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Van der Bellen: Regierung muss endlich "tun, wofür sie gewählt ist"

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Bei seiner Eröffnungsrede zu den Bregenzer Festspielen fand Bundespräsident Alexander Van der Bellen - für seine Verhältnisse - ungewohnt kritische Worte für die Bundesregierung. Aber er übte auch Selbstkritik.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnete am Mittwoch die Bregenzer Festspiele. Bei seiner Ankunft wurde der Bundespräsident von Impfgegnern ausgepfiffen, wie "VOL.at" berichtet.

Der Bundespräsident zeigte sich in seiner Rede besonders wegen der Teuerungswelle besorgt: "Hunderttausende Menschen in unserem Land haben Angst und sind am Rande der Verzweiflung. Alleinerziehende Mütter und Mindestpensionisten, aber genauso Menschen, die bislang keine gröberen Geldsorgen hatten", so Van der Bellen.

Regierung soll endlich "arbeiten, arbeiten, arbeiten"

Umso eindringlicher sind seine Ermahnungen an die Bundesregierung: "Finde ich es gut, dass die Regierenden, die uns durch diese Situation leiten sollen, auch sehr viel mit sich selbst beschäftigt und abgelenkt sind? Natürlich nicht." Van der Bellen betonte, "dass die Regierung jetzt das tun soll und muss, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: Arbeiten, arbeiten, arbeiten."

Kritische Worte fand Van der Bellen - indirekt - auch für die aktuellen ÖVP-Korruptionsskandale. Er wiederholte seine oft zitierte Aussage: "So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht. Aber jetzt müssen wir das alle gemeinsam beweisen." Den Vorwürfen der Korruption müsse "die umfassende Aufarbeitung und Aufklärung dieser Vorwürfe folgen", forderte Van der Bellen.

Neuwahlen halte er trotzdem für keine gute Idee, obwohl es "einige" gebe, "die sich Neuwahlen wünschen", sagte Van der Bellen. Er sehe seine Verantwortung als Bundspräsident darin, "gerade in dieser Zeit die größtmögliche Stabilität zu garantieren".

"Wir sind nicht Putins Vasallen"

Verantwortlich für die gegenwärtige Teuerungs- und Energiekrise sei klar der russische Präsident Wladimir Putin, der einen brutalen Krieg begonnen habe,"weil er nicht erträgt, dass wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der jeder Mensch gleich viel wert ist". Er bombardiere Dörfer und treibe Millionen in die Flucht. Nun drohe er mit Drosselung der Gasversorgung. "Diese Abhängigkeit ist unerträglich!", sagte Van der Bellen.

Vergangene Regierungen hätten diese drohende Abhängigkeit nicht erkannt oder ignoriert - "und ja, auch ich selbst habe mich täuschen lassen und in vermeintlicher Sicherheit gewiegt", bekannte das Staatsoberhaupt. Man dürfe sich mit dieser Abhängigkeit nun aber nicht einschüchtern oder erpressen lassen: "Wir sind nicht Putins Vasallen."

Die gesamte Rede des Bundespräsidenten im Wortlaut:

Meine Damen und Herren, das wird jetzt möglicherweise ein wenig ungewohnt für eine Eröffnungsrede. Aber was gesagt werden muss, muss gesagt werden.

Meine Damen und Herren, wir alle sind froh und glücklich, heute hier sein zu dürfen. Gemeinsam ein Stück Kultur genießen, das tut gut, gerade nach dieser langen Zeit der Entbehrungen, die wir hinter uns haben.

Aber haben wir sie wirklich hinter uns?

Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass man Dinge nicht schlechtreden sollte. Aber wir dürfen uns auch auf keinen Fall selber in die Tasche lügen. Und sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn wir uns nicht in die Tasche lügen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass, wenn dieser Abend vorbei ist, wenn diese Festspiele vorbei sind, wenn dieser Sommer vorbei ist, spätestens wenn der Winter kommt laufen wir in ein massives Energieproblem. Wenn wir jetzt nicht dementsprechend vorbereitend handeln.

