Prozess um Kind in der HundeboxKonstantin Auer / PULS 24

Kind in Hundebox gesperrt: Bub psychisch "zur Gänze zerstört"

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Der dreitägige Prozess gegen eine Mutter aus Waidhofen im Waldviertel, die ihr Kind über Monate hinweg gequält haben soll, ging am Donnerstag zu Ende. Sie wurde wegen versuchten Mordes zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die Zweitangeklagte wegen fortgesetzter Gewaltausübung zu 14 Jahren Haft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zwischen Juli und November 2022 wurde ein damals 12-jähriges Kind in Waidhofen an der Thaya in eine Hundebox gesperrt und geschlagen. Das Kind musste am Boden schlafen, musste frieren und hungern, bis es ins Koma fiel.

Seit Montag standen die 33-jährige Mutter und eine mögliche Bestimmungstäterin vor Gericht. Die Mutter wurde schließlich vom Geschworenengericht wegen Mordversuchs schuldig gesprochen - mit 7:1 Stimmen. Außerdem wurde sie wegen des Quälens des Kindes schuldig gesprochen, dazu kommt Freiheitsentziehung. Sie muss 20 Jahre in Haft.

Zweitangeklagte muss 14 Jahre in Haft

Die 40-jährige Zweitangeklagte wurde wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Bestimmungstäterin ebenfalls schuldig gesprochen - mit 8:0 Stimmen. Sie muss 14 Jahre in Haft.

Beide Angeklagten sind zurechnungsfähig, werden aber in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen. Insgesamt müssen die Angeklagten 80.000 Euro für das Kind zahlen. Die Zweitangeklagte kündigte Nichtigkeitsbeschwerde an, die Erstangeklagte gab noch keine Erklärung ab, die Staatsanwaltschaft nahm das Urteil an. Die Urteile sind daher nicht rechtskräftig.

Bub psychisch "zur Gänze" zerstört

Die Höhe der Strafen sei erforderlich, um deutlich vor Augen zu führen, dass die Beschuldigten "mit ihren Handlungen ein Leben fast zerstört hätten", führte die vorsitzende Richterin aus. Auf psychischer Ebene sei der Bub, den es vorher gegeben habe, "auf jeden Fall zur Gänze zerstört" worden.

Die Beratungen der Geschworenen dauerten über sechs Stunden - schließlich mussten sie schwierige juristische Fragen beantworten. Die Staatsanwältin und die Verteidiger trugen zuvor ihre Sichtweisen in teils emotionalen Schlussplädoyers vor. 

Die beiden angeklagten Frauen hörten dem größtenteils regungslos zu - mit überkreuzten Beinen und starrem Blick Richtung Richterbank. Ihre letzten Worte fielen karg aus - beide entschuldigten sich aber bei dem Kind und bei Angehörigen. Die Mutter wiederholte, dass sie sich selbst nicht erklären konnte, "was passiert" ist.

Die Staatsanwältin erinnerte in ihrem Schlussplädoyer an den schwerwiegenden Vorwurf, um den es geht: Ein damals 12-jähriges Kind sei "beinahe zu Tode gequält" worden. "Es war sehr nahe am Tod", sagte sie. 

Staatsanwältin sieht versuchten Mord

Die Angeklagten hätten im Prozess "nur eine Fassade" gezeigt. Sie erinnerte an lachende Smileys in den Chats zwischen den Angeklagten, die zeigen würden, dass ihnen die Qualen Freude bereitet hätten. Den Angeklagten sei bewusst gewesen, was sie "getan haben", sie hätten ja auch noch versucht, Chats zu löschen.

Sie erinnerte an Videos, die vorgespielt wurden, in denen das Kind zuckend und apathisch am Boden zu sehen war – und fragte die Geschworenen, ob sie es bei diesem Anblick für möglich gehalten hätten, dass das Kind stirbt. Wenn sie das bejahen würden, dann müsse man von versuchtem Mord ausgehen, so die Staatsanwältin. 

Kind will "Gerechtigkeit"

Opferanwalt Timo Ruisinger erinnerte, daran, dass die Erstangeklagte vor der Festnahme gegoogelt hatte: "Kindesmissbrauch Strafe Österreich".

Zur Zweitangeklagten meinte er, dass ihre Verteidigungsversuche wegen der Chats "gescheitert" seien. Sie habe die Erstangeklagte auch "wie eine Weihnachtsgans ausgenommen" -  im Raum steht, dass die Erstangeklagte Geld vom Verkauf ihres Reihenhauses an die Zweitangeklagte übergeben hat. Auch wegen der 40-Jährigen sei das Kind laut Ruisinger psychisch gebrochen. 

Davor hatte Gutachter Peter Hofmann erklärt, dass es aus psychiatrischer Sicht sein könne, dass die Mutter von der Zweitangeklagten manipuliert worden sei. 

Das Kind wisse jedenfalls, dass heute ein Urteil fällt und wünsche sich Gerechtigkeit, so Ruisinger.

