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Am Puls der Politik: Wie blau wird Nehammer?

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Türkis erwidert Van der Bellens Mahnruf in Sachen Populismus-Wettlauf mit einer "Jetzt-erst-recht"-Kampagne. Bislang nahm die ÖVP weitaus schärfere Kritik aus der Hofburg professionell gelassen. Nimmt Karl Nehammer nun auch in Sachen Feindbild Bundespräsident Maß an Herbert Kickl?

Im Küchenkabinett des Kanzlers herrschte am Tag Eröffnung der Bregenzer Festspiele unfestliche Hektik. Der Nachbar von Gegenüber hatte gemeinsam mit Herbert Kickl und Andreas Babler auch Karl Nehammer in seiner Eröffnungsrede mahnend ins Gebet genommen. Aus Sicht der Hofburg vis a vis ein Versuch, das bereits ein Jahr vor dem Wahltermin epidemisch grassierende Populismus-Virus einzudämmen. Aus Sicht der anderen Seite des Ballhausplatzes ein Grenzüberschreitung, die Folgen habe müsse. "Van der Bellen hat damit eine rote Linie überschritten", so der Tenor im Kanzlerkabinett. Die Schlüsselsätze in der Eröffnungs-Rede des Bundespräsidenten bei den Bregenzer Festspielen waren freilich nicht zuvorderst an den Hausherren Gegenüber gerichtet. "Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird (...) Das Volk, sind das alle Österreicherinnen und Österreicher? Die Einwohner anderer Herkunft, sind das 'die anderen'? Wer sind 'unsere Leut'? Sind uns 'die anderen' dann egal? Wer sagt, wer dazu gehört und wer nicht? Wer bestimmt, wer 'normal' ist und wer nicht?"

Mahnruf an drei Parteichefs, nur einer greift zum Schnitzel-Klopfer

Die Reaktionen der vom Mahnruf betroffenen drei Parteiobleute fielen höchst unterschiedlich aus. Herbert Kickl ignorierte ihn und schickte nur seinen Generalsekretär zu einem Routine-Rundumschlag aus. Andreas Babler suchte via Twitter - ohne direkten Verweis auf die VdB-Rede - einmal mehr klarzustellen, wer warum mit "unsere Leut" gemeint sei. Allein der ÖVP-Regierungschef reagierte nach der Devise: Volles Rohr auf den lästigen Nachbarn. Karl Nehammer hält sich in einem hochoffiziellem Statement wenige Stunden nach der Rede nicht lange mit Höflichkeiten auf: "Ich bleibe ich dabei: Es ist wichtig, dass man Normalität in Österreich benennen darf." Denn: "Es ist okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen." Dieser holzschnittartige Vergleich aus der Wording-Schublade von Mr. Message Control, Gerald Fleischmann, ist nicht neu. Er machte nur deshalb noch einmal Schlagzeilen, weil Karl Nehammer den Wunsch nach einem sensibleren Umgang mit der Sprache in der Politik mit dem Schnitzel-Klopfer erwidert. Die Reaktion bestätigt aus Sicht der Hofburg nicht nur, was der Präsident mit seinen besorgten Hinweisen gemeint hat: Österreich braucht dringend einen weniger zuspitzenden und konstruktiveren Umgang in der politischen Auseinandersetzung.

Scharfe VdB-Schelte, "Regierung soll endlich arbeiten", blieb folgenlos

Vor einem Jahr gab es – auch in der Eröffnungsrede in Bregenz - eine Gardinen-Predigt für Nehammer & Co, die weitaus direkter und schärfer ausfiel. Angesichts der im Sommer 2022 immer stärker spürbaren Teuerungs- und Energiekrise formulierte Van der Bellen einen dramatischen Appell Richtung Regierung: "Hunderttausende Menschen in unserem Land haben Angst und sind am Rande der Verzweiflung. Das sind alleinerziehende Mütter, Mindestpensionisten, aber auch Menschen, die bislang keine gröberen Geldsorgen hatten." Aber "Regierende auf allen Ebenen, die uns durch diese Situation leiten sollen, sind viel mit sich selbst beschäftigt und abgelenkt, beklagte Van der Bellen und proklamierte ohne Wenn und Aber: "Die Regierung muss und soll jetzt das tun, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde - sorry: Arbeiten, arbeiten." In Sommer-Interviews legt er danach ungewohnt direkt nach: "Die Regierung soll ihren Job machen." Das Gegenüber am Ballhausplatz nahm die mehrfache scharfe Schelte aus der Hofburg öffentlich kommentarlos zur Kenntnis. Regierungsmitglieder ließen - je nach Temperament - vielmehr Van der Bellen bei nächster Gelegenheit unter vier Augen wissen, was die Türkis-Grün schon alles in Sachen Teuerung- und Energiekrise unternommen und vorhabe. Oder beklagten, sich nach der breiten Öffentlichkeit nun auch durch den Bundespräsident ungerecht behandelt zu fühlen.

Türkises Freund-Feind-Denken nimmt Staatsoberhaupt nicht mehr aus

Lässt die neue türkise Offensive in Sachen "Normaldenker" als Antwort auf den präsidentiellen Mahnruf noch mehr Trotzreaktionen wie diese erwarten? Im Kanzleramt wurde dieser Tage jedenfalls bewusst der Schalter auf "Jetzt-erst-recht" umgelegt. Das türkise Freund-Feind-Denken nimmt ab sofort auch das Staatsoberhaupt nicht mehr aus. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie weit Karl Nehammer im Infight mit Van der Bellen in seinem Populismus-Wettlauf mit Herbert Kickl noch gehen will.

Türkises trotziges Jetzt-erst-Recht als Auftakt zu Hofburg-Bashing?

Die Latte der blauen Skrupellosigkeit liegt tief. Zumal Herbert Kickl offenbar bei Donald Trump Maß nahm, der den nur dreieinhalb Jahre älteren US-Präsidenten Joe Biden seit Jahren als "sleepy Joe" heruntermacht. Der FPÖ-Chef nannte den Bundespräsidenten Anfang des Jahres eine "Mumie" und "senil". Van der Bellen sei zudem "der größte Demokratie- und Staatsgefährder", der "des Amtes enthoben" gehöre. Den vielfachen Protest gegen diesen Affront suchte die FPÖ damit zu kontern: Diese Vokabel seien zum Ausklang des Faschings im Rahmen einer Aschermittwochsrede gefallen. Van der Bellen reagierte auf die bislang untergriffigsten FPÖ-Attacken so wie er es sich von Karl Nehammer, Andreas Babler und Herbert Kickl dringend erwarten würde: Er unternahm alles, um die Causa nicht weiter zu eskalieren. Die zuständige Staatsanwaltschaft hatte pflichtgemäß ein Ermittlungsverfahren wegen Ehrenbeleidigung eingeleitet. Die Hofburg erteilte aber nicht die notwendige Ermächtigung, um ein Verfahren gegen Kickl tatsächlich zu eröffnen. Als Begründung ließ Van der Bellen wissen: Es sei Aufgabe der Politik, "dem Land und seinen Bürgerinnen und Bürgern zu dienen und für Sicherheit und Wohlstand zu sorgen". Dies gelinge am besten, "wenn Politiker miteinander und auch mit den Institutionen des Staates respektvoll umgehen".

Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi). Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" erscheint jeden Freitag neu auf trend.at.

ribbon Zusammenfassung
  • Türkis erwidert Van der Bellens Mahnruf in Sachen Populismus-Wettlauf mit einer "Jetzt-erst-recht"-Kampagne.
  • Bislang nahm die ÖVP weitaus schärfere Kritik aus der Hofburg professionell gelassen.
  • Nimmt Karl Nehammer nun auch in Sachen Feindbild Bundespräsident Maß an Herbert Kickl?