als auf nationaler Ebene wiederholt rechtlich unmögliches zu diskutieren".