Mutter will nicht mit Vorsatz gehandelt haben

Astrid Wagner, die Anwältin der Mutter, sagte, gleich zu Beginn ihres Schlussplädoyers, dass ihre Mandantin "immer, wenn sie Geld hat", etwas an die Familie überweisen wolle – bis zu 30.000 Euro.

Sie habe "eine Lebensbeichte" abgelegt. Sie sei bis zur Tat unscheinbar gewesen – ohne die Zweitangeklagte wäre es nicht so weit gekommen. Die Mutter sei Teil einer "ganz normalen, anständigen Familie aus dem Waldviertel" gewesen.

Geschworenen beraten

Die Zweitangeklagte sei "bauernschlau", immer noch "manipulativ" und falle auch in Haft schon auf. Dort würde sie bei der Saftausgabe "bestimmend" auftreten, hatte zuvor Gutachter Hofmann erläutert. Auch die Chats würden "Anordnungen" an ihre Mandantin beinhalten, so Wagner. "Ich verstehe es nicht, dass man da vielleicht nicht doch mehr Verantwortung übernimmt."

Mehr zu den Hintergründen:

Auch Wagner sprach das verschwundene Geld an und meinte, für ihre Mandantin sei sich "gerade noch eine Eierspeis'" ausgegangen. Man müsse das Geld finden, weil es das Kind "dringend gebrauchen" könne.

Ihre Mandantin bekenne sich schuldig, außer zum versuchten Mord. "Jeder normale Mensch" hätte gesehen, dass der Zustand des Kindes lebensbedrohlich gewesen sei. Ihre Mandantin sei aber "wirklich so blöd" gewesen und habe das nicht "gecheckt". Sie sei daher "nicht mit normalen Maßstäben zu bewerten".

Ihre Mandantin habe nicht vorsätzlich gehandelt - und am Ende Hilfe geholt. Zwar habe sie nicht die Rettung gerufen, aber eben die Zweitangeklagte.

Sascha Flatz im Interview.

Deren Anwalt Sascha Flatz schloss gleich an: Der "Hilferuf" der Erstangeklagten sei ein Video an seine Mandantin gewesen, in dem das Kind am Boden liege: "Schau an den Trottel" habe sie da über das Kind geschrieben. Seine Mandantin sei es in Wirklichkeit gewesen, die am Ende Hilfe holte. Flatz erinnerte auch daran, dass die Mutter nicht mit der Rettung mitgefahren sei.

"Das tut niemand, der sadistisch veranlagt ist"

Das Leben der Mandantin sei nicht durch die Zweitangeklagte aus den Fugen geraten. Seiner Mandantin sei das Ausmaß und die fortgesetzte Gewaltausübung nicht bewusst gewusst. Vor allem habe seine Mandantin nichts vom Hunger gewusst und habe nicht gewusst, dass das Fenster der Wohnung andauernd offen war. Flatz verwies darauf, dass auch die Sozialarbeiter vom Jugendamt nicht erkannt hätten, dass das Kind unterernährt gewesen sei.

Der Anwalt brachte gegen eine noch eine neue Hypothese auf: Es könne sein, dass sich die Erstangeklagte in seine Mandantin verliebt habe – und das Kind dafür verantwortlich gemacht habe, dass die Beziehung nicht geklappt habe. Schließlich musste die Mutter bei der Zweitangeklagten ausziehen, als diese einen neuen Lebenspartner fand. Seine Mandantin habe dem Kind außerdem Essen und Kleidung gekauft. "Das tut niemand, der sadistisch veranlagt ist", so Flatz. 

Mögliches Behördenversagen wird nochmals geprüft

Das Büro von Niederösterreichs Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) bestätigte am Donnerstag, dass aufgrund neuer aus dem Gerichtsverfahren bekannt gewordener Details, die sich in der bisherigen Aktenlage nicht abgebildet hätten, eine neuerliche Prüfung des Falls veranlasst worden sei.

Auch wurde mitgeteilt, dass der Bericht der Kommission Kinderschutz nun vorläge und über die Ergebnisse in der nächsten Sitzung der Landesregierung am kommenden Dienstag berichtet werde. Im Anschluss solle die Öffentlichkeit entsprechend informiert werden.

ribbon Zusammenfassung
  • Der dreitägige Prozess gegen eine Mutter aus Waidhofen im Waldviertel, die ihr Kind über Monate hinweg gequält haben soll, ging am Donnerstag zu Ende.
  • Die Mutter wurde unter anderem wegen versuchten Mordes schuldig gesprochen. Sie muss 20 Jahre in Haft. Die Zweitangeklagte wegen fortgesetzter Gewaltausübung. Sie muss 14 Jahre in Haft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
  • Das Büro von Niederösterreichs Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) bestätigte am Donnerstag, dass aufgrund neuer aus dem Gerichtsverfahren bekannt gewordener Detail eine neuerliche Prüfung des Falls veranlasst worden sei.