Flüchtlinge am Grenzübergang in Spielfeld. APA/HARALD SCHNEIDER

10 Jahre danach

Ist die Kriminalität seit der Flüchtlingswelle 2015 gestiegen?

Heute, 10:26 · Lesedauer 7 min

Straftaten, die von Asylwerber:innen begangen werden, lösen regelmäßig heftige Schlagzeilen und heiße politische Debatten aus - seit 2015 verstärkt. Aber wie hat sich die Kriminalität seither tatsächlich verändert?

Sicherheit, Kriminalität und Migration werden nicht erst seit 2015 oft als zusammenhängender Komplex betrachtet. Von Boulevardmedien und rechten Parteien werden Ängste, ob berechtigt oder nicht, geschürt und für Stimmungsmache missbraucht. 

Oft stoßen aufsehenerregende Einzelfälle große Debatten und politische Konsequenzen an. Spätestens mit der Silvesternacht 2015 in Köln war das auch während der großen Ankunft von Geflüchteten in diesen Jahren der Fall. 

In Österreich war der Fall von Leonie einer der aufsehenerregendsten. Die 13-Jährige wurde im Jahr 2021 von drei Asylwerbern aus Afghanistan in Missbrauchsabsicht unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Sie starb an einer Überdosis und an Ersticken. 

Zuletzt war es der islamistische Attentäter, der in Villach einen 14-Jährigen tötete und fünf weitere verletzte. Der Syrer war 2020 nach Österreich eingereist, wo er Asyl bekam. 

Was sagen diese Fälle nun aber aus? Gab es aufsehenerregende Kriminalfälle und Terrorismus nicht immer schon? Oder stieg mit der Ankunft von Geflüchteten tatsächlich die Kriminalität an?

Österreich wird sicherer

Das alles sind Fragen, die sich so einfach nicht beantworten lassen. Selbst ein Blick auf die kalten Fakten bringt dabei oft wenig Aufklärung.

Gesamtkriminalität in ÖsterreichPULS 24

Entwicklung der Kriminalität in Österreich. 

Bei den angezeigten Straftaten, die sich der Kriminalitätsstatistik des Innenministeriums entnehmen lassen, zeigt sich, dass es insgesamt seit 2015 nur leichte Veränderungen gab. 517.869 Anzeigen gab es 2015. Im Jahr 2024 waren es 534.193. Diese entfielen auf 265.794 Tatverdächtige im Jahr 2015. 335.894 gab es im Jahr 2024. 

Ein ähnliches Bild offenbart ein Blick auf die Verurteilungsstatistik: 32.118 Personen wurden 2015 vor Gericht rechtskräftig verurteilt – 27.717 Personen waren es 2024.

Österreich wurde bei gleichzeitig steigender Bevölkerungszahl und steigenden Aufklärungsquoten insgesamt (nicht erst seit 2015) also tendenziell sicherer. Wobei es natürlich Deliktgruppen – wie etwa die Internetkriminalität – gibt, die im Aufwind sind.

Geflüchtete sind männlicher und jünger

Zuletzt wurde etwa viel über einen Anstieg bei der Jugendkriminalität gesprochen, der sich zwar bei den Anzeigen abzeichnet, nicht jedoch bei den Verurteilungen. Vor allem für Eigentumsdelikte wie Autodiebstahl sollen die "Systemsprenger" verantwortlich sein.

Die Anzeigen gegen Unmündige hätten sich in den vergangenen fünf Jahren auf knapp mehr als 12.000 nahezu verdoppelt, verlautbarte das Innenministerium im Frühjahr. Die Zahl der syrischen Tatverdächtigen steche dabei heraus: Ihre Anzahl habe sich seit 2020 mit rund 1.000 Jugendlichen im vergangenen Jahr fast verzehnfacht. 

Zahlen wie diese offenbaren aber die Schwächen der Anzeigenstatistik der Polizei: Gerade bei der Jugendkriminalität stellte sich heraus, dass sehr viele mutmaßliche Straftaten auf die Kappen von einigen wenigen "Intensivtätern" gehen.

