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Geheimdienste in Wien: "Das Gentlemen's Agreement ist löchrig geworden"

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Dutzende Fälle des sogenannten Havanna-Syndroms in der US-Botschaft haben Wien kürzlich wieder als Spionage-Hotspot in die internationalen Schlagzeilen gebracht. Geheimdienst-Experte Thomas Riegler sieht eine "erhöhte Risikobereitschaft mancher Akteure" und spricht mit PULS 24 darüber, wieso der klassische Geheimagent trotz Cyberspionage noch nicht ausgedient hat.

Der Historiker und Geheimdienst-Experte Thomas Riegler beschäftigt sich seit Jahren mit den Spionageaktivitäten in Österreich. Lange herrschte in Wien "business as usual", sagt er. Die Geheimdienste spionierten in Wien vor allem internationale Organisationen, vor allem die Atomenergiebehörde, Botschaften bestimmter Länder und jeweils andere Geheimdienste aus. Österreich als Gastland war dabei lange außen vor, weil Spionage hierzulande nicht illegal ist, solange sie sich nicht gegen die Interessen Österreichs richtet. Daran hielten sich die Akteure lange.

"Mittlerweile ist dieses Gentlemen’s Agreement aber löchrig geworden", sagt Riegler. Und daraus könnten sich für die Zukunft durchaus Risiken für Österreichs Sicherheit ergeben, "etwa, wenn sich die verschiedenen Parteien künftig härter anpacken und über die Stränge schlagen", so der Historiker. Denn mittlerweile ist Österreich auch selbst betroffen, insbesondere wenn es um das Absaugen von Daten geht, sagt Riegler. Ende 2019/Anfang 2020 war das Außenministerium sogar einem mehrwöchigen Cyberangriff ausgesetzt, der auf hochsensible Informationen abzielte.

Oppositionelle und Dissidenten im Visier

Auch abseits der digitalen Ebene zeigt sich eine durchaus besorgniserregende "erhöhte Risikobereitschaft mancher Akteure", wie Riegler meint. Konkret geht es dabei um die Türkei und auch Russland.

"Die Türkei etwa geht offensiv gegen Oppositionelle im Ausland vor. Das bekommt die hiesige Community zu spüren. Auch manche Tschetschenen müssen den langen Arm des Regimes fürchten", so Riegler. Vergangenes Jahr gab es sogar einen Mord an einem tschetschenischen Dissidenten in Österreich und heuer wurden bereits weitere Attentatspläne vereitelt.

Im Gegenzug dazu gilt Budapest mittlerweile als Hochburg der chinesischen Staatssicherheit. "Das hat auch mit der Nähe zum Westbalkan zu tun, wo China sich stark finanziell engagiert und seine Einflusszone nach Europa hin ausweitet", sagt Riegler.

Digitales Wettrüsten ohne Regeln

"Es herrscht also erhöhte Aktivität und das dürfte die Spionageabwehr mit ihren begrenzten Ressourcen durchaus herausfordern", meint der Experte. Eine enorme Herausforderung für kleinere Staaten mit schmalen Budgets wie Österreich seien darüber hinaus vor allem Cyberattacken und Cyberspionage. "Gewisse Staaten, aber auch kriminelle Netzwerke, sind ständig dabei, Systeme zu testen und Sicherheitslücken auszunutzen", sagt er.

"Für den Cyberkrieg und digitale Raubzüge gibt es keinerlei Regeln. Jeder kann ein potentielles Ziel werden", warnt Riegler. "Geheimdienste tarnen sich zudem oft, indem sie die Dienste von Hackergruppen in Anspruch nehmen", sagt er. Weil es dadurch bislang nur in seltenen Fällen gelungen sei, die jeweiligen Angreifer eindeutig zu orten, sei Gegenwehr schwierig.

Sollte es zu einem digitalen Schlagabtausch zwischen den Großmächten USA, Russland und China kommen, würde dies sicherlich auch auf Österreich Auswirkungen haben. "Insbesondere Blackouts, also bewusst herbeigeführte Ausfälle des Stromnetzes, und Cyberangriffe werden vor nationalen Grenzen nicht Halt machen", sagt Riegler.

Hat der klassische Geheimagent ausgedient?

Der stärkere Fokus auf diese neuen Methoden würden sicher dabei, Personal zu sparen bzw. Risiken zu minimieren, meint Riegler. Zum Beispiel funktioniere ein gefälschtes LinkedIn-Profil als Lockvogel genauso gut. Vor allem aber hätten Geheimdienste heute ganz andere Möglichkeiten, über soziale Medien Desinformation zu verbreiten und die öffentliche Meinung in anderen Staaten gezielt zu beeinflussen, wie zuletzt immer wieder zu beobachten war.

Aber das bedeute nicht, dass das "alte" Spionagegeschäft verschwindet, meint Riegler. Das Anwerben von "erstklassigen menschlichen Quellen", also Informanten mit Zugang zu geheimen Informationen in anderen Ländern oder internationalen Organisationen, bleibt weiterhin "die Königsklasse" des Spionagegeschäfts.

In Österreich hat das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bisher vor allem aus der Polizei rekrutiert. Ob man im Zuge der BVT-Reform beim Aufbau der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) bei den laut Berichten 300 zusätzlichen Stellen auch Quereinsteiger rekrutieren wird, muss sich erst zeigen.

ribbon Zusammenfassung
  • Dutzende Fälle des sogenannten Havanna-Syndroms in der US-Botschaft haben Wien kürzlich wieder als Spionage-Hotspot in die internationalen Schlagzeilen gebracht. Geheimdienst-Experte Thomas Riegler sieht eine "erhöhte Risikobereitschaft mancher Akteure" und spricht mit PULS 24 darüber, wieso der klassische Geheimagent trotz Cyberspionage noch nicht ausgedient hat.

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