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Sektion des Umbruchs: Dostojewskis "Dämonen" am Burgtheater

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Es gibt Zeiten, in denen der bevorstehende Umbruch zum Greifen nah, aber die Richtung völlig offen ist. Geht es nach oben, nach unten, zurück oder nach vorn? Und mit welchen Mitteln? Dostojewski schrieb seinen Roman "Die Dämonen" in einer solchen Zeit, Johan Simons bringt ihn 150 Jahre später an der Schwelle einer weiteren Zeitenwende auf die Burgtheater-Bühne. Dafür seziert er den Text mit scharfem Skalpell und präsentiert die Eingeweide in einer abstrakten Künstlichkeit.

"Die ganze Gesellschaft ist hier auf Misstrauen aufgebaut, auf Verrat. So bleibt man an der Macht. Das erinnert komplett daran, wie es heute ist - nicht nur in Russland", erklärte der niederländische Regisseur Simons im Vorfeld im APA-Interview sein Interesse an dem Stoff, den er am Freitagabend in etwas mehr als vier Stunden am Burgtheater zum Glänzen brachte - zumindest in optischer Hinsicht: Für die Residenz der reichen Warwara Stawrogina hat Nadja Sofie Eller einen weitläufigen, goldvertäfelten Saal geschaffen, der die - für die Reichen - guten alten Zeiten repräsentiert. Selbst die Hausherrin, die Maria Happel mit der ihr eigenen Souveränität zum Leben erweckt, steckt in einem goldenen Kleid mit violetten Strümpfen (Kostüme: Greta Goiris). Doch die vielen Stühle, die hier ungeordnet und verwaist im Raum herumstehen, wirken wie Boten des Wandels: Hier steht ein Umzug in eine noch ungewisse Zukunft bevor.

Mit äußerst großer Genauigkeit schälen Dramaturg Sebastian Huber und Simons in ihrer Fassung die einzelnen Protagonisten mit ihren Vorstellungen einer idealen Gesellschaft aus diesem 900-seitigen Mammut-Werk, das die Unruhe im vorrevolutionären Russland widerspiegelt. Während Warwara mit ihrer nicht eingestandenen Liebe zu dem liberalen Schriftsteller Stepan (grandios idealistisch: Oliver Nägele) und ihrem verzweifelten Versuch, ihren Sohn Nikolaj gut zu verheiraten, für das alte System steht, strömen im Laufe des Abends allerlei Figuren in ihr Haus, die an den baldigen Umbruch glauben. Ob die Zukunft individualistisch, sozialistisch oder nationalistisch geprägt sein soll - darüber herrscht allerdings größte Uneinigkeit.

Die einzelnen Personen hat Simons dabei zu radikalen Kunstfiguren stilisiert: Nicholas Ofczarek ist als Warwaras Sohn Nikolaj ein gebrochener, desillusionierter und lange um stumme Haltung ringender Rückkehrer aus einem ausschweifenden Leben, der wohl ahnt, dass die Menschen um ihn herum am Ende an ihm und seinen Taten zerschellen werden. Birgit Minichmayr gibt seine Fast-Verlobte Lisa Tuschina als geradezu grotesk exaltierte, polternde Femme fatale mit Reitpeitsche - eindeutig eine Schwachstelle in diesem ansonsten so fein gearbeiteten Abend. Ihr Gegenteil ist in ihrer naiven Zurückhaltung Dagna Litzenberger Vinet als Dascha, die die herrische Warwara nach ihrer Affäre mit Nikolaj mit Stepan verheiraten will, um die Wogen zu glätten. Als dritte Frau im Bunde der Geliebten glänzt Sarah Viktoria Frick, die mit weißem Brautschleier als mehr hüpfende denn humpelnde Marja jene Schwachsinnige gibt, die Nikolaj vor vielen Jahren aus einer Laune heraus heimlich geheiratet hat. Erpresst wird Nikolaj von deren trunksüchtigem Bruder, dem Marcel Heuperman eine ordentliche Portion Idiotie verleiht.

Diesen Erzählstrang der Irrungen und Wirrungen bringt Simons als amüsante Familien-Komödie auf die Bühne, während der hochpolitische Teil allein von den Männern verhandelt wird. Jan Bülow verleiht Stepans Sohn Pjotr, der als revolutionärer, gewalttätiger Sozialist nach Jahren zurück nach Hause kommt, eine manische, manipulative Gefährlichkeit, die Schaudern macht. Unerbittlich trachtet er dem von religiösem Nationalismus beseelten und dennoch ungläubigen Iwan Schatow (Itay Tiran) nach dem Leben und benutzt den Individualisten Kirillow, den Ernest Allan Hausmann mit großer Hingabe spielt, als Spielball für seine Gewalttaten. Ihm zur Seite steht mit Markus Hering als Liputin ein Mann, der als typischer Mitläufer seinem eigenen Verderben in die Arme läuft.

Das ist ganz schön viel Stoff für einen Abend, an dem einzelne Stränge oft nur lose verbunden werden und die Charakterzeichnungen stärker im Fokus stehen als die Kohärenz. Dennoch ist Johan Simons hier eine Deutung gelungen, die ohne sichtbare zeitgenössische Verweise ein Abbild der heutigen gesellschaftlichen Stimmung schafft. Sowohl Darsteller als auch Publikum wirkten am Ende dieses bildstarken, von der bedrohlichen Soundkulisse von Mieko Suzuki rhythmisierten Abends etwas erschöpft. Herzlicher Applaus für alle Beteiligten.

(S E R V I C E - "Dämonen" von Fjodor M. Dostojewski in der Übersetzung "Böse Geister" von Swetlana Geier im Burgtheater. Regie: Johan Simons, Bühne: Nadja Sofie Eller. Mit u.a. Maria Happel, Nicholas Ofczarek, Jan Bülow, Oliver Nägele, Birgit Minichmayr und Sarah Viktoria Frick. Weitere Termine am 30. November sowie am 3., 10. und 29. Dezember. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Es gibt Zeiten, in denen der bevorstehende Umbruch zum Greifen nah, aber die Richtung völlig offen ist.
  • Dostojewski schrieb seinen Roman "Die Dämonen" in einer solchen Zeit, Johan Simons bringt ihn 150 Jahre später an der Schwelle einer weiteren Zeitenwende auf die Burgtheater-Bühne.
  • (S E R V I C E - "Dämonen" von Fjodor M. Dostojewski in der Übersetzung "Böse Geister" von Swetlana Geier im Burgtheater.
  • Regie: Johan Simons, Bühne: Nadja Sofie Eller.

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