Zudem hat sich wohl auch die Anzeigenbereitschaft gegenüber Jugendlichen geändert, was auf Migrant:innen noch viel mehr zutreffen könnte. Bei vielen Deliktsfeldern – etwa bei Drogen – handelt es sich um sogenannte Kontrolldelikte: Je mehr die Polizei kontrolliert, desto mehr Anzeigen gibt es in diesen Bereichen. Dass migrantisch gelesene Menschen öfter in Polizeikontrollen geraten, ist auch kein Geheimnis. 

Die Schwächen der Anzeigenstatistik sollte man auch bei den folgenden Zahlen im Hinterkopf behalten: So stieg laut Kriminalstatistik die Anzahl der angezeigten Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft seit 2015 an.

Anzahl der fremden Tatverdächtigen.PULS 24

Anzahl der fremden Tatverdächtigen.

Die Rückgänge während der Coronazeit zeigen allerdings, dass viele dieser Anzeigen sonst auf die Kappe von Personen gehen, die nicht in Österreich leben. In dieser Zeit waren Reisen nur eingeschränkt möglich – die Anzeigen gingen zurück. 

Fest steht auch, dass Rumän:innen, Serb:innen, Deutsche und Türk:innen die Statistiken seit Jahren anführen. Das sind keine typischen Asylländer und auch jene Gruppen, von welchen eben am meisten in Österreich leben.

Tatverdächtige aus Syrien, Irak und AfghanistanPULS 24

Tatverdächtige aus Syrien, Irak und Afghanistan

So ist auch der Anstieg der Anzeigen gegen Syrer:innen, Afghan:innen und Iraker:innen ab dem Jahr 2015 zu werten – es kamen einfach mehr ins Land. 

Viele Zahlen fehlen

Wie viele derjenigen Personen, die 2015 nach Österreich kamen, seither angezeigt oder verurteilt wurden, wurde in Österreich nicht erfasst. Denn es wird nicht erfasst, wie viele anerkannte Flüchtlinge angezeigt oder verurteilt wurden.

Zahl der tatverdächtigen Asylwerber:innenPULS 24

Zahl der tatverdächtigen Asylwerber:innen

Anzeigen gegen Asylwerber:innen gingen laut Zahlen, die PULS 24 vom Bundeskriminalamt zur Verfügung gestellt wurden, jedenfalls seit 2015 – mit leichten Schwankungen – tendenziell zurück

15.361 Asylwerber:innen wurden 2015 angezeigt, 24.610 waren es 2016 – im Vorjahr waren es 11.425. Ein Rückgang um 25,6 Prozent im Zehn-Jahres-Vergleich. 

Bei den Delikten, die am häufigsten angezeigt werden, weichen Asylwerber:innen kaum vom Durchschnitt ab: Diebstahl und Körperverletzung führen die Statistiken an. Asylwerber:innen werden etwas häufiger wegen mutmaßlichen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz angezeigt. 

Bei Verurteilungen überrepräsentiert

Dennoch: Im Jahr 2024 lag in Österreich der Anteil der tatverdächtigen Asylwerber:innen bei rund 3,4 Prozent, während sie nur rund 0,75 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.

Anteil der Verurteilten an der strafmündigen Bevölkerung.ÖIF

Anteil der Verurteilten an der strafmündigen Bevölkerung.

Bei den gerichtlichen Verurteilungen sind Syrer:innen, Afghan:innen und Iraker:innen ebenso überrepräsentiert. Dabei ist allerdings nicht klar, bei wie vielen davon es sich um Asylwerber:innen handelte. 

Es gab zwar auch hier einen Rückgang: 2019 wurden 1,8 Prozent der strafmündigen Personen dieser Bevölkerungsgruppen verurteilt, im Jahr 2024 sank der Anteil auf 1,3 Prozent. Bei österreichischen Staatsbürger:innen wurden allerdings nur 0,2 Prozent der strafmündigen Personen verurteilt.

Anteil der Verurteilten Personen an Gleichaltrigen.ÖIF

Anteil der Verurteilten Personen an Gleichaltrigen.

Oft werden diese Zahlen damit erklärt, dass die betroffene Bevölkerungsgruppe eben jünger und männlicher sei. Allerdings fällt die Bevölkerungsgruppe laut Zahlen der Statistik Austria auch im Vergleich mit der gleichen Altersgruppe auf

Viele Faktoren können zu Kriminalität führen

Soziologe Kenan Güngör erklärt im Gespräch mit PULS 24, dass bei Jungen und bei Männern das Kriminalitätsrisiko höher sei. Es gebe bei der Frage, ob jemand kriminell wird oder nicht, aber noch ganz viele weitere Einflüsse. 

Es müssten etwa auch soziökonomische Faktoren berücksichtigt werden: Wer nicht arbeiten darf oder keine Arbeit findet, kein Einkommen und keine Perspektiven hat, werde eher kriminell. Zudem spiele auch die Sozialisierung eine Rolle: Je wichtiger Männlichkeit, Stolz, Ehre und Wehrhaftigkeit sind, desto höher sei die Verletzbarkeit und damit der Hang zur Gewalt, so Güngör.

Kenan GüngörAPA/HANS KLAUS TECHT

Kenan Güngör

Das Milieu im Herkunftsland spiele eine große Rolle: So würde ein Teil der Geflüchteten sagen, dass sie vor patriarchalen Strukturen, Gewalt und Islamismus geflohen seien. Manche würden aber auch frauen- oder demokratiefeindliche Einstellungen haben.

Grundsätzlich gelte, dass sich Personen, je länger sie in Österreich sind, auch besser integrieren. Das heiße aber nicht, dass es nicht auch in der dritten Generation wieder zu Problemen kommen könne. 

2015 sei eine "große Breite" an Menschen gekommen. Seither gingen die Zahlen zurück. Viele junge, die nun kommen würden, hätten aber oft viele Jahre in Transitländern verbracht und dort oft schlechten Zugang zu Bildung gehabt, so der Soziologe. Dafür würden nun mehr Kinder und Frauen ankommen, was sich auf die Kriminalitätsstatistiken positiv auswirken könnte.

Migration lässt Kriminalität nicht automatisch steigen

Laut einer aktuellen Studie des deutschen ifo-Instituts erhöht ein höherer Migrant:innenanteil in einer bestimmten Wohngegend die Kriminalität nicht. Die Autor:innen merken aber an, dass Ausländer:innen dennoch häufiger kriminell werden. Diese Diskrepanz wird unter anderem damit erklärt, dass Migrant:innen häufiger in Gegenden wohnen, in welchen das Kriminalitätsrisiko höher ist. 

Das erklärt unter anderem auch, warum Syrer:innen, Afghan:innen und Iraker:innen eher Opfer von Verbrechen werden: 2024 traf das auf 3,4 Prozent zu, während es bei Österreicher:innen nur 0,8 Prozent waren.

Anteil der Opfer von Straftaten.ÖIF

Anteil der Opfer von Straftaten.

Dass diese Thematik keine vereinfachenden Schlüsse zulässt, zeigte sich zuletzt auch in Villach: Der Mann, der sich dem Attentäter in den Weg stellte, war ebenfalls Syrer. Er kam 2015 nach Österreich und hat im vergangenen Februar wohl zahlreiche Leben gerettet. 

Zusammenfassend hält Soziologe Güngör fest, dass nur ein Bruchteil Geflüchteten kriminell werde. In der Statistik seien sie aber überrepräsentiert: "Es stimmt beides, alles andere wäre eine unsaubere Einschätzung". 

Zusammenfassung
  • Seit 2015 gab es in Österreich nur leichte Veränderungen bei der Gesamtzahl der angezeigten Straftaten (2015: 517.869, 2024: 534.193), während die Zahl der Verurteilungen von 32.118 auf 27.717 sank.
  • Anzeigen gegen Asylwerber:innen sind im Zehn-Jahres-Vergleich um 25,6 Prozent zurückgegangen, von 15.361 im Jahr 2015 auf 11.425 im Jahr 2024.
  • Im Jahr 2024 lag der Anteil der tatverdächtigen Asylwerber:innen bei 3,4 Prozent, obwohl sie nur 0,75 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
  • Syrer:innen, Afghan:innen und Iraker:innen werden häufiger Opfer von Verbrechen (2024: 3,4 Prozent) als Österreicher:innen (0,8 Prozent).
  • Soziologe Kenan Güngör betont, dass nur ein Bruchteil der Geflüchteten kriminell wird, diese Gruppe aber statistisch überrepräsentiert ist.