Wir sehen bereits jetzt ein dramatisches Ansteigen der Preise für viele Produkte des täglichen Bedarfes. Hunderttausende Menschen in unserem Land haben Angst und sind am Rande der Verzweiflung. Alleinerziehende Mütter und Mindestpensionisten, aber genauso Menschen, die bislang keine gröberen Geldsorgen hatten.

Wir leben in einer Zeit, wo die Grundelemente unseres Lebens angegriffen werden. Der Friede in Europa. Unsere Freiheit, unsere Demokratie, die Art wie wir leben wollen, unsere Versorgungssicherheit, und die Sicherheit insgesamt.

Warum ist plötzlich alles unsicher, was über Jahrzehnte so sicher schien? Weil einige hundert Kilometer östlich von hier ein Diktator sitzt, der es nicht ertragen kann, dass Menschen in Europa in individueller Freiheit und Unabhängigkeit leben. Der vom verweichlichten, dekadenten Westen redet, der unsere Art zu leben, zutiefst verachtet.

Weil er nicht erträgt, dass wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der jeder Mensch gleich viel wert ist.

Das ist die Wahrheit und das ist der Kern der Sache. Weil der russische Präsident das nicht erträgt, hat er einen Krieg begonnen. Er lässt Bomben auf Städte und Dörfer werfen, treibt Millionen Menschen in die Flucht. Zehntausende haben bereits ihr Leben verloren. Während wir hier heute die Festspiele eröffnen, harren Familien in ukrainischen Städten in Kellern und Luftschutzbunkern aus. Weil das alles aus Sicht des russischen Präsidenten nicht genug ist, drosselt er die Gasversorgung in Europa und machen wir uns nichts vor, er wird sie ganz abdrehen, wenn es ihm gefällt.

Diese Abhängigkeit ist unerträglich! Aber es ist auch unerträglich, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, sich zum unterwürfigen Verbündeten eines Diktators zu machen. Zu all dem Unrecht zu schweigen. Wir sind nicht Putins Vasallen.

Und ja, vergangene Regierungen haben die Gefahr der Abhängigkeit nicht gesehen oder sie ignoriert. Ja, die Politik hat hier Fehler gemacht. Und ja, auch ich selbst habe mich täuschen lassen und in vermeintlicher Sicherheit gewiegt.

Was heißt das für uns? Einerseits, dass wir beim Namen nennen müssen, worum in der Ukraine gekämpft, gemordet, gestorben wird: Nicht nur um die Unabhängigkeit der Ukraine. Um unser aller Lebensmodell, um politische Freiheit, persönliche Freiheit, den Rechtsstaat, Menschenrechte und Demokratie. Zum anderen, dass diese Energiekrise ein bewusst herbeigeführter, kriegerischer Akt ist. Dass die Inflation, die daraus entsteht, ein bewusst herbeigeführter, kriegerischer Akt ist.

Dass Menschen in Österreich, in unserem wunderschönen Österreich, schwer leiden, in massiver Armutsgefahr sind und dass dies eine Folge dieses bewusst herbeigeführten, kriegerischen Aktes ist.

Dass wir nicht zurück können in die Zeit davor. Nichts wird mehr so wie früher. Friede und Wohlstand sind nicht mehr selbstverständlich in Europa.

Das sind Tatsachen. Sie müssen wir als ersten Schritt anerkennen, damit wir uns befreien können. Erst dann können wir uns nach vorne entwickeln und gestaltend und mutig in die Zukunft gehen. Dann haben wir eine Chance, die neuen Zeiten, in die wir fraglos schreiten, auch zu guten Zeiten zu gestalten.

Damit wir das tun können, müssen wir vereint sein. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Denn auch das gehört zu Putins Plan: Dass wir uns gegeneinander ausspielen und aufhetzen lassen.

Gelegenheit dazu gab und gibt es in den nächsten Monaten genug: Die Pandemie, ihre Folgen und der Umgang damit. Die Inflation, ihre Folgen und der Umgang damit. Die Energieknappheit, ihre Folgen und der Umgang damit.

Wir sind alle gefordert!

Aber die in unserem Land, die nicht so massiv unter den Folgen der Inflation leiden, sind jetzt mehr gefordert. Wir müssen denen helfen, die es schwieriger haben, die vielleicht am Ende des Monats nicht mehr wissen, wie sie heizen oder was sie essen sollen.

Ein Österreich, in dem Familien, Pensionisten, arme Menschen im Winter frieren müssen, weil sie sich die Energie nicht mehr leisten können - das ist nicht das Land, in dem wir leben möchten. Da bin ich mir sicher.

Finde ich es gut, dass wir deswegen wieder Wärmekraftwerke mit fossilen Brennstoffen in Betrieb nehmen? Natürlich nicht. Aber im Augenblick ist es die bestmögliche Option. Finde ich es gut, dass die Regierenden, die uns durch diese Situation leiten sollen, auch sehr viel mit sich selbst beschäftigt und abgelenkt sind? Natürlich nicht. Sie glauben nicht, oder wahrscheinlich glauben Sie es, wie viele Menschen von mir verlangen, in irgendeiner Form einzugreifen in die Regierung. Es gibt einige, die sich Neuwahlen wünschen.

Aber ich sagen Ihnen hier klar und deutlich, dass ich meine Verantwortung darin sehe gerade in dieser Zeit die größtmögliche Stabilität zu garantieren. Und dafür zu sorgen, dass wir Wochen und Monate völliger Unmanövrierbarkeit vermeiden.

Und ich bin deshalb zu der Entscheidung gekommen, dass die Regierung jetzt das tun soll und muss, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: Arbeiten, arbeiten, arbeiten.

Meine Damen und Herren, die Lösung der anstehenden Probleme stellt eine gesamtstaatliche Aufgabe dar. Und die Lösung eben jener Probleme muss eine gesamtstaatliche, gemeinsame Anstrengung sein. Diese Anstrengung muss entsprechend kommuniziert werden. Und es muss entsprechende Maßnahmen und Ergebnisse geben.

Die Dringlichkeit gebietet rasches und geschlossenes und entschlossenes Handeln. Und vor allem Solidarität.

Das Zusammenhalten in unserer Gesellschaft, das Eintreten füreinander, die Verbundenheit und die Bereitschaft die gemeinsamen Werte und Ziele auch in diesen schwierigen Stunden zu vertreten. Darum geht es!

Solidarität zu zeigen bedeutet Stärke. Und Solidarität braucht Starke. Und diese Starken müssen wissen, dass sie jetzt eine Verantwortung zu tragen haben. Meine Damen und Herren, als ich einmal gesagt habe, manche von Ihnen werden sich vielleicht daran erinnern: „So sind wir nicht“. Da habe ich auch noch einen zweiten Satz angehängt, der nicht so oft zitiert wird. Der zweite Satz lautet: „So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht. Aber jetzt müssen wir das alle gemeinsam beweisen.“ Dem ersten Schritt muss der zweite folgen.

Den Vorwürfen der Korruption muss die umfassende Aufarbeitung und Aufklärung dieser Vorwürfe folgen. Dem Einschalten der Wärmekraftwerke muss der massive Ausbau der nicht-fossilen Energiegewinnung folgen. Schnell. Der raschen Abfederung der steigenden Preise muss eine gute und nachhaltige Absicherung für alle folgen.

Wir werden all das, was jetzt passiert und passieren wird, nur bewältigen, wenn wir zusammenhalten. Wir müssen solidarisch sein. Und dann, wenn wir die kommenden Herausforderungen bewältigt haben – und wir werden sie bewältigen –müssen wir neu aufbauen. Neu, tragfähig und zukunftsträchtig.

Meine Damen und Herren, das alles gesagt habend: Die Bregenzer Festspiele sind eröffnet.

Danke.

ribbon Zusammenfassung
  • Bei seiner Eröffnungsrede zu den Bregenzer Festspielen fand Bundespräsident Alexander Van der Bellen - für seine Verhältnisse - ungewohnt kritische Worte für die Bundesregierung.
  • Van der Bellen betonte, "dass die Regierung jetzt das tun soll und muss, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: Arbeiten, arbeiten, arbeiten."
  • Die Schuld für die Teuerungskrise sah Van der Bellen in der Abhängigkeit von russischem Gas. Diese sei von vergangenen Regierungen nicht gesehen oder ignoriert worden.
  • "Und ja, auch ich selbst habe mich täuschen lassen und in vermeintlicher Sicherheit gewiegt", sagte der Bundespräsident